Powerwash Simulator 2
Hintergrund

«Powerwash Simulator» und Co: Warum wir in Games gerne langweilige Arbeiten ausführen

Am 23. Oktober erscheint «Powerwash Simulator 2» – und Millionen Menschen werden freiwillig virtuell Dreck wegschrubben. Klingt absurd, aber es gibt gute Gründe dafür. Ein Deep Dive in die Psychologie von «Powerwash Simulator» und Co.

Mein Vater hat 40 Jahre lang für die Post gearbeitet. Als ich ihm kürzlich erzählte, dass ich ein Spiel spiele, bei dem ich Pakete austrage, hat er mich mit dem Unverständnis eines viktorianischen Waisenkinds angeschaut, dem man gerade erklärt hat, was Kryptowährung ist.

Dieser Konflikt bringt mich ins Grübeln: Wenn reale Arbeit so abschreckend ist, dass mein Vater meine virtuelle Postbotin für Wahnsinn hält – warum tue ich's dann trotzdem?

Dies bedeutet: Ziemlich viele Menschen bezahlen Geld dafür, in ihrer Freizeit virtuell zu arbeiten. Eigentlich paradox, oder?

Der Flow-Zustand: Wenn Rasenmähen zur Meditation wird

Die Games bieten zudem kristallklare Ziele mit sofortigem Feedback. Dreck wegspritzen = befriedigende Geräusche und saubere Oberfläche. Im echten Job wartet man hingegen Wochen auf ein halbherziges «Gut gemacht» vom Chef (ausser bei Digitec. Hier erhalte ich für jeden Artikel ein «Dankeschön», einen Früchtekorb und ein Paar Schuhe aus Pinguin-Leder). In der virtuellen Welt ist jede Aktion sofort sichtbar und hörbar erfolgreich.

Das Gehirn liebt diese Eindeutigkeit und belohnt uns mit Dopamin-Ausschüttungen, als hätten wir gerade den Mount Everest bestiegen, anstatt nur virtuell einen Parkplatz geschrubbt.

Warum wir nicht aufhören können

Kennst du das Gefühl, wenn du eigentlich ins Bett müsstest, dir diese eine offene Quest aber keine Ruhe lässt? Dafür gibt's einen wissenschaftlichen Begriff: den Zeigarnik-Effekt. Unser Gehirn hasst unerledigte Aufgaben und erinnert uns penetrant daran – diesen Mechanismus nutzen Arbeitssims schamlos aus.

«Stardew Valley»-Schöpfer Eric Barone hat das System perfektioniert. Der Tag-Nacht-Zyklus unterbricht Spieler mitten in ihren Aktivitäten. Gerade wollte ich noch die Kürbisse giessen, schon wird's dunkel. Diese erzwungene Unterbrechung erzeugt das, was Psychologen als besonders motivierend beschreiben – das Verlangen, unerledigte Aufgaben abzuschliessen.

Die Games arbeiten dazu mit verschachtelten Belohnungsschleifen: Ich ernte eine einzelne Tomate (Mini-Erfolg), bestelle ein komplettes Feld neu (mittlerer Erfolg) und erweitere schliesslich meine Farm um einen Hühnerstall (Mega-Erfolg). Das Gehirn schwimmt in einem konstanten Strom von Erfolgserlebnissen. Das ist etwas, was der durchschnittliche Bürojob etwa so oft bietet, wie die Schweizer Nati Weltmeisterschaften gewinnt.

Kontrolle und Autonomie: Chef sein im eigenen Game

Im virtuellen Führerstand vom «Eurotruck Simulator» bin ich hingegen der Boss. Ich bestimme, wann ich mich hinters Lenkrad setzte und meinen Truck zum Bestimmungsort bringst – falls ich denn überhaupt Bock habe.

Gamification: Wie aus Langeweile Sucht wird

Game-Entwickler haben längst durchschaut, wie das menschliche Hirn tickt. Sie nutzen ausgeklügelte psychologische Mechanismen, um aus stinklangweiligen Tätigkeiten Crack fürs Gehirn zu machen. Das Zauberwort heisst «Gamification».

Gamification ist, wenn Game-Designer meinem Steinzeithirn vorgaukeln, dass Fensterputzen eine epische Quest ist. Die Formel ist erschreckend simpel: Man nehme eine eigentlich öde Tätigkeit, streue ein Punktesystem oder einen Fortschrittsbalken dazu und – zack – schon klebe ich vier Stunden am Bildschirm.

«Powerwash Simulator» macht's vor: Jeder weggespritzte Dreckfleck löst einen kleinen Dopamin-Rausch aus, der seinen Höhepunkt in einem akustischen Signal findet. Kurz die Hundehütte abgespritzt: Pling. Fühlt sich geil an. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen «echten» und virtuellen Erfolgen, es will nur sein neurologisches Guetzli. Die Entwickler wissen das und füttern uns mit dem digitalen Äquivalent.

Die therapeutische Dimension: Gaming als Selbstmedikation

Warum virtuelle Arbeit besser ist als echte

Arbeitssimulator-Games machen langweilige Aufgaben nicht spannend – sie liefern die psychologischen Belohnungen, die Arbeit befriedigend macht, während sie den ganzen Stress weglassen.

Diese Games befriedigen fundamentale menschliche Bedürfnisse, die moderne Jobs oft ignorieren:

  • klare Ziele mit sichtbarem Fortschritt
  • sofortiges Feedback auf Anstrengungen
  • komplette Kontrolle über Herangehensweise und Tempo
  • faire Systeme, die vorhersehbar auf Input reagieren
  • sichtbare Resultate der eigenen Arbeit
  • niemand klaut dein Aprikosen-Joghurt aus dem Gemeinschafts-Kühlschrank

Arbeitssimulator-Games sind damit keine Flucht ins virtuelle Büro, sondern eine Realitätsflucht zu idealisierten Arbeitsbedingungen. Sie geben uns das Gefühl von Struktur und Produktivität, während sie Unsicherheit, Office-Politik und Leistungsdruck eliminieren.

Wir spielen diese Games nicht, weil wir heimlich Briefträger werden wollten (Sorry, Paps) oder uns nach dem Glamour des Rasenmähens sehnen. Wir spielen sie, weil sie uns das zurückgeben, was moderner Arbeit oftmals fehlt – das Gefühl, dass unsere Anstrengung tatsächlich zu etwas führt, das wir auch sehen können.

Dass wir selbst entscheiden, wann und wie wir etwas tun. Dass am Ende des Tages nicht nur ein weiterer Punkt auf einer endlosen To-Do-Liste abgehakt ist, sondern tatsächlich etwas Greifbares entstanden ist – und sei es auch nur ein sauberer virtueller Parkplatz.

Titelbild: Powerwash Simulator 2

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In den frühen 90er-Jahren vererbte mir mein älterer Bruder sein NES mit «The Legend of Zelda» und startete damit eine Obsession, die bis heute anhält.


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