Hintergrund

Apple TV+ gaukelt dir Netflix vor, ist aber Marketing

Luca Fontana
5.12.2019
Bilder: David Lee

Apple TV+ ist da. Ganze sechs Milliarden Dollar hat sich der Neu-Streamer seine bisher produzierten Eigenproduktionen kosten lassen. Was wie sinnfreie Geldvernichtung aussieht, funktioniert – aber anders als du denkst.

Wie kann also Apples Sechs-Milliarden-Dollar-Marketingtrick, das sich als Streamingdienst tarnt, funktionieren? Zumal Apple-Neukunden den Service ein Jahr lang geschenkt kriegen, wie Leser Marco_CH in meinem Apple-TV+-Review festgestellt hat:

Ich hab mir extra ein neues iPhone gekauft, damit ich den Streaming Dienst von Apple 1 Jahr gratis bekommen. Da hab ich Apple ein schönes Schnippchen geschlagen, bezahle doch nicht für so wenig Inhalt :D
Marco_CH

Rechnen wir’s aus.

Schritt 1: Grossen Kundenstamm anwerben

Zum Vergleich: Eine «Game of Thrones»-Folge der achten Staffel kostete im Schnitt 15 Millionen Dollar.

Zusatzverkäufe sind in Apples Fall Einnahmen, die durch den Verkauf und Verleih des On-Demand-Angebots erzielt werden. Apple TV+ ist nur eine Erweiterung von Apple TV – das On-Demand-Angebot, nicht die Box, die genau gleich heisst.

Anders gesagt: Jeder Abonnent von Apple TV+ ist gleichzeitig ein potenzieller Apple-TV-Kunde – und umgekehrt.

Voilà: Ein Kundenstamm.

Schritt 2: Kundenstamm langfristig sichern

Einverstanden: Sämtliche iPhone-Käufer zu überzeugen, nach Ablauf des Probejahres bei Apple TV+ zu bleiben, ist unrealistisch.

  1. Apple schärft sein Profil als Qualitäts-Streamingdienst
  2. Apple kann sich durch ein kleines, aber feines Angebot stärker von Netflix oder Prime abgrenzen
  3. Apple überfordert seine Abonnenten nicht mit einem erschlagenden Angebot, das wenig richtig gute aber sehr viele durchschnittliche Filme und Serien bietet

Stand heute ist Apple noch ein ganzes Stück von diesem Traumszenario entfernt; das Angebot ist zu klein, um ernst gemeint zu sein. Und Must-See-Inhalte wie «Stranger Things» oder «The Boys» – um Beispiele von Netflix und Amazon Prime zu nennen – fehlen noch. Der eingeschlagene Weg mit weniger Serien, die dafür mindestens den Produktionswert von «See» und vor allem «For All Mankind» haben, ist allerdings vielversprechend.

Schritt 3: Preis erhöhen

Sobald sich Apple seines Kundenstammes sicher genug ist, werden die Abopreise erhöht. Selbst, wenn sich der momentanen Abo-Preis von 5 Dollar im Monat bereits jetzt für Apple rechnet. Angenommen, es würden sämtliche prognostizierten 70 Millionen iPhone-Kunden das Abo behalten, dann entspräche das einem Jahresumsatz von 4,2 Milliarden Dollar – die Millionen Kunden, die sich ein anderes Apple-Gerät kaufen, nicht eingerechnet.

Das da oben ist ein Zahlenspiel. Ein mögliches Szenario. Apple wird nicht ein Szenario, sondern dutzende durchgespielt haben. Und dabei zum Schluss gekommen sein, dass sich das Risiko lohnt.

Dass sich Apple also durch tiefe Abopreise und aufwändig produzierte Serien über die kommenden Jahre hinweg einen Abonnenten-Stamm in Millionenhöhe sichern wird, scheint nicht unmöglich.

Schritt 4: Die Mathematik

Oben habe ich Einnahmen von 4,2 Milliarden Dollar hypothetisiert – ohne Preiserhöhung. Das Budget für die ersten paar Dokus und ein bis zwei Staffeln pro Serie betrug bekanntlich 6 Milliarden Dollar. Die noch vorhandene Differenz könnte teilweise durch Einnahmen aus Kauf- und Leihgebühren für die restlichen On-Demand-Inhalte auf Apple TV gedeckt werden. Der Rest durch Apple-Geräte, deren Verkaufszahlen durch Apple TV+ und andere Services angekurbelt worden sind.

Da ist er, der Trick: Das Ankurbeln der Verkaufszahlen von Apple-Geräten.

Denn Apples grosser Vorteil ist, dass es anders funktioniert als Netflix. Apple, das ist immer noch das Unternehmen, das vor allem iPhones verkauft. Dazu kommen steigende Verkaufszahlen bei Macs, iPads sowie wachsende Einnahmen aus dem Apple Store und von den Apple Pay Services.

Wie passt Apple TV+ da rein?

Apple TV+ ist also der nächste logische Schritt in Apples Bestreben, die Wertschöpfungskette der gesamten Unterhaltungsindustrie zu kontrollieren: Von der Hardware über die Software bis zu den darauf abgespielten Inhalten. Fehlt nur noch das Kamera-Equipment. Das legt die Vermutung nahe, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis Apple auch die Infrastruktur Hollywoods stellt.

Anders bei Netflix. Dort ist der Streamingdienst kein Werkzeug, sondern das Geschäftsmodell selbst. Durch Abo-Einnahmen muss es Gewinne abwerfen, sonst geht Netflix unter. Apple nicht. Apples Geschäft liegt im Verkauf von iPhones, iPads, iWatches und Macs.

Anders gesagt: Apple TV+ ist das teuerste Kundenbindungsprogramm aller Zeiten.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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