
Hintergrund
«Powerwash Simulator» und Co: Warum wir in Games gerne langweilige Arbeiten ausführen
von Rainer Etzweiler

Beim zweitgrößten Schweizer Gaming-Studio Urban Games erfahre ich, wie aus einem Hobbyprojekt eine der erfolgreichsten Transportsimulationen Europas wurde – und warum «Transport Fever 3» mehr sein will als nur ein Spiel für Eisenbahnfans.
Ich sitze in einem Doppelstock-Pendelzug der Zürcher S-Bahn Richtung Schaffhausen. Die markanten blauen Wagons kenne ich sehr gut aus dem Wirtschaftssimulator «Transport Fever 2». Jetzt bin ich damit auf dem Weg zu Urban Games, dem Entwicklerstudio hinter der Spielreihe und freue mich darauf, einen Blick hinter die Kulissen zu werfen. Eine Anreise mit einem Zug aus dem Spiel – passender könnte die Einstimmung auf das Gespräch kaum sein.
Zunächst nimmt mich Cleopatra, die Management-Assistentin, herzlich in Empfang und führt mich durch die heiligen Hallen von Urban Games. Dass hier etwas geschaffen wird, das mit Eisenbahn zu tun hat, ist nicht zu übersehen. Überall sind Zug-Modelle ausgestellt. Die beiden gigantischen Retro-Spieleautomaten im hinteren Teil des Büros fallen daher optisch aus der Reihe.
Im Moment wird emsig gearbeitet. Einen ersten Closed-Beta-Test hat das neue Game «Transport Fever 3» bereits absolviert und das Team arbeitet am Feinschliff. Ich setze mich zu Nico, dem Publishing-Manager des Studios. Auf seinem Bildschirm läuft das Spiel mit einer Karte in der neuen subarktischen Region. Zahlreiche Fahrzeuge sausen auf Straßen und Schienen herum.
Auch Basil Weber, den Co-Gründer und Geschäftsführer des Studios, spreche ich später auf das Thema an. Er erzählt, dass Urban Games die Spiele schon immer unabhängig finanzieren konnte. «Aber trotzdem ist es ein Riesenvorteil, wenn man sich nicht noch mit jemandem absprechen muss», sagt er.
Urban Games habe sich bei der Spielerschaft einen sehr guten Ruf erarbeitet, freut sich Basil. Das liege auch an den jahrelangen kostenlosen Updates für veröffentlichte Spiele – und zeige sich an den vielen Steam-Wishlist-Einträgen für «Transport Fever 3». Vertrauen und ein guter Ruf sind gerade für ein unabhängiges Studio die wichtigste Währung – und den hohen Erwartungen will das Team gerecht werden.
Hunderttausende kaufen das Spiel direkt nach Release, weil sie uns vertrauen.
Nico erzählt stolz, dass das Entwicklerteam erst vor wenigen Tagen eine vollständige Atmosphärensimulation eingebaut hat. Es gibt jetzt auch Wolken und sogar Regen. Bildschön sehen die Tropfen an der Kamera aus. Dunkelheit und Regen verändern das Aussehen der Karte komplett.
Mit dem jüngsten Ableger will Urban Games Genre-Neulingen einen einfacheren Einstieg bieten. Erschlug dich das User-Interface bisher mit Informationen, soll es dir jetzt nur die anzeigen, die du brauchst. Auch die Verwaltung von Linien und Fahrzeugen soll vereinfacht werden.
Die Idee ist, mit dem Spiel ein bisschen mehr in den Mainstream zu gehen.
Als Perfektionistin kann ich alle Herausforderungen annehmen und die Transportwege bis auf den letzten Millimeter optimieren, versichert mir Nico. Wenn mir das zu viel ist, kann ich auf zusätzliche Missionen und Optimierungsmaßnahmen verzichten, ohne starke Nachteile zu spüren. Ein schwieriges Balancing für die Game-Designer.
Wir wollen niemanden bestrafen.
Die neue Güterlieferzeit ist ein gutes Beispiel. In «Transport Fever 3» bekomme ich einen Bonus, wenn ich Güter innerhalb eines produktspezifischen Zeitraums ausliefere. «Die Güter verfallen danach nicht und du wirst natürlich auch bezahlt, wenn es länger dauert», beruhigt mich Nico.
Die Lieferfristen sollen neue Anreize bieten. Es gehe um Belohnung, nicht um Bestrafung: Wer sich perfekt um alle Anforderungen kümmert, wird mit einem verbesserten Stadtwachstum und lukrativen Gewinnen belohnt. Ich bin gespannt auf die Umsetzung im fertigen Game.
Auch vom Geld als Hauptmotivation für die Wirtschaftssimulation will sich «Transport Fever 3» verabschieden. Natürlich bleibt ein gut gefülltes Konto weiterhin wichtig. Aber wenn nach einer Weile Geld in Hülle und Fülle vorhanden ist, habe es bislang wenige Anreize gegeben, weiterzuspielen.
Wir wollen weg vom Geld. In ‹Transport Fever 2› hast du immer einen Punkt erreicht, an dem du genug Geld hast und dann wird das Spiel langweilig.
Das geht, weil «Transport Fever 3» eine neue Mechanik zur Stadtentwicklung nutzt. Die Karte ist in Distrikte unterteilt, die den Städten zugeordnet sind. Alles, was in einem Distrikt passiert, wirkt sich auf seine Stadt aus, erklärt mir Nico. Stau, Umweltverschmutzung, Terraforming und unzufriedene Fahrgäste im Stau mitten im Wald können das Wachstum einer Stadt hemmen.
Neu ist auch ein Levelsystem. Durch das Erreichen von Meilensteinen schalte ich neue Entwicklungsstufen frei – «Cities: Skylines», ein Stadtbausimulator, der neue Gebäude erst durch den Spielfortschritt freigibt, lässt grüßen. Dazu gehören beispielsweise realen Vorbildern nachempfundene Wahrzeichen.
Von der Kampagne sollst du Jahre später sagen: An die kann ich mich noch richtig gut erinnern.
Das Team von Urban Games hat sich deshalb gefragt, was man mit dem Thema «Transport» noch alles machen kann. In der Kampagne soll die Spielerschaft Inhalte und Herausforderungen finden, die es im Sandbox-Game nicht gibt – und alles voll vertont und mit Cutscenes aufgehübscht, verspricht Nico. Ich bin gespannt.
Doch Nico grinst. «Natürlich haben wir was eingebaut», sagt er und zeigt auf ein Menü zur besseren Verkehrsverwaltung. Das hat Urban Games noch nicht offiziell bekannt gegeben, deswegen kann ich nicht genauer darauf eingehen, was ich sehen durfte. Nur so viel: Ich ahne schon jetzt, dass mir die neuen Werkzeuge viele späte Nächte zur Optimierung des Straßenverkehrs bescheren werden.
Wir wollen ein schönes Produkt hervorragend machen.
«Transport Fever 3» will einen mehrfachen Spagat schaffen: Genre-Neulinge sollen sich angesprochen fühlen, aber auch Profi-Optimierer und Schönbauer, die das Spiel als virtuelle Modelleisenbahnplatte nutzen. Städtebauerinnen sollen genauso einen Platz finden wie Bahn-Fans und virtuelle Wirtschaftsbosse. Nach dieser Anspiel- und Frage-Session scheint es mir, als könnte das gelingen.
Dieses Spiel gab Basil einen Kurs für seinen weiteren Lebenslauf. Schon damals habe er gewusst, dass er eines Tages eine Firma gründen werde, «um ein solches Spiel noch cooler zu machen», erinnert er sich. Alles habe er auf dieses Ziel ausgerichtet – das Ergebnis ist «Train Fever», das Basil und sein Bruder Urban jahrelang in ihrer Freizeit programmierten.
Der Release von ‹Train Fever› hat alles verändert.
2013 folgte die Gründung von Urban Games, 2014 der Release des Spiels. Ich frage Basil, ob er zu dieser Zeit schon mit dem großen Erfolg der Spiele rechnete. «Äh nein», sagt er und ergänzt: «Aber der ‹Train Fever›-Release ist viel besser gelaufen, als wir gedacht hätten». So erkannten die Brüder, dass sie als Spieleentwickler tatsächlich erfolgreich sein könnten.
Jedes der nach «Train Fever» veröffentlichten Spiele übertraf die finanziellen Erwartungen und legte dadurch einen soliden Grundstein für die jeweilige Fortsetzung, erzählt mir Basil. Urban Games scheint seine eigene Spielmechanik zu leben: Ein kleines Drei-Mann-Unternehmen wird durch kluge Planung und stetige Erweiterung einer der größten Player in der Schweizer Gaming-Landschaft.
Und was hält die Zukunft bereit? «Es kann noch viel kommen, zum Beispiel Seilbahnen», antwortet Basil wie aus der Pistole geschossen – und winkt lachend ab. Für «Transport Fever 3» sind keine Seilbahnen geplant, aber in der Zukunft – wer weiß? Jetzt sind erstmal alle Augen auf einen erfolgreichen Release des vierten Spiels gerichtet.
Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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Der Zeitpunkt für den Besuch ist günstig: Urban Games arbeitet gerade an «Transport Fever 3», das 2026 erscheinen soll. Als Fan der Reihe bin ich gespannt auf das neue Game. Einige Details sind bereits bekannt und wer auf der Gamescom war, konnte bereits eine Demoversion anspielen. Ich hatte bisher allerdings nicht das Vergnügen und freue mich auf die Einblicke ins Spiel – und in das Studio, das in der vergangenen Dekade rasant gewachsen ist und seiner Nische langsam zu groß wird.

Bevor wir ins Detail gehen, frage ich Nico nach einem genauen Release-Termin. Die Antwort freut mich – obwohl ich keine bekomme. «Wir können das Spiel völlig unabhängig und frei entwickeln und es genau dann rausbringen, wenn es fertig ist», sagt Nico. Für die Spielerschaft ist das eine gute Nachricht: Zu oft sind in der Vergangenheit Games in unfertigem Zustand auf den Markt gekommen. Während das Studio bei den früheren Veröffentlichungen noch mit dem Publisher Good Shepherd Entertainment zusammengearbeitet hat, übernimmt Urban Games bei «Transport Fever 3» das Publishing selbst.
Nachdem wir diesen wichtigen Punkt geklärt haben, bekomme ich an Nicos Computer meinen ersten Blick ins Spiel. Es handelt sich um die Gamescom-Version von «Transport Fever 3», die zusätzlich einige neu implementierte Features enthält. Dem vierten Game des Studios sehe ich die gesammelte Erfahrung der vergangenen Spiele und das höhere Budget deutlich an. Zwischen dem Erstlingswerk «Train Fever» aus dem Jahr 2014 und «Transport Fever 3» liegen Welten.
«Train Fever» war noch streng auf den linearen Aufbau-Aspekt und eine funktionale Optik mit informativem Overlay fokussiert. Das sprach vor allem Hardcore-Tycoon-Gamer an. Mit den Nachfolgern kamen Kampagnen, umfangreicher Mod-Support, neue Fahrzeugklassen und mit jedem Game eine deutlich verbesserte Grafik dazu – ich schaue auf euch, schaumgekrönte Wellen unter Palmen an weißen Sandstränden! «Transport Fever 3» toppt das jetzt mit einem Tag-Nacht-Wechsel sowie Wettereffekten.


Einfluss aufs Spielgeschehen hat das nicht, doch kosmetische Effekte wie nächtliche Lichter, Wasserspiegelungen und Unwetter zeigen einen Trend. Das passt dazu, dass sich «Transport Fever» von seinem Image, ein zu komplexes Nischen-Game zu sein, lösen will. Spätestens seit «Transport Fever 2» legt das Studio mehr Wert aufs Aussehen. «Transport Fever 3» ist längst keine Simulation mit rein funktionaler Optik mehr. Anstelle von rudimentären Landschaften gibt es jetzt Welten, die es sich zu erkunden und zu erschließen lohnt. So bieten sich spektakuläre Kulissen, zum Beispiel für Mitfahrten in der Fahrerkabine.

Eine größere Spielgruppe anzusprechen und die Mechaniken zu vereinfachen, das klingt wie eine schöne Formulierung für «Gameplay aufweichen». Etwas, das die eingefleischten Fans auf die Barrikaden treiben würde. Ich frage nach. Nico beschwichtigt: «Mainstream klingt immer so negativ, aber es bedeutet einfach zugänglicher – und im Hintergrund haben wir viel mehr Mechaniken eingebaut». Einige davon hat Urban Games in seinen «First Look»-Videos bereits genauer vorgestellt, andere noch nicht. Nico zeigt mir alles direkt im Spiel.
Mehr Abwechslung ist daher die Devise für «Transport Fever 3». Die gibt es in Form von sich verändernden Bedürfnissen der Stadtbewohner, neuer Missionen, sekundärer Industriebedürfnisse und zwei neuen Fahrzeugklassen – Helikopter und Gütertrams. Ölplattformen sollen den Wassertransport wichtiger machen, Sümpfe und Canyons das Erreichen abgelegener Orte erschweren. Mit dem Terraforming-Tool störende landschaftliche Hindernisse dem Erdboden gleichzumachen, würde in den Städten für Unmut sorgen und das Stadtwachstum negativ beeinflussen.

Nico zeigt mir das am Beispiel einer «antiken römischen Arena». Platziere ich das einzigartige Gebäude, entsteht eine Baustelle, die ich mit den benötigten Materialien und Arbeitern beliefern muss – das kenne ich aus «Anno 1800» und seinen Monumenten. Ist das Bauwerk fertiggestellt, sieht es nicht nur schick aus, sondern bietet Boni für den Stadtdistrikt, in dem es sich befindet. Klingt super.

Auch über die Kampagne hat sich das Entwickler-Team Gedanken gemacht, verrät mir Nico. Daran wird aktuell noch gearbeitet. In «Train Fever» gab es noch gar keine Kampagne und in den folgenden Spielen blieb sie nie länger im Gedächtnis. Das soll sich ändern. Die acht Kampagnenmissionen sollen zu Beginn auch zur Einführung ins Spiel dienen, aber im späteren Verlauf sollen sie laut Nico «bockschwer» werden und die Spieler richtig fordern.
Neben der Kampagne hat das Team auch an einem weiteren oft kritisierten Punkt gearbeitet: dem Straßenverkehr. Früher oder später sprengt der simulierte Individualverkehr zusammen mit Bussen und Lastwagen immer die Straßen. Ein Verkehrskollaps ist die Folge. Schon lange wünsche ich mir, dass Urban Games neue Werkzeuge zur Verkehrslenkung bietet. Ich frage Nico, ob sie hier etwas eingebaut haben. Eigentlich rechne ich nicht damit, denn unter anderem beim Straßenverkehr verläuft eine Grenze zwischen Transport Fever und «Cities: Skylines».

Dem Team ist es auch bei den bisherigen Releases gut gelungen, seine Zielgruppe zu erweitern. In den vergangenen elf Jahren mauserte sich Urban Games vom Drei-Mann-Hobby-Projekt zum zweitgrößten Schweizer Spieleentwickler mit 25 Mitarbeitenden. Ein beachtlicher Erfolg – dessen Ursprünge in Basils Jugendzimmer der Neunziger Jahre liegen. Er war fasziniert von «Transport Tycoon», einem Simulationsspiel von Micropose, das 1994 erschien. In isometrischer Perspektive baut der Spieler dabei ein Transportunternehmen auf.


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