
Meinung
5 Jahre «Baldur’s Gate 3»: Warum das Game ein unwiederholbares Meisterwerk bleibt
von Rainer Etzweiler

Irgendwo zwischen Steam-Downloads und Day-One-Patches haben wir etwas Wichtiges verloren: die knisternden Seiten eines frisch geöffneten Game-Manuals.
Wir neigen dazu, die Vergangenheit zu verklären: Kellogg’s Frosties schmeckten in unserer Kindheit besser, Comedy-Filme waren lustiger und Musik authentischer. Kurz: Früher war alles besser. Meistens ist das Quatsch und hält einer objektiven Betrachtung nur bedingt stand.
Es gibt allerdings Ausnahmen und eine davon ist: Früher hatten Videospiele Manuals und das war besser.
Videospiele sind ein junges Medium. «Tennis for Two», das allererste Werk, dem die Bezeichnung zugesprochen wird, erschien 1958. Klar, das ist auch schon eine Weile her, aber verglichen mit Filmen («Roundhay Garden Scene», 1888) und Bücher im modernen Sinne («Twilight» «Diamant Sutra» ca. 868 n. Chr.) sind die bewegten Pixel ein junger Hüpfer.
Der Screen leuchtet auf und... was zum Teufel sollst du jetzt machen? Da steht ein dicker Italiener mit Pornobalken und irgendwas, das aussieht wie deformierter Pilz wackelt auf ihn zu. Und jetzt? Kein Tutorial-Popup. Kein «Drücke A zum Springen». Gar nichts.
Selbst wie ein Controller auszusehen hat, war damals noch Ansichtssache. Es gab Joysticks, D-Pads und allerlei exotischen Bullshit. Was sich schlussendlich durchsetzen würde, wusste Mitte der 1980er-Jahre noch niemand.
Die logische Konsequenz: Spielanleitungen. Manuals waren keine nette Beigabe – sie waren essentiell, um das junge Medium einer unerfahrenen Kundschaft näherzubringen. Diese Notwendigkeit führte zu etwas Wunderbarem: Entwickler begannen zu realisieren, dass das Manual mehr sein konnte als nur eine sterile Instruktion. Es konnte Kunst sein. Oder zumindest so tun als ob.
1994 verbrachte ich meine Sommerferien in Campiglia Marittima in der Toskana. Genau wie im Jahr davor. Und ebenso wie im Jahr davor graute es mir vor den zwei Wochen in diesem Kaff, das fünf Kilometer weit vom Meer entfernt ist und einen Altersdurchschnitt von 127 Jahren aufweist.
Mein Gejammer darüber zeigte Wirkung und zu Beginn der Ferien überraschte mich meine Mutter mit «The Legend of Zelda: Link’s Awakening» für den Game Boy. Links erstes portables Abenteuer war grossartig, wegweisend und episch. Es gehört zu den besten Spielen für Nintendos Kult-Handheld.. Es gab allerdings ein kleines Problem: Ich hatte einen Game Gear und keinen Game Boy. Plot-Twist-Level: Shyamalan.
Nachdem meine Enttäuschung darüber irgendwann verarbeitet war und ich akzeptiert hatte, dass ich das Modul nicht mit purer Gedankenkraft auf der Konkurrenz-Konsole zum Laufen bringen würde, gab ich mich mit der nächstbesten Option zufrieden: dem akribischen Studium des Manuals.
Die Welt von «Link’s Awakening» blieb verschlossen für mich, aber die rund 30 Seiten der Spielanleitung erlaubten mir einen Blick in das unerreichbare Abenteuer. Losgelöst vom eigentlichen Spiel erlebte ich meine eigene Geschichte, zusammengesponnen aus den Story-Fetzen, dem Beschrieb der Items und den Charakter-Portraits.
Warum war Link auf Cocolint gestrandet? Was hat es mit dem Zauberpulver auf sich? Wer ist der Typ, der aussieht wie Mario? Und warum liegt hier überhaupt Stroh? Drei dieser vier Fragen beantworteten mir meine Fantasie, was ohne Manual nie möglich gewesen wäre.
Diese Obsession ist wahrscheinlich kein übergreifendes Erlebnis, aber sie illustriert, wie Manuals zum verlängerten Arm der Spiele wurden. Sie erweiterten das Universum, gaben Kontext und machten aus einer simplen Synopsis eine glaubwürdige Welt.
Das Spiel und sein Manual verstanden sich als Einheit, als Gesamtkunstwerk. Ich konnte endlos in den Heften blättern, die Illustrationen bewundern und mich mental auf das vorbereiten, was mich erwartet. Ein Vorspiel, quasi.
Die Anleitung von «Link’s Awakening» war opulent, im Vergleich zu anderen Releases aber ziemlich klassisch gehalten. An Ideen mangelte es Nintendo jedoch noch nie und das zeigte sich unter anderem am Manual von «F-Zero», das mit einem kompletten Comic daherkam.
Lucas Arts wiederum spendierte «Indiana Jones and the Emperor’s Tomb» ein Beiheft, das sich am Look von Indiana Jones’ Tagebuch orientierte und die Anleitung von «GTA Vice City» präsentierte sich als Touristenführer, inklusive Werbeseite mit diversen Shops und Brands aus dem Game.
Daneben lieferten die Hefte Lore en masse. Ich rätselte jahrelang darüber, warum Vega in «Street Fighter II» eine eiserne Maske trug, bis mir das Manual verriet, dass der eingebildete Sack damit sein Gesicht schützen will.
Diese Manuals hatten mehr Production Value als manche moderne AAA-Titel.
Noch besser hatten es PC-Gamer. Die grossen Kartonboxen boten Platz ohne Ende für Manuals mit dem Umfang von Romanen. Dazu gab’s oftmals Stoff-Karten, Keyboard-Overlays und physische Gadgets, die als Kopierschutz fungierten.
Letzteres ist eine Rabbit Hole für sich und würde den Rahmen hier komplett sprengen, aber vielleicht hat ja einer meiner disketten-schwingenden Kollegen (Come on Phil, du willst es doch auch) Lust darauf, diese Geschichte zu erzählen.
Der Punkt ist: Diese Boxen waren kleine Wundertüten. Man kaufte nicht nur ein Spiel, man kaufte ein Erlebnis und das Auspacken war ein Ritual.
Generation 7 (PS3, Xbox 360, Wii) war der Anfang vom Ende. 2011 verkündete EA, dass sie komplett auf gedruckte Manuals verzichten würden. Andere Publisher zogen rasch nach. Aus 40 Seiten wurden 20, dann 10 und am Ende musste ein schwarz-weisser Fetzen, der aussah wie die Gebrauchsanweisung für Ibuprofen, ausreichen.
Die 8. Generation (PS4, Xbox One, Switch) machte dann endgültig den Sarg zu. Reguläre Releases hatten bestenfalls noch eine Epilepsie-Warnung oder einen Online Pass-Code am Start. Die Gründe sind offensichtlich: Print kostet Geld und ausserdem übernahmen In-Game-Tutorials die Funktion der Manuals.
Lore, Charaktere-Biografien und Item-Beschreibungen zügelten ebenfalls in den digitalen Raum, womit es schlicht keinen legitimen Grund mehr gab, für ein Stück Papier. Zumindest aus Sicht der Publisher.
Im Jahr 2025 ist das Spiel-Manual de facto tot. Limited Run Games, iam8bit und andere Boutique-Publisher, die sich auf die Erhaltung physischer Releases spezialisiert haben, packen manchmal noch Manuals zu ihren Releases. Grössere Publisher klatschen ihren überteuerten Collector's Editions vielleicht mal ein Artbook dazu – für schlappe 200 Franken extra, versteht sich.
Darüber hinaus ist die Kunstform heute aber weitgehend verschwunden und ich finde das schade.
All das existiert nicht mehr.
Wie bereits in der Einleitung erwähnt, bin ich kein Anhänger des «Früher war alles besser»-Credos. Die Gaming-Szene war nie vielfältiger, zugänglicher oder demokratischer als heute. Nur weil wir damals mit weniger zufrieden sein mussten, war's nicht automatisch besser.
Aber Manuals, die waren tatsächlich besser. Sie waren kleine Kunstwerke, eine Aufmerksamkeit der Entwickler an ihre Fans und eine physische Verbindung zur virtuellen Welt. Sie machten aus einem Produkt ein Erlebnis und sie untermauerten den Fakt, dass Games stets mehr waren als nur ein Stück Unterhaltungssoftware.
Aber Totgesagte leben ja bekanntlich länger und vielleicht gilt das auch für Manuals. Die Vinyl-Renaissance hat gezeigt, dass Menschen bereit sind, für Haptik und Nostalgie zu zahlen. Die Kassettenverkäufe sind zuletzt wieder angestiegen und Polaroid-Cams waren sowieso nie wirklich weg.
Vielleicht erleben wir ja bald das Comeback der Game-Manuals. Oder wir gewöhnen uns daran, dass alles Greifbare irgendwann verschwindet. «Immer führt die Anhänglichkeit an das Objekt den Untergang des Besitzers herbei», sagte der französische Schriftsteller Marcel Proust einmal.
Aber der hatte auch nie das Manual von «Link's Awakening» in der Hand. Was weiss der schon?
In den frühen 90er-Jahren vererbte mir mein älterer Bruder sein NES mit «The Legend of Zelda» und startete damit eine Obsession, die bis heute anhält.
Hier liest du eine subjektive Meinung der Redaktion. Sie entspricht nicht zwingend der Haltung des Unternehmens.
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Eine Kommerzialisierung fand sogar erst in den späten 1970er-Jahren statt. Und als die ersten Heimkonsolen die Stuben und Kinderzimmer erreichten, war die Unterhaltungselektronik noch immer Neuland. Was wir heute beim Gamen intuitiv als ungeschriebene Regeln verstehen, hatte sich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht etabliert. Es mag surreal klingen, aber nicht alle Spielerinnen und Spieler wussten automatisch, was zu tun war, als sie 1985 «Super Mario Bros.» in ihr NES steckten.






Ein besonderes Lob verdient Working Designs. Der amerikanische Publisher verstand Manual-Kreation als olympische Disziplin und ging regelmässig die Extrameile. «Lunar: The Silver Star Story Complete», «Lunar 2: Eternal Blue Complete» und die «Arc The Lad Collection» kamen allesamt mit einer Anleitung in Form von einem gebundenen (Mini-)Buch daher. Mit Hardcover und allem Drum und Dran. Darin fanden sich nicht nur Tipps und Tricks, sondern auch Entwickler-Interviews, Making-of-Stories, Konzeptzeichnungen und manchmal sogar Witze und Easter Eggs.



Digital ist effizienter, keine Frage, aber etwas Magisches ging verloren: Das Gefühl, auf dem Heimweg in der Anleitung zu blättern, die Vorfreude, die sich beim Lesen der Charakterbeschreibungen aufbaute und ein Stück weit auch die (naive) Illusion, dass Videospiele primär für unsere Unterhaltung gemacht werden. Nicht nur, um die obszön hohen Bonuszahlungen von irgendwelche soziopathischen CEOs zu finanzieren. Looking at you, Bobby Kotick.


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