David Lee
Produkttest

Apple Vision Pro im Test: magisch, aber einsam

Ist Apples neue Brille die Revolution des Computings oder nur ein teures Spielzeug? Ich habe in der Vision Pro nach der Zukunft gesucht. Gefunden habe ich Genialität, Potenzial und Sackgassen.

Nach der Ankündigung war ich skeptisch, ob die Vision Pro einen Mehrwert bietet. Nun konnte ich sie einige Stunden ausprobieren und stehe vor einem Paradoxon. Viele meiner Befürchtungen haben sich bewahrheitet. Die Vision Pro ist zum Preis von mindestens 3500 US-Dollar ein irrationales Produkt. Aber ich will das Ding trotzdem.

Verzaubernder erster Eindruck

Ich stehe im Wintergarten von Digitec-Galaxus-Kunde René Vogel. Der Apple-Fan hat sich die Vision Pro in New York geholt und lässt mich sie ein paar Stunden ausprobieren. Er selbst ist hellauf begeistert, wie er im Interview erzählt.

Die Bedienung wirkt im ersten Moment magisch: Ich brauche keine Controller. Mein Blick ist der Cursor, meine Hand die Maustaste. Um etwas auszuwählen, muss ich es anschauen und Daumen und Zeigefinger zusammenführen. Wo ich das mache, ist egal, solange es im Sichtfeld des Headsets passiert. Ich kann Dinge festhalten und im Raum verschieben. Mit zwei Händen zoome ich rein und raus. Das Konzept ist ähnlich intuitiv wie Multi-Touch auf einem Smartphone.

Nach den ersten fünf Minuten muss ich meine Kinnlade vom Boden aufheben. Erlebe ich gerade ein ähnlich revolutionäres Produkt wie das erste iPhone?

Technische Herkulesleistung

Gewisse Parallelen sind nicht von der Hand zu weisen. Wie schon mit dem iPhone hat Apple mit der Vision Pro keine neue Produktkategorie erfunden. Sie ist im Kern eine VR-Brille mit AR-Simulation – egal, wie oft Tim Cook sie einen «räumlichen Computer» nennt. Die Grundidee ist die gleiche wie die der Meta Quest Pro, die ich vor über einem Jahr getestet habe.

Die Revolution liegt wie bei den meisten Apple-Produkten in der Umsetzung. Die Vision Pro ist die erste VR-Brille, die ich nicht nach einer halben Stunde ausziehen will. Genau wie das iPhone das erste Smartphone war, das ich tatsächlich benutzen wollte.

Fünf Dinge machen die Vision Pro besser als alles bisher Dagewesene:

Eine Vision Pro mit 512 GB Speicher und etwas Zubehör dürfte in der Schweiz über 4500 Franken kosten. Private Importe aus den USA wechseln im Moment für mindestens 5500 Franken die Besitzer.

Zerbrechliche Magie mit Sackgassen

Zu diesem Preis erhältst du die beste VR-Brille, die es gibt. Das macht sie aber bei weitem nicht zu einem perfekten Produkt. Die Magie der Vision Pro ist zerbrechlich und es gibt Dinge, die sie zeitweise entzaubern. Einige davon könnte Apple in kommenden Generationen verbessern. Andere sind Sackgassen des Konzepts.

Dinge mit Verbesserungspotenzial:

  • Personas: Weil die Vision Pro das Gesicht nur von nahem sieht, muss sie für Videocalls auf Gesichtsscans zurückgreifen. Für diese «Personas» kassiert Apple im Netz viel Häme. Ein Sturm im Wasserglas. Natürlich hat das Feature Verbesserungspotenzial, störend finde ich es aber nicht. Ich kann damit jetzt schon klar die Person und deren Mimik erkennen.

Konzeptionelle Endstationen:

Wozu ist die Vision Pro gut?

Entertainment

Der Gaming-Bereich liegt noch brach. Am ehesten lässt sich die Brille als Gesichtsfernseher mit externem Gamepad verwenden. Entweder für Spiele auf einem Mac oder vielleicht bald mit nativen Apps für Cloudgaming-Dienste wie GeForce NOW. VR-Games wären ebenfalls möglich, hier sehe ich aber Headsets mit Controllern wie die PSVR2 oder die Meta Quest 3 klar im Vorteil.

Produktivität

Würde ich das zuhause oder im Büro freiwillig tun? Wahrscheinlich nicht. Ein echter Monitor ist besser. Und ich muss mir dafür keinen Gesichtscomputer anschnallen. Selbst wenn die Brille leichter und noch besser wäre, würde sich daran nichts ändern. Anders sieht es unterwegs aus. Im Flugzeug oder in einem Hotelzimmer wäre mir die riesige Arbeitsfläche die zerstörte Frisur wert.

Augmented und Mixed Reality

Youtuberin Cleo Abram reflektiert in ihrem neuesten Video das Potenzial von AR und MR:

Möglichkeiten gäbe es viele. René arbeitet zum Beispiel im Museumsbereich und könnte sich virtuelle Rundgänge für Personen vorstellen, die nicht zu einem physischen Besuch in der Lage sind. Oder historische Wanderwege, die stellenweise mit digitalen Inhalten angereichert werden. So könnte zum Beispiel aus einer Ruine das ursprüngliche Gebäude werden.

Fazit: faszinierende Simulation einer Vision

Die Apple Vision Pro ist aufregend. Eine Machtdemonstration von Apples Ingenieurskunst. Es ist die erste VR-Brille, die ich tatsächlich haben will. Sie ist schöner, schärfer, präziser, bequemer und durchdachter als alles bisher Dagewesene. Dank Apples Strahlkraft, nahtloser Integration ins Ökosystem und geschicktem Marketing entfacht sie einen Hype, von dem andere Hersteller wie Meta nur träumen können.

Es ist ein Kompromiss, den Apple-CEO Tim Cook bewusst eingegangen ist. Die Vision Pro ist eine Simulation der physisch transparenten AR-Brille, die er eigentlich bauen will. Ob er es jemals können wird, steht in den Sternen. Und wenn die Technik irgendwann soweit ist, birgt auch dieses Konzept Kompromisse.

In der Gegenwart sehe ich für die Vision Pro vor allem zwei Anwendungsgebiete: als mobiles Kino und als externer Bildschirm für einen Mac. Das erste Erlebnis ist so gut, dass ich es sogar zuhause nutzen würde. Das zweite ist einem stationären Arbeitsplatz zwar unterlegen, aber unterwegs ein echter Mehrwert. Einen solchen könnten in Zukunft auch Games, AR- und MR-Inhalte bieten. Doch ich bewerte ein Produkt nicht nach dem Prinzip Hoffnung.

Ist die Vision Pro unter dem Strich ihren astronomischen Preis wert? Nur für eine winzige Zielgruppe von Enthusiasten. Du bezahlst die Entwicklungskosten für ein futuristisches Pionierprodukt der ersten Generation, das nichts ersetzt, sondern höchstens ergänzt. Bist du dir dessen bewusst und es ist dir egal, wird dich Apples Brille nicht enttäuschen. Sie macht Spass. Ich werde als Nerd nur schwer widerstehen können.

Titelbild: David Lee

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.


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