Meinung

Ist Marvel am Ende? Ein Erklärungsversuch

Luca Fontana
7.3.2023

Kein anderes Film-Franchise darf auf eine grössere Erfolgsgeschichte zurückblicken als das Marvel Cinematic Universe. Trotzdem zweifle ich an dessen Zukunft. Steckt Marvel in der Krise?

«Jetzt ist es amtlich», erkläre ich meinen Kumpels, die zusammen mit mir gerade den Kinosaal verlassen, feierlich, «wenn Marvel so geile Filme über sprechende Waschbären und Bäume im All machen kann, dann können die alles!»

Verrückt.

Fast neun Jahre später, das Jahr 2023: Die Dinge haben sich geändert. Das MCU steckt in der Krise. Die Umsätze schrumpfen. Die Zuschauerinnen und Zuschauer laufen dem einst unbezwingbar wirkenden Giganten davon.

Ein Erklärungsversuch.

Wo bleibt die Begeisterung?

Aber sonst so? Durchschnitt. Ganz viel Durchschnitt. Wenn überhaupt.

Was geht da vor sich?

Wenn Filme zum Teaser für den nächsten Film werden

Führungslos.

Aber so läuft das mit Marvel heutzutage: Die Marke macht Werbung für die Marke. Und nach dem Abspann kommt die obligatorische After-Credit-Szene, die – du errätst es schon – Werbung für den nächsten Film macht. Absurd, oder?

Das Disney-Channel-Problem

Voilà, willkommen im neuen Avengers-Campus im Disneyland Paris.

Oder Ms. Marvel im kommenden «The Marvels». Sie dürfte wohl die Nachfolge von Captain Marvel antreten, weil Captain-Marvel-Schauspielerin Brie Larson beim Publikum bereits unten durch ist. Und jep: Da ist ziemlich viel Marvel in einem Satz. Ich sage ja, die Filme sind pures Marketing. Selbst die Figuren darin werden nach der eigenen Marke benannt.

«Die Figuren in den Filmen werden immer jünger, während wir, die aktuelle Fanbase, immer älter wird.»

Die Qual der Wahl – im buchstäblichen Sinn

Ich habe noch nicht fertig. Marvel begeht nämlich noch einen weiteren Fehler. Nicht nur, dass die Filme zunehmend an Qualität verlieren (das Fass mit den immer schlechter werdenden Computereffekten mache ich gar nicht erst auf). Es werden auch immer mehr Filme. Und Serien. Und TV-Specials. In Zahlen:

  • Phase 1 des MCUs: 6x Filme (2008 - 2012)
  • Phase 2 des MCUs: 6x Filme (2013 - 2015)
  • Phase 3 des MCUs: 11x Filme (2016 - 2019)

Zusammengefasst: Die ersten drei Phasen des MCUs, die die Infinity-Saga erzählten, bescherten uns 23 Filme in elf Jahren. Das sind im Schnitt etwa zwei Filme pro Jahr, mit leicht zunehmender Tendenz in Phase 3.

Inzwischen befinden wir uns in Phase 5, das erst kürzlich mit «Quantumania» gestartet ist. Davor erlebten wir mit Phase 4 folgendes:

  • 7x Filme (2020 - 2022)
  • 8x Serien (2020 - 2022)
  • 2x TV-Specials (2020 - 2022)

Mit anderen Worten: Die mit Phase 4 gestartete Multiverse-Saga umfasst ohne «Ant-Man» bereits 17 Filme, Serien und TV-Specials in nur zwei Jahren – also etwa acht bis neun (!) Filme, Serien oder TV-Specials pro Jahr (!!). Eine immense Steigerung gegenüber allen anderen Phasen. Kein Wunder, fühlen sich Marvel-Filme und -Serien mehr wie Hausaufgaben als langerwartete Events an, die es zu erledigen gibt, um der Story weiter folgen zu können.

Aber als ob die schiere Anzahl neuer Inhalte nicht schon genug wäre, haben sie die Multiverse-Saga kaum je wirklich weitergeführt. Wenigstens nicht so, wie die Suche nach den Infinity-Stones zuvor den roten Faden in der Infinity-Saga gesponnen hat. Da wurden in weniger Filmen mehr Geschichten erzählt. In Phase 4 hingegen wirkten viele Filme und Serien eher wie Nachträge zur Infinity-Saga.

Was fehlt dem MCU denn?

Was dem MCU fehlt, ist eine durchdachte Marschrichtung. Ein Konzept. Eines, das mehr auf Qualität statt Quantität setzt. Eines, in dem die Charaktere, nicht die Marke, ins Zentrum der Geschichten rücken. Und vor allem eines, das nicht auf den billigen Humor setzt, über den nur Kinder am Samstagmorgen beim Schauen von Disney Channel lachen.

Was Marvel also braucht, ist das, was es erst kürzlich für «Andor» im Star-Wars-Universum brauchte und ebenfalls Disney angegliedert ist: Mut. Mut zu einer reifen Geschichte. Einer mit echten Auswirkungen und Konsequenzen. Und zwar so geschrieben, dass sie nicht die Intelligenz des Durchschnittszuschauers beleidigt.

Ich weiss es nicht. Das Multiversum klang bei seiner Einführung in «Loki» noch spannend. Nunmehr ist es zu einem erzählerischen Kniff verkommen, mit dem jede Konsequenz rückgängig gemacht werden kann. Wenn nötig. Also wenn die Vertragsverhandlungen mit Schauspielerin X oder Schauspieler Y glücken. So macht das keinen Spass mehr.

Zumindest mir nicht.

Titelfoto: «She-Hulk», Disney / Marvel Studios

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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