
Meinung
«Days Gone» und Co: Diesen sieben Games habe ich eine zweite Chance gegeben – und es nicht bereut
von Domagoj Belancic
Es gibt Spiele, an denen wir absolut nichts ändern würden. In diese sieben vollkommenen Meisterwerke haben wir uns unsterblich verliebt.
Kennst du dieses Gefühl? Du beendest ein Game, legst den Controller zur Seite und sitzt einen Moment still da. Du weisst, dass das, was du gerade erlebt hast, etwas Besonderes war. Auch wenn das Spiel vielleicht objektiv betrachtet Schwächen hat – für dich hat einfach alles gestimmt. Spielbare Perfektion.
Ich habe mich in der Redaktion umgehört – welche Games waren für unsere Autorinnen und Autoren «perfekt»?
«Hotel Dusk: Room 215» ist ein perfektes Spiel, weil es perfekt auf die Hardware des Nintendo DS zugeschnitten ist. Jeder Versuch, das Game auf eine andere Plattform zu portieren oder «besser zu machen», würde scheitern. Das macht es so speziell.
Ich schlüpfe in die Rolle des Ex-Polizisten Kyle Hyde, der eine Nacht im titelgebenden Hotel Dusk verbringt und in einen Kriminalfall verwickelt wird. Je mehr ich über die Gäste und die Geschichte des Hotels erfahre, desto merkwürdiger wird das Spiel.
Den Nintendo DS halte ich beim Spielen seitwärts, wie ein Buch. Kein Wunder, denn in «Hotel Dusk: Room 215» lese ich sehr viel. Zwischen den Dialogen mit den zwielichtigen Gästen löse ich allerlei Rätsel, die wortwörtlich alle Features nutzen, die die Hardware des DS zu bieten hat. Und das auf äusserst kreative Art und Weise.
Ich erinnere mich an ein Rätsel, in dem ich zwei Punkte auf dem Touchscreen gleichzeitig drücken muss, obwohl der DS kein Multitouch kann. Völlig geflasht hat mich auch ein Rätsel, in dem ich zunächst ein Puzzle auf dem Touchscreen zusammensetze und danach umdrehen muss, um eine Notiz auf der Rückseite zu lesen. Hört sich einfach an, aber wie zum Teufel kann ich das Puzzle umdrehen, ohne es kaputtzumachen? Die Lösung: Ich muss meinen DS zusammenklappen und wieder aufklappen, um das Puzzle von einem Screen auf den anderen zu bringen und es so zu drehen. Genial. Es gäbe noch dutzende weitere Beispiele, über die ich schwärmen könnte.
Als Samurai Jin Sakai die Insel Tsushima vor der Mongolenbelagerung zu retten ist repetitiv, die Story ist durchschaubar und die Quests sind generisch. Alles egal, ich habe das Game trotz objektiver Schwächen mit Hochgenuss fertig gespielt. Wenn bei «Ghost of Tsushima» das rote Herbstlaub von den Bäumen fällt und ich mich an ein Mongolencamp anschleiche, um dann drei Gegner mit meinem Schwert in einem Combo abzumurksen, fühle ich mich wie Jubei im Anime-Klassiker «Ninja Scroll».
Ja, war alles schonmal da und gab es danach wieder, aber weder «Rise of the Ronin», noch «Assasins Creed: Shadows» haben mir dieses übermächtige Gefühl gegeben, Samurai zu sein. Ein Traum für meinen inneren Weeb.
«MediEvil» ist eigentlich nur eines von vielen Action-Adventures, die damals für die erste Playstation erschienen sind. Für mich ist es aber eines der prägendsten Spiele überhaupt. In der Rolle des Skelett-Ritters Sir Daniel Fortesque muss ich dem bösen Zauberer Zarok das Handwerk legen. Dafür überquere ich unterschiedliche Levels mit Halloween-Feeling, die in Mausoleen, mystischen Wäldern oder Kristallhöhlen stattfinden. Fortesques ulkige Art hellt die gruselig angehauchte Welt stets auf. Ich wünsche mir, dass mehr Werke diese schaurig-lustige Stimmung so gut herüberbringen.
Die Levels von «MediEvil» sind vielfältig und bieten abwechslungsreiche Aufgaben. Zum Beispiel durchquere ich einen Irrgarten, indem ich die Herausforderungen des Rätselmeisters Jack angehe. Oder ich helfe der Kürbishexe, indem ich einen Ameisenhaufen für sie säubere. Dafür schrumpft sie mich zuerst auf die entsprechende Grösse. Als Belohnung winkt eine der stärksten Waffen im Spiel: die Hähnchenkeule.
Die Grösse der Levels ist ideal, um nicht zu lange auf der Suche nach den zahlreichen Geheimnissen zu sein. Besiege ich genügend Feinde in einem Abschnitt, erhalte ich den Seelenkelch als Ticket in die Halle der Helden. Dort warten neue Waffen auf mich, die Abwechslung ins Schnetzeln bringen. Das Komplettieren macht mir in keinem anderen Game so viel Spass – nicht einmal in für mich vergleichbare Genre-Vertreter wie die «The Legend of Zelda»- oder «Kingdom Hearts»-Reihen. «MediEvil» trifft die Mischung aus Erkundung, Rätseln und Schnetzeln perfekt.
Als Bonus besitzt das PS4-Remake von «MediEvil» einen weiteren perfekten Punkt: Komplettiere ich das Remake inklusive Zusatz-Aufgabe, die dem Original fehlt, schalte ich das PS1-Spiel auf meiner PS4-Disc frei. Wie geil ist dieser Fanservice bitte?
«Max Payne» ist in der Game-Welt genauso episch und einflussreich wie in der Film-Welt «The Matrix». Und wie bei Wachowskis Kultfilm folgten beim Game jahrelang Nachahmer, die das Konzept verzweifelt kopierten – meist vergeblich. Nirgends waren die Action-Szenen so spektakulär wie in Remedys Third-Person-Shooter. Wenn Max mit seiner schwarzen Lederjacke und orangem Hawaiihemd mitten durch den Kugelhagel hechtet und in Zeitlupe Gangstern Projektile in den Kopf jagt, ist das nicht zu überbieten. Es prägte den Begriff «Bullet Time» wie kein zweites Spiel. Und kein anderes Game habe ich nach dem Abspann so schnell neu gestartet wie «Max Payne».
John Woos «Strangehold» kam dem Spektakel sechs Jahre später am nächsten. Aber es fehlte eine entscheidende Zutat. Erst die düstere Geschichte und die ungewöhnliche Erzählweise machten «Max Payne» zum Meisterwerk. Erst verliert Max Frau und Kind durch einen brutalen Raubüberfall, danach wird dem Undercover-Cop ein Mord an einem Kollegen angehängt. Vieles davon wird durch Comic-Seiten visualisiert, die von Max vorgelesen werden. Die packende Erzählstimme des vor zwei Jahren verstorbenen Sprechers James McCaffrey begleitet mich auch während des Spiels mit bedeutungsschwangeren und von Metaphern geprägten Monologen. «They were all dead. The final gunshot was an exclamation mark to everything that had led to this point. I released my finger from the trigger, and then it was over». Noch heute bekomme ich davon Gänsehaut.
Alle Spiele der «Xeno»-Franchise sind Meisterwerke – behaupte ich einfach, obwohl ich die neueren Werke «Xenoblade Chronicles X», «Xenoblade Chronicles» und «Xenoblade Chronicles 3» NOCH nicht gespielt habe. Aber was Tetsuya Takahashi und Soraya Saga mit dem Erstling geschaffen haben, ist schlicht phänomenal. Dies gerade auch, weil der letzte Abschnitt des Games spielerisch wenig bringt. Denn aufgrund von Zeitdruck bei der Entwicklung war dieser eher ein Visual Novel mit Kämpfen in gewohnter JRPG-Manier zwischendurch. Der fragmentarische Ansatz passt aber derart gut zum Spiel, dass er mich auch heute noch begeistert.
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Fei Fong Wong, der an Gedächtnisschwund leidet. Seine Erinnerungen reichen nur drei Jahre zurück. Heute lebt er im beschaulichen Dörfchen Lahan. Die Ruhe währt jedoch nicht lange. Bei einem Zwischenfall besteigt er einen Gear, einen Roboter in Übergrösse, wie er aus Mecha-Animes bekannt ist. Dabei verliert er die Kontrolle und zerstört das Dorf. Er wird verbannt. Nach diesem Unglück will Fei nicht mehr kämpfen. Bald trifft er jedoch andere, die behaupten, seine Vergangenheit zu kennen. Er schliesst Freundschaften und mir nichts, dir nichts, ist er mit seiner Gruppe in einen Krieg verwickelt. Klassische JRPG-Kost also.
Die Geschichte ist jedoch vielschichtig und vermittelt subtil diverse philosophische Weltanschauungen. «Xenogears» hat mich denn auch dazu gebracht, Philosophie zu studieren und damit nachhaltig geprägt. Auch heute noch verliere ich mich gerne während Stunden in tiefgründigen Abhandlungen zum Spiel.
Dieses Game ist genau das richtige für heiße Sommertage. «Frostpunk» kühlt mich garantiert ab – und bringt mich trotzdem ins Schwitzen. Ich übernehme in diesem Steampunk-Setting die Führung einer kleinen Schar von Flüchtlingen aus London. Das Klima ist zusammengebrochen, die Erde von Schnee bedeckt und ich muss dafür sorgen, dass meine Schützlinge in den eisigen Weiten überleben. Ein Ding der Unmöglichkeit. Es wird Tote geben. Die Frage ist nur: wie viele?
Dieser Aufbausimulator stellt mich vor knallharte Entscheidungen. Schicke ich meine Leute bei minus 60 Grad ins Freie, wo sie unter der Gefahr von Erfrierungen Kohle einsammeln? Oder riskiere ich, dass der lebenspendende Wärmegenerator mangels Kohle herunterfährt und dann Menschen sterben? Mische ich Sägespäne ins karge Essen oder strecke ich es mit Wasser? Lasse ich Flüchtlinge in meine Siedlung, obwohl die Ressourcen knapp sind? Kinderarbeit würde sehr helfen, aber möchte ich das?
«Frostpunk» kann man, glaube ich, nur hassen oder lieben. Der Schwierigkeitsgrad ist hoch, die Hoffnung auf ein gutes Ende klein und als Anführerin muss ich ständig die Grenzen meiner eigenen Moral austesten. Ich habe den Story-Modus mehrmals durchgespielt, weil mich das Spiel dazu anspornt, es im neuen Durchgang besser zu machen. Weniger Menschen auf dem Gewissen zu haben. Für mehr Wärme zu sorgen.
Bisher konnte mich kein anderes Aufbauspiel taktisch und emotional so fordern wie «Frostpunk». Deswegen ist es für mich perfekt. Einige Elemente des Games finden sich übrigens in dem jüngeren «Ixion» wieder, das ebenfalls sehr empfehlenswert ist.
Für alle, die es (unfassbarerweise) noch nie gespielt haben: «Lemmings» ist ein Puzzle-Game, das Anfang der 90er das Licht der Welt erblickte. Du steuerst darin nicht einzelne Helden, sondern eine ganze Kolonne kleiner, bunter Lemminge mit grünen Wuschelhaaren, die unaufhaltsam vorwärtslaufen. Und genau das ist ihr Problem: Diese Tierchen marschieren blindlings in Abgründe, Lava oder Stacheln, wenn du sie nicht davor rettest. Deine Aufgabe: Lemmings mit Jobs ausstatten – buddeln, bauen, klettern, Fallschirm benutzen – damit möglichst viele den Ausgang erreichen. Es klingt simpel. Aber es ist ein geniales Puzzle-Chaos, das schnell zur Sucht mutiert.
Für mich war und ist «Lemmings» die perfekte Mischung aus Tüftelei, Stress, Humor und purem Wahnsinn. Die Level sind clever designt, voller Aha-Momente, und der Triumph, wenn plötzlich alles klappt, ist pures Glücksrauschen. Es ist bittersüß, manchmal ein paar kleine Kerlchen sprengen zu müssen, damit die Masse gerettet wird. Klingt morbide? Vielleicht. Aber es ist auch Teil des Spiels und macht es so besonders.
Gleichzeitig ist «Lemmings» eine Zeitreise zurück in meine Kindheit, zu quietschenden Soundeffekten und hektischen Mausklicks. Es ist das perfekte Puzzle-Game.
Was ist dein «perfektes» Spiel?
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.