
Meinung
Ab wann ist ein Spoiler kein Spoiler mehr?
von Domagoj Belancic
Superhelden in Games? Das ging oft schief. Aber wenn’s funktioniert, dann richtig: Von Spidey bis zu den X-Men – hier sind zehn Games, die beweisen, dass Cape-Träger auch in Pixeln glänzen können.
James Gunns Superman-Film läuft gerade im Kino und das Internet schlägt sich derzeit die Köpfe darüber ein, ob der Film nun gut, mies oder einfach nur okay ist. Bei mir wiederum hat er die Lust darauf geweckt, selbst zum Übermenschen zu werden. Wenn auch nur virtuell, weil alles andere wäre zu anstrengend. Dumm nur, dass die Geschichte der Superhelden-Games ungefähr so holprig verläuft wie Clark Kents erste Flugversuche.
Seit den frühen 80ern versuchen Entwickler verzweifelt, die Magie von Superhelden in spielbare Form zu pressen. Das Resultat? Ein Friedhof voll gescheiterter Ambitionen. Da wäre zum Beispiel «Silver Surfer» für das NES, dessen unfaires Spieldesign sogar den Youtuber Angry Videogame Nerd in die Knie gezwungen hat. Oder «Superman 64» – ein Game so legendär schlecht, dass es mehr als ein Vierteljahrhundert nach seinem Release immer noch als Aushängeschild für miserable Comic-Umsetzungen gilt.
Zwischen all dem digitalen Sondermüll gibt's auch immer wieder Ausnahmen, die beweisen: Superhelden-Games müssen nicht automatisch Superschrott sein. Von pixeligen Arcade-Krachern über düstere Open-World-Epen bis zu strategischen Überraschungshits – hier sind neun Games, die zeigen, was passiert, wenn Entwickler ihre Hausaufgaben machen.
Square Enix' «Guardians of the Galaxy» kam aus dem Nichts. Ein knappes Jahr zuvor hatte der Publisher «Marvel’s Avengers» an die Wand gefahren und damit sämtlichen Vertrauensvorschuss verballert, weshalb die Erwartungshaltung der Fans gering war. Umso überraschender war die Qualität des hochemotionalen Space-Opera-Abenteuers.
Klar, die Action ist mitunter etwas repetitiv und Star-Lord nervt ein bisschen, aber das Teamgefühl stimmt und die Story hat mehr Herz als mancher MCU-Streifen. Das ständige Gezeter zwischen den Guardians während der Action ist zudem Comedy-Gold, und wer bei der Lama-Szene kein Lachen ausspuckt, hat keine Seele. Ein lineares Single-Player-Abenteuer im Jahr 2021? In this economy?
Sucker Punch verstand schon zu PS3-Zeiten, was Spieler wollen: Power-Fantasy ohne schlechtes Gewissen. Kanalisiert wird diese bei «Infamous 2» wie schon im Debüt von Cole MacGrath, einem Ex-Fahrradkurier, der unverhofft zu Superkräften gekommen ist. Als Cole prügelst und elektroschockst du dich wild durch eine Stadt, die aussieht wie New Orleans nach der Apokalypse. Ob du deine Kräfte dabei zum Guten einsetzt, ist komplett dir überlassen.
Die Karma-Mechanik des Open-World-Games ist allerdings mehr als nur Schwarz-Weiss-Malerei – sie beeinflusst, wie die Stadt auf dich reagiert, eröffnet oder verschliesst den Zugang zu Fähigkeiten und legt schlussendlich fest, welches der beiden Enden du zu sehen bekommst.
Weh tun sie beide. Denn Sucker Punch traute sich das Unerhörte und liess Cole sterben (Ja, Spoiler. Aber come on, das Game ist fast 15 Jahre alt), was damals ziemlich mutig war.
Apropos Zerstörung: Möglicherweise bin ich ja zu einfach gestrickt, aber ich finde jede Sekunde, in der Hulk auf dem Bildschirm zu sehen ist und nicht irgendwas kaputt macht, verschwendete Zeit. Entwickler Radical Entertainment vertritt dieses Credo ebenfalls und darauf basiert das bis heute beste Game mit dem grünen Wutbündel
Man kann plattgewalzte Autos wie Skateboards surfen, Wolkenkratzer als Kletterwand missbrauchen und dabei Chaos à discrétion anrichten. Die Zerstörungs-Engine war ihrer Zeit voraus – praktisch alles ging kaputt und zwar spektakulär. «Hulk: Ultimate Destruction» kondensierte den Titelhelden auf das Wesentliche: rohe, unkontrollierbare Power. Kein komplizierter Skill-Tree, keine Dating-Sim mit Betty Ross, kein depressiver Bruce Banner. Einfach nur «HULK SMASH»!
Dass es nie einen würdigen Nachfolger gab, ist eine Schande, aber zumindest für Switch-2-Besitzer gibt es seit kurzem eine Alternative: In «Donkey Kong Bananza» kannst du deiner Zerstörungswut ähnlich freien Lauf lassen und das mit ganz viel Nintendo-Charme on top.
Bevor «Marvel Ultimate Alliance» die Superhelden-Brawler-Formel verwässerte, zeigte Raven Software mit «X-Men Legends», wie man eine Comic-Lizenz richtig umsetzt: Ein Action-RPG mit den Mutanten, das sich anfühlt wie eine spielbare Comic-Serie der frühen 2000er.
Fürs Gameplay bediente man sich grosszügig bei «Diablo», «Baldur’s Gate: Dark Alliance» und anderen Genrevertretern. Nicht besonders einfallsreich, aber wer braucht schon Innovation, wenn man stattdessen die «Nur noch einen Level»-Suchtrezeptoren triggern kann.
Die Story ist typischer Comic-Käse, aber im besten Sinne. Magneto, Sentinels, Morlocks – die Greatest Hits der X-Men-Mythologie. Kombiniert mit den abwechslungsreichen Levels und der tollen Synchronisation (inklusive Patrick Stewart als Professor X) wurde daraus eins der besten Superhelden-Games überhaupt.
Insomniac Games («Ratchet & Clank», «Sunset Overdrive») serviert keinen aufgewärmten Origin-Story-Aufguss, sondern steigt direkt in medias res ein. Peter Parker ist kein nerdiger Teenager mehr, Uncle Ben längst beerdigt und mit Mary-Jane ist ebenfalls Schluss – vermutlich wegen zu vielen verpatzten Dates aufgrund spontaner Superhelden-Einsätze.
Auf dem Fundament dieser Story liefert «Marvel’s Spider-Man» nicht nur den besten Titel mit dem Netzschwinger in der Titelrolle, sondern auch eins der besten Action-Adventures der letzten Konsolengeneration.
Manhattan als Spielplatz gibt sich verschwenderisch detailliert: Echte Stadtteile, erkennbare Landmarks und überall versteckte Marvel-Referenzen. Die Schwing-Mechanik ist absolut perfekt – das Gefühl, durch Manhattan zu gleiten, Tricks zu machen, an Wolkenkratzern entlang zu rennen – pure Poesie in Motion. Die Bosskämpfe sind interaktive Comic-Doppelseiten, das Kampfsystem flüssig und die Finisher, mit denen Spidey sich seiner Gegnern entledigt, sind auch nach dem hundertsten Mal noch genauso befriedigend.
Der Nachfolger ist seit knapp zwei Jahren erhältlich und macht vieles richtig, erreicht aber leider nicht die Brillanz von diesem Epos.
«WELCOME TO DIE»! Falls dir dieser Satz etwas sagt, ist jetzt wahrscheinlich Zeit für deine Omega-3-Tabletten. Mit dem Ausruf in lächerlich schlechtem Englisch begrüsste Magneto vor gut 30 Jahren die Spieler in Konamis Arcade-Kulthit, der schlicht «X-Men» heisst.
Der Spielautomat bespasst bis zu sechs Spieler gleichzeitig und liefert eine endlose Menge an Pixel-Gesocks, das es im Beat’em-Up-Stil aufzumischen gilt. Von links nach rechts laufen, prügeln, am Schwierigkeitsgrad verzweifeln – that’s it. Es waren simplere Zeiten.
Wo wir schon in den 90ern und bei Konami sind: Ein Jahr zuvor machte der japanische Entwickler die Träume aller Videospiel-begeisterten Schildkröten-Fans wahr mit dem so simplen wie unterhaltsamen «Turtles in Time».
Streng genommen sind die New Yorker Reptilien keine Superhelden. Aber derartige Details verschwimmen angesichts des zeitlosen Prügel-Klassikers, der uns Samstagmorgen-Cartoon-Vibes in die heimische Stube bringt. 2022 erschien mit «Teenage Mutant Ninja Turtles: Shredder's Revenge» ein inoffizieller Nachfolger, der ebenfalls einen Platz in dieser Liste verdient hätte, aber die ufert ohnehin schon langsam aus.
Ein rundenbasiertes Taktik-RPG mit Karten-Mechanik und Dating-Sim-Elementen? Auf Papier klingt das erstmal wie eine grauenvolle Idee. Die Entwickler von Firaxis («X-Com»-Serie) waren allerdings talentiert genug, um aus der absurden Prämisse ein überraschend grossartiges Spiel zu machen.
Dies gelingt vor allem dank dem kurzweiligen Gameplay-Loop, der soziale Aktivitäten mit Taktik-Kämpfen kombiniert. Du hängst tagsüber mit Blade ab oder streitest mit Iron Man über Filme, während du nachts die Welt rettest. Das Kampfsystem ist anspruchsvoll: Jeder Held hat ein Kartendeck mit Angriffen, Skills und einer Reihe von Spezial-Moves. Die Positionierung der Charaktere ist entscheidend und verlangt, dass du stets den vollen Überblick hast. Ein bisschen wie beim Schach, einfach mit mehr Lasern.
Ebenfalls überraschend ist die Roster-Auswahl: Neben bekannten Gesichtern wie Iron Man und Captain Marvel sind auch Nico Minoru, Magik und weitere Deep Cuts für echte Comic-Kenner dabei.
Keine Liste der besten Superhelden-Games wäre komplett ohne einen Teil von Rocksteady Studios' «Arkham»-Trilogie. Gut sind alle drei Titel, «Arkham City» ist allerdings Peak-Batman. Der perfekte Mittelweg zwischen dem klaustrophobischen «Asylum» und dem aufgeblähten «Knight». Eine ganze Stadtsektion Gothams als Open-Air-Gefängnis, Hugo Strange als Puppet Master und ein vergifteter Held, der gegen die Uhr kämpft. Die Stadt selbst ist der Star: Penguins Museum-Festung, Jokers Vergnügungspark, Two-Faces Gerichtsgebäude. Die Vertikalität ist revolutionär – ich FÜHLE mich wie Batman, ein Schatten, der Verbrecher aus der Dunkelheit schnappt.
Das überarbeitete Kampfsystem geht noch ein Stück flotter von der Hand als im Vorgänger und an einige der Bosskämpfe erinnere ich mich bis heute (un)gerne. Wer damals ebenfalls an Mr. Freeze verzweifelte, weiss was gemeint ist. Ebenfalls unvergessen bleibt Mark Hamills Joker-Auftritt mit einem Ende, das – mit Verlaub – Eier hatte.
Leider wurde Rocksteady zuletzt dazu verdammt, mit «Suicide Squad: Kill the Justice League» einen Live-Service-Looter-Shooter zu basteln, der Batman wortwörtlich ermordete. Von den Architekten des besten Batman-Games ever zu Handlangern der Gaming-Industrie-Gier – wenn das mal keine Villain-Origin-Story ist.
Welche Games vermisst du in dieser Liste?
In den frühen 90er-Jahren vererbte mir mein älterer Bruder sein NES mit «The Legend of Zelda» und startete damit eine Obsession, die bis heute anhält.