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Hintergrund

Wie eine Anti-Porno-Kampagne auch unproblematische Spiele auf Steam bedroht

Debora Pape
31.7.2025

Es schlug hohe Wellen: Steam entfernte zahlreiche Spiele von der Plattform, itch.io zog nach. Schuld daran sind Finanzdienstleister, die offenbar Druck auf beide Portale ausüben.

Was steckt hinter den Massenlöschungen? Und wer setzt hier eigentlich wen unter Druck? Wenn du das Thema bisher nur am Rande mitbekommen hast, bist du hier richtig.

Bei der Kampagne gegen «No Mercy» mischte eine australische, konservative Gruppierung mit: Collective Shout. Die Gruppe setzt sich gegen die Sexualisierung von sowie Gewalt an Frauen und Mädchen ein. In diesem Zusammenhang lehnt sie auch Pornografie, freizügige Werbung, selbstbestimmte Prostitution sowie diverse sexuelle Fetische ab.

2014 wollte die Gruppe beispielsweise Auftritte der US-amerikanischen Rapper Snoop Dog und Eminem in Australien verhindern, da deren Texte Gewalt gegen Frauen thematisieren.

Nach «No Mercy»: Weitere Spiele kommen an den Pranger

Im Nachgang an die «No Mercy»-Kontroverse schreibt Collective Shout am 11. Juli einen offenen Brief an die Geschäftsführer diverser Zahlungsanbieter: «Hunderte andere Spiele auf Steam und Itch.io beinhalteten Vergewaltigung, Inzest und sexuellen Kindesmissbrauch.»

Collective Shout veröffentlicht selbst keine Liste von Spielen, die ihrer Meinung nach problematische Inhalte enthalten. Die Gruppierung macht eher Druck auf einer anderen Ebene: Es sei unverständlich, dass die genannten Zahlungsanbieter – darunter Paypal, Visa und Mastercard – mit unethischen und gewalttätigen Spielen Gewinne erwirtschaften.

Gerichtsurteil: Zahlungsanbieter haben einen wunden Punkt

Bei den Zahlungsanbietern wiederum trifft Collective Shout einen empfindlichen Nerv: Ein kalifornisches Gericht urteilte 2022, dass Visa mitverantwortlich gemacht werden kann, wenn das Unternehmen Zahlungen auf Plattformen ermöglicht, die potenziell illegale Inhalte verbreiten. Geklagt hatte eine Frau, die als Minderjährige in einem nicht-einvernehmlichen Video auf der Porno-Plattform Pornhub zu sehen war.

Das bedeutet: Zahlungsanbieter stehen theoretisch in der Pflicht, sämtliche Angebote ihrer Partnerplattformen auf mögliche Rechtsverstöße zu prüfen. Collective Shout gab durch den offenen Brief genügend Anlass zur Annahme, dass auf Steam und itch.io möglicherweise illegale Inhalte erhältlich sind.

Die einfachste Möglichkeit, um rechtliche Risiken zu vermeiden: potenziell problematische Inhalte konsequent von den Plattformen entfernen. Und genau das ist hier passiert. Steam setzte das über eine neue Richtlinie für Spieleanbieter um.

Steam führt neue Regel ein und gibt Verantwortung ab

Die Regeln ließen bislang genügend Schlupflöcher für die vielen Schmuddel-Spielchen. Auch «Detroit: Become Human» ist trotz Kindesmisshandlung weiterhin auf Steam verfügbar. Steam ließ also mit sich diskutieren.

Durch eine zusätzliche neue Richtlinie, die ohne öffentliche Ankündigung in den Regeln erschien, entzieht sich Steam nun allerdings der Verantwortung. Sie besagt, dass Inhalte nicht erlaubt sind, die «möglicherweise gegen die Richtlinien und Standards verstoßen, die von Steam-zugehörigen Zahlungsabwicklern, verwandten Kartennetzwerken und Banken oder Internetverbindungsanbietern festgelegt wurden. Insbesondere bestimmte Arten von nicht jugendfreien Inhalten».

Das bedeutet: Spieleanbieter müssen sich nicht nur mit den Richtlinien von Steam auseinandersetzen, sondern auch mit denen der Zahlungsanbieter auf Steam. Das ist bürokratisch und realitätsfern. Und noch schlimmer: Die Zahlungsabwickler erhalten dadurch das Recht zur Mitbestimmung über die auf Steam angebotenen Spiele.

Auf Grundlage dieser neuen Regel konnte Steam weit über hundert Spiele von der Plattform nehmen. Steam gibt den Druck durch die Zahlungsanbieter zu.

Zahlungsabwickler können bestimmen, was jugendfrei ist

Es wäre ein fatales Signal, emotional packende Games mit komplexen Hintergründen wie «Life is strange» oder «Detroit: Become human» als problematisch zu behandeln oder das auch nur anzudrohen. Studios könnten ihre Einnahmequellen verlieren, ohne gegen geltende Gesetze zu verstoßen. Oder sie könnten, um jeglichen möglichen Problemen vorzubeugen, nur noch «Cozy»-Games ohne komplexe Tiefe entwickeln.

Möglicherweise werden die Einschränkungen nach genaueren Prüfungen wieder gelockert. Wie die Prüfung bei möglicherweise tausenden Kandidaten vonstattengehen soll, ist momentan noch unklar. Derzeit stellt das Portal wegen einiger weniger eventuell vorhandener schwarzer Schafe alle NSFW-Games unter Generalverdacht und zahlreiche Entwickler verlieren ihre Einkommensquellen.

Der offene Brief von Collective Shout hatte also eine große Wirkung, die noch gar nicht vollständig abzusehen ist.

Titelbild: Shutterstock/Casimiro PT

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Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.


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