Kritik

«Europa Universalis 5»: das komplexeste Strategiespiel aller Zeiten?

Simon Balissat
31.10.2025

«Europa Universalis 5» simuliert 500 Jahre Weltgeschehen. Das riesige Strategiespiel ist komplex, verbuggt und macht extrem süchtig. Was ich genau tue, weiss ich noch immer nicht.

Ein Videogame zu testen, ist meistens recht einfach. Spiel zocken, Gedanken aufschreiben, positive und negative Punkte herausstreichen, einordnen, fertig. Dachte ich bisher. In «Europa Universalis 5» habe ich nun meinen Meister gefunden.

Selbst nach fast zwei Wochen zocken verstehe ich von den meisten Features nur wenig. Keine 100 Jahre sind in meinem Spiel ins virtuelle Land gestrichen, womit ich gerade mal ein Fünftel der simulierten Zeit erreicht habe. Winston Churchill hat 1942 gesagt: «Dies ist nicht das Ende. Es ist nicht einmal der Anfang vom Ende. Aber es ist vielleicht das Ende des Anfangs». Unter dieser Prämisse schreibe ich diesen Test.

Welches Land willst du spielen? Ja

«Europa Universalis 5» ist ein gigantisches Strategiespiel, das die Welt während 500 Jahren zwischen 1337 und 1837 simuliert. Nicht in Monaten, Wochen oder Tagen, sondern Stunde für Stunde. Die ganze Welt. Jedes einzelne Land, das 1337 existiert hat, kann ich übernehmen.

Das Ziel? Mache ich mir selbst. Historische Ereignisse lenken mich zwar in gewisse Richtungen, ich bin aber nie dazu verpflichtet, diese Richtung auch einzuschlagen. Mit den Osmanen muss ich keinesfalls den Balkan erobern. Als Schwyz muss ich keine Eidgenossenschaft gründen. Der 100 Jährige Krieg kann als England zum zehntägigen Scharmützel verkommen. Das alles liegt in meiner Hand, oder besser gesagt in meinen Tabellen.

Greater Zurich Area

Am einfachsten erkläre ich das an einem Beispiel. Ich übernehme den Stadtstaat Zürich im Jahr 1337. Die Stadt ist nicht in die Eidgenossenschaft eingegliedert und daher recht alleine. Umgeben vom Goliath Österreich, habe ich es zunächst auf das benachbarte Toggenburg abgesehen. Ich erkläre Toggenburg zum Rivalen, beleidige sie als Kuhmist und installiere zusätzlich Spione, die mir einen triftigen Kriegsgrund liefern.

In einer Schlacht ringe ich das Toggenburger Land ab. Als nächstes gehe ich ein Bündnis mit Österreich ein, um mein Gebiet mithilfe des Goliaths auf Schwyz zu erweitern. Dachte ich mir. Leider gurkt es die Österreicher an, ihre Truppen aus Wien zu schicken, weshalb der Krieg in einem mittleren Desaster endet. Dank ein paar Goldstücken kann ich einen Friedensvertrag mit Schwyz unterzeichnen, ohne Ländereien abgeben zu müssen. Glück gehabt.

Was nun? Meine Rohstoffe Weizen und Wolle bringen kaum Gulden ein, umgeben von den Grossreichen Österreich und Böhmen (das Österreich im Westen den Aargau abgeluchst hat) muss ich mich neu orientieren. Also versuche ich, mich vom Markt in Nürnberg zu lösen. Dort kaufen und verkaufen meine Händler nämlich bis jetzt ihre Waren. Das kommt im Mittelalter einer Weltreise gleich, entsprechend wenig Einfluss habe ich dort. Warum nicht meinen eigenen Marktplatz eröffnen?

Inside Markplatz

Fortschritt dank Automatisierung

Diese Episode zeigt, wie komplex die Mechaniken von «Europa Universalis 5» sind. Als blutiger Anfänger lerne ich mit jeder Entscheidung und jeder Aktion hinzu. Die Übersicht zu behalten und Konsequenzen zu antizipieren sind Schlüssel zum Erfolg und Grund für Frust zugleich. Zum Glück lässt sich vieles automatisieren. Den komplexen Handel von Waren habe ich eine Stunde lang versucht zu begreifen und dann frustriert aufgegeben.

Genauso hebt der Computer meine Soldaten aus, weil ich dafür keine Muse habe. Andererseits behalte ich die genaue Kontrolle darüber, was ich erforsche und welche Gebäude ich baue. Forschung und Stadtentwicklung liegen mir am Herzen. Und in ein paar Monaten wird es dann auf Youtube schon ein Tutorial geben, das mir den Handel so einfach erklärt, dass auch ich ihn begreife.

Was ich nicht einschätzen kann, ist, wie tief das Spiel nach mehreren hundert Stunden Spielzeit noch ist. Ich bin in der Verliebtheitsphase, alles ist neu und aufregend und ich will alles ausprobieren (keine sexuelle Anspielung). Das könnte sich nach mehreren Kampagnen ändern und zum Alltagstrott werden. Aktuell bin ich noch total begeistert, wenn mir ein Pop-Up mitteilt, dass ich meinen längst verstorbenen ersten Bürgermeister heilig sprechen darf.

Ich bin, frei nach Churchill, zum Glück erst am «Ende des Anfangs».

«Europa Universalis 5» ist ab dem 5. November erhältlich – für PC. Meine Version wurde mir freundlicherweise von Paradox Interactive zur Verfügung gestellt.

Fazit

Grosse Strategie mit steilem Einstieg

«Europa Universalis 5» ist ein Traum für Geschichts-Nerds und Strategie-Freaks. Die Einstiegshürde ist gewaltig, ich habe sie selbst nicht zu einem Zehntel gemeistert. Dutzende Male bin ich an kleinen Unachtsamkeiten gescheitert. Und habe dann Automationen entdeckt, welche die Frustration in Grenzen hielten. Dann erwartet dich eines der komplexesten, detailliertesten und unterhaltendsten Strategiespiele je. Brauchst du klare Ziele und vorgegeben Herausforderungen, dann ist dieses Game nichts für dich. Wirst du gerne ins kalte Wasser geworfen und hast du Bock darauf, deine mittelalterlichen Machtfantasien hinter komplexen Mechanismen auszuleben, dann ist «Europa Universalis 5» genau dein Spiel.

Pro

  • gigantischer Umfang
  • Automation vereinfacht komplexe Mechanismen
  • geschichtliche Einordnung
  • übersichtliche Bedienung

Contra

  • Bugs und Ruckler
  • extrem hohe Einstiegshürde

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Als ich vor über 15 Jahren das Hotel Mama verlassen habe, musste ich plötzlich selber für mich kochen. Aus der Not wurde eine Tugend und seither kann ich nicht mehr leben, ohne den Kochlöffel zu schwingen. Ich bin ein regelrechter Food-Junkie, der von Junk-Food bis Sterneküche alles einsaugt. Wortwörtlich: Ich esse nämlich viel zu schnell. 


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