
Hintergrund
Mit dem Insekten-Kampfpanzer durch den Park: Ich habe «Grounded 2» angespielt
von Debora Pape
Schon lange ärgere ich mich darüber, keinen Überblick über meine Lebensmittelvorräte und deren Haltbarkeitsdaten zu haben. Mit der App «Grocy» will ich das endlich ändern. Doch trotz hoher Motivation und etlichen Stunden Herumtesterei gebe ich auf: Der Aufwand überwiegt schlicht die Vorteile.
Bereits als Kind habe ich meine Bücher nummeriert und Karteikarten dafür angelegt. Registrieren, ordnen und optimieren bereitet mir bis heute Spaß. Kein Wunder also, dass ich mir eine digitale Übersicht über meine Vorratskammer wünsche: Wäre es nicht großartig, jederzeit zu wissen, welche Lebensmittel da sind, in welcher Menge und wie lange sie noch haltbar sind?
Wie für fast alles im Leben gibt es auch dafür eine App. Zum Beispiel «Grocy». Ich habe sie ausprobiert, damit du es nicht tun musst. In meinem Test stoße ich jedoch auf unerwartete Probleme. Und obwohl ich Listen liebe, gebe ich nach einer Woche entnervt auf: Das war selbst mir zu viel Aufwand.
Genau genommen ist «Grocy» nicht nur eine App, sondern ein selbst gehostetes Open-Source-System zur Verwaltung unterschiedlicher Haushaltsbereiche. Die Projektwebsite bezeichnet «Grocy» als «ERP für deinen Kühlschrank» – und das beschreibt das System schon sehr gut. Ein ERP – Enterprise Resource Planning – ist laut Wikipedia «eine komplexe Anwendung, [...] die zur Unterstützung der Ressourcenplanung des gesamten Unternehmens eingesetzt wird». Und so komplex, wie es klingt, ist «Grocy» auch.
Theoretisch kann ich damit bis aufs Gramm meine Vorräte und Rezepte managen: Einkaufslisten automatisch generieren, Einkäufe scannen, Mindesthaltbarkeitsdaten verwalten, Kostenübersichten abrufen und Rezepte auf Basis vorhandener oder bald ablaufender Lebensmittel anzeigen lassen. Eine Demo mit Browser-Oberfläche findest du hier.
Wer «Grocy» wirklich konsequent durchexerziert, betreibt weniger Küchenorganisation als vielmehr semi-professionelle Lagerlogistik, inklusive Inventur und Produkterfassung per Barcodescanner. Irgendwie nerdig, aber auch ziemlich faszinierend.
Hinter dem System steht ein einzelner Entwickler aus Deutschland, der das Projekt in seiner Freizeit betreibt. Entsprechend unregelmäßig erscheinen Updates. Die «Grocy»-Community ist auf Reddit aktiv.
«Grocy» erfordert für den Betrieb einen Server, auf den ich per Browser oder App zugreife. Für mich war das denkbar einfach: Ich nutze Home Assistant und dafür gibt es ein Add-On, mit dem sich «Grocy» problemlos integrieren lässt – wie das geht, erfährst du hier oder als Video hier. Danach ist «Grocy» sofort einsatzbereit.
Home Assistant und die Browseroberfläche sind für mich allerdings nur die Arbeitsbasis. Die eigentliche Verwaltung möchte ich mobil mit dem Smartphone erledigen. Dafür stellen «Grocy»-Fans kostenlose Apps bereit. Mit der Android-App verbinde ich mich problemlos mit meiner Installation in Home Assistant. Auch mein Mann bekommt einen Zugang, denn Vorratstracking funktioniert nur, wenn alle im Haushalt mitziehen.
Danach geht es an das Hinzufügen von Produkten, denn die Installation ist natürlich leer. Jedes Produkt, das ich mit «Grocy» verwalten möchte, muss ich mit Namen und grundlegenden Eigenschaften in die Stammdatenbank eintragen, bevor ich damit arbeiten kann. Und hier beginnen die Probleme. Was zunächst einfach klingt, verlangt in der Praxis einige Überlegungen und Kompromisse.
Testweise nehme ich mir ein Netz Zwiebeln vor. Das Produkt ist schnell angelegt und ein Foto hinzugefügt. Dann will «Grocy» wissen, welche Einheit ich für das Bestandstracking verwenden möchte. «Stück» bietet sich an: Das macht das Tracking einfach, wenn ich eine oder zwei Zwiebeln zum Kochen verwende.
Schnell merke ich, dass ich damit aber nicht weit komme. Die Zwiebeln sind unterschiedlich groß und ein Netz enthält nicht immer gleich viele. «Grocy» kann also trotz korrektem Ausbuchen der Zwiebeln beim Verbrauch nicht wissen, wie viele Zwiebeln ich noch habe und wann ein neues Netz auf den Einkaufszettel muss.
Bei identischen Artikeln lässt sich das einfach regeln. Zum Beispiel bei Schokoriegeln. Eine Packung enthält beispielsweise fünf Stück. In «Grocy» kann ich das genau so angeben und zusätzlich festlegen, dass beim Tippen auf den Schnellverbrauchsbutton in der App standardmäßig ein Riegel abgezogen wird. Das geht schnell und unkompliziert – und «Grocy» weiß exakt, wenn die Packung leer ist. Solche Produkte lassen sich wunderbar verwalten.
Zurück zu den nervigen Zwiebeln: Die Stückzahl pro Verpackungseinheit variiert, ebenso das Gewicht. Also müsste ich die Menge in Gramm tracken – habe aber keine Lust, jede Zwiebel beim Kochen abzuwiegen. Und meinem Mann kann ich das schon gar nicht zumuten.
Eine Lösung für dieses Problem ist nicht in Sicht. Ich verschiebe es erstmal nach hinten und lege weitere Produkte an, um eine bessere Datenbasis zu bekommen und Erfahrungen zu sammeln. Denn eine breite Datenbasis sorgfältig angelegter Produkte ist das Rückgrat des gesamten Systems, wie ich jetzt schon merke. Je besser und genauer alle Lebensmittel angelegt und gepflegt sind, desto einfacher wird es beim Einkaufen und Verwalten. Doch alles anzulegen bedeutet einen enormen Aufwand.
Der Verbrauch von Lebensmitteln ist eine Sache. Der Einkauf ist aber eine ganz andere. Viele Produkte kaufe ich nicht in der gleichen Einheit, wie ich sie lagere und verbrauche. Diese unterschiedlichen Einheiten hinterlege ich in den Produkteigenschaften. Etwa bei den erwähnten Schokoriegeln. Ich kaufe eine Packung, verbrauche aber «Stück». Damit «Grocy» meinen Bestand verwalten kann, muss das Programm wissen, wie viele Stück eine Packung enthält.
In den Produktstammdaten gibt es dafür den Punkt «Mengeneinheitenumrechnung» (ME-Umrechung). Dort sage ich «Grocy», dass fünf Stück einer Packung entsprechen. Die Einheitenbezeichnungen muss ich übrigens selbst festlegen. Wie sehr ich da ins Detail gehen möchte, liegt bei mir: Reicht mir bei Joghurt «Packung» oder möchte ich «Becher» tracken? Schnell bildet sich in meiner App eine große Liste verschiedener Mengeneinheiten.
Jedenfalls: Kaufe ich jetzt drei Packungen Schokoriegel, fügt «Grocy» 15 Stück dem Bestand hinzu. Um beim Eintragen von Einkäufen nicht jedes Produkt im Bestand suchen zu müssen, greife ich auf eine der coolsten Erfindungen fürs Smartphone zurück: den Barcode-Scanner. Habe ich einen Code bereits mit einem Produkt in den Stammdaten verknüpft, genügt ein Scan, um es dem Bestand hinzuzufügen.
Pro Produkt kann ich mehrere Barcodes registrieren. Zum Beispiel bei Katzenfutterdosen. Davon kaufe ich verschiedene Sorten, aber alle gehören zu einem Produkt.
Auch das Haltbarkeitsdatum könnte ich beim Einkaufen erfassen. Da ich meine Einkäufe aber möglichst schnell registrieren und verstauen will, nutze ich meist Standardwerte. Dafür definiere ich beim erstmaligen Anlegen eines Produkts eine Standardhaltbarkeit, etwa bis zum 30. Oktober, was 42 Tagen entspricht. «Grocy» übernimmt diese 42 Tage dann automatisch für künftige Einkäufe.
Einer meiner Hauptgründe für das Ausprobieren des Küchen-ERPs ist das Rezepte-Tool. Das Modul kann zwei Dinge: Es zeigt mir die Gerichte an, die ich mit den vorhandenen Zutaten kochen kann. Und setzt umgekehrt die Zutaten auf meinen Einkaufszettel, die ich fürs Kochen eines gewünschten Gerichts brauche. Gebe ich Kalorienwerte und Preise bei den einzelnen Zutaten an, sagt mir das Rezept sogar, wie viel Kalorien das Gericht hat und was es mich kostet. In der Theorie ist das sehr cool. In der Praxis: ein Riesenaufwand.
Testweise erstelle ich ein Rezept. Dazu muss ich jede einzelne Zutat und ihre exakt benötigte Menge eintragen. Zum Beispiel die elendigen Zwiebeln. In der Regel geben Rezepte bei Zwiebeln Stückzahlen an, zum Beispiel «zwei kleine Zwiebeln». Wenn ich – wie oben beschrieben – aber Gramm tracke, um den Bestand zu überwachen, müsste ich in der ME-Umrechung angeben, wie viel Gramm eine Zwiebel wiegt. Aber das kann ich eben nicht.
Und so geht es weiter: Ich quäle mich durch die Erstellung eines einzigen Rezeptes und lege dafür erstmal eine ganze Latte an Produkten an. Und für jedes einzelne muss ich überlegen, wie ich es tracke. Was ist mit frischem Koriander: Bund oder Gramm? Was ist mit dem halben Teelöffel Paprikapulver? Wie tracke ich Olivenöl? Normalerweise kippe ich Gewürze und Öl so ungefähr pi-mal-Daumen in den Topf.
Zwei Stunden später bin ich völlig entnervt und kurz vor dem Aufgeben. Das mit den Rezepten wird so nichts. Und das mit dem Tracken vielleicht auch nicht. Ich will nicht bei jedem Griff in den Kühlschrank eine Waage und ein Smartphone in der Hand haben.
Ich entscheide mich, Rezepte und Teelöffel-Tracking ad acta zu legen und mich aufs Tracking ganzer Packungen zu beschränken. Frische Lebensmittel lasse ich ganz weg. Schließlich weiß ich drei Tage nach dem Einkauf noch, ob ich Joghurt in den Kühlschrank gestellt habe. Dagegen weiß ich nicht immer, wie viele Packungen Kaffeebohnen ich noch im Vorratsschrank habe. Schließlich kommt es oft genug vor, dass ich beim Wocheneinkauf im Supermarkt stehe und mich frage: Haben wir eigentlich noch Kaffee zu Hause?
Ab jetzt kaufe und verbrauche ich nur noch ganze Packungen. Eine Packung Tomatenmark, eine Packung Salz, eine Packung Olivenöl. Der Plan ist: Immer, wenn ich dem Vorrat eine Packung entnehme, ziehe ich durch «Verbrauch» eine aus dem Bestand ab. Fällt der dadurch unter den festgelegten Mindestbestand, schreibt «Grocy» das Produkt auf den Einkaufszettel.
Das funktioniert ganz gut.
Beim Härtetest im Supermarkt fällt das System trotzdem durch. Das liegt daran, dass wir immer zu zweit einkaufen und als Einkaufszettel seit Ewigkeiten die Schweizer App Bring! verwenden. Die kann ich wirklich empfehlen. Das Schöne: Die App synchronisiert den Einkaufszettel ständig mit allen verbundenen Geräten. Entferne ich etwas aus der Liste, verschwindet es auch auf dem Smartphone meines Mannes. So können wir beide durch den Laden rennen und die Liste abarbeiten.
«Grocy» synchronisiert leider nicht. Oder ich habe nicht herausgefunden, wie das am besten geht. Ich kann Produkte beim Einkaufen entweder nur abhaken oder abhaken und gleich einbuchen. Nur Abhaken synchronisiert die App nicht. Direkt einbuchen will ich aber nicht, denn oft kaufe ich nicht die Menge, die auf dem Einkaufszettel steht. «Grocy» fügt automatisch die für den Mindestbestand fehlende Menge ein, zum Beispiel eine Packung Kaffee. Ist Kaffee im Angebot, kaufe ich aber zwei Packungen. Ich möchte nicht eine Packung jetzt einbuchen und eine erst später.
Ein weiteres Problem: Bring! ist einfach so praktisch und schnell, dass ich diese App weiter nutzen möchte. Dann habe ich aber zwei Einkaufslisten-Apps – da hört das mit dem «Praktisch» auch wieder auf.
Last but not least: Das Vorratstracking ist komplett unnötig, wenn ich entnommene Packungen einfach direkt in meine Einkaufs-App eintrage. Der Effekt ist schließlich derselbe – nur spare ich mir das ganze Anlegen und Tracken von Produkten und muss meinen Mann nicht immer daran erinnern, welche Vorräte er wann und wie zu tracken hat.
Und so stehe ich nun hier: willig, meine Lebensmittel zu digitalisieren, aber gescheitert am harten Boden der Realität. Zu viele Fragen konnte ich mir nicht sinnvoll beantworten – und ich habe hier auch nur einen Teil der Probleme geschildert. Der moderne Überblick über meine Vorräte bleibt also weiterhin nur ein frommer Wunsch.
Das Problem liegt aber ganz bei mir. «Grocy» ist umfangreich und bietet jede Menge tolle Möglichkeiten. Wer es schafft, sich eine sinnvolle Grundlage zu bauen und vielleicht Produktmanagement-Erfahrungen hat, der könnte damit sehr glücklich werden.
Was hältst du von einem Kühlschrank-ERP? Und falls du eines nutzt: Vielleicht hast du ja Tipps für mich?
Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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