
Meinung
«Wednesday» Season 2 ist ein Desaster
von Luca Fontana


Kathryn Bigelow seziert die Selbstzufriedenheit einer Welt, die sich an den Ausnahmezustand gewöhnt hat und fragt: Was passiert, wenn das Undenkbare wirklich geschieht? Aber – es gibt ein unsägliches Aber.
Achtung: Dies ist ein Meinungsbeitrag mit Spoilern zu «A House of Dynamite». Guck dir den Film auf Netflix an, bevor du weiterliest.
In Kathryn Bigelows «A House of Dynamite» beginnt der Tag so quälend langweilig wie jeder andere. Die Sonne geht auf, Menschen fahren zur Arbeit, irgendjemand macht einen Witz über den Kaffee. Selbst in den höchsten Kreisen der nationalen Sicherheit Amerikas wirkt alles routiniert – Briefings, Protokolle, Meetings. Das Rad dreht sich. Immer weiter.
Und dann, mitten in dieser gähnenden Normalität, taucht er auf: Ein nuklearer Sprengkopf, irgendwo über dem asiatischen Ozean, der Kurs auf Chicago, Illinois genommen hat. Es bleiben gerade mal 19 Minuten bis zum Einschlag. Zehn Millionen Menschen werden den Abend dieses stinknormalen Tages wohl nicht mehr erleben. Sie wissen’s nur nicht. Werden’s wohl auch nie.
Was nun?
Regisseurin Bigelow montiert ihr Szenario wie ein Uhrwerk, das langsam auseinanderfällt. Sie zeigt dieselben 19 Minuten, dieselbe Katastrophe, nacheinander aus Sicht von drei Figuren.
Zuerst aus Olivia Walkers (Rebecca Ferguson), hochkonzentriert, eiskalt, bis das Undenkbare real wird. Dann aus Sicht des Sicherheitsberaters (Gabriel Basso), dessen Selbstvertrauen im Minutentakt zerbröselt. Und schliesslich noch aus jener des Präsidenten selbst (Idris Elba), der mehr an einem gutherzigen Maskottchen erinnert als an einen starken Führer.
Das Konzept klingt theoretisch, fast zu methodisch. Aber Bigelow lässt es atmen. Sie nimmt sich Zeit für die kleinen Dramen zwischen den grossen Entscheidungen – die Blicke, die zittrigen Hände, während sie auf der Suche nach dem richtigen Vorgehen durch Telefonbuch-ducke Wälzer blättern, die stillen Panikmomente, wenn jemand merkt, dass kein Plan, keine Ausbildung, kein verdammter Drill der Welt einen auf diesen Moment vorbereiten kann.
So entsteht ein Puzzle aus Hilflosigkeit. Ein System, das vorgibt, alles im Griff zu haben, und dann zusehen muss, wie der Griff bricht. Bigelow und ihr Autor Noah Oppenheim führen uns damit gnadenlos vor Augen, wie brüchig unsere vermeintliche Ordnung ist. Wie trügerisch die Routine und Protokolle, auf die wir uns verlassen.
… und wie gefährlich die Selbstverständlichkeit ist, mit der wir unser Überleben verwalten.
Denn dieses «House of Dynamite», von dem der Titel spricht – das ist keine blosse Floskel. Es ist unsere Welt. Eine, die bis unter die Decke vollgestopft ist mit Sprengstoff, politischen Spannungen, nuklearen Arsenalen, Egoismen und Zufällen. Und wir sitzen mittendrin, trinken Kaffee und glauben, der Rauchmelder wird’s schon richten, falls die Lunte brennt.
Als ob uns so ein gottverdammter Rauchmelder retten könnte.
Bis hierhin funktioniert der Film perfekt. Die Spannung ist unerträglich. Das Haus voller Dynamit steht, jede Sekunde fühlt sich wie die letzte an. Mit Schrecken stelle ich fest, dass wir wohl tatsächlich kaum vorbereitet wären auf so ein Szenario – auf das Ende aller Dinge, verwaltet von übermüdeten Menschen in schlecht beleuchteten Büros.
Jetzt geht’s nur noch um die Auflösung dieser Spannung. Um den Einschlag. Oder den Nicht-Einschlag.
Und dann – nichts.
Nichts!?
Jap, richtig gelesen. Nach den dritten 19 Minuten hört der Film einfach auf. Genau dort, wo er die beiden Male zuvor auch aufhörte: im Cliffhanger. Der Countdown steht still, das Bild wird schwarz. Kein Knall. Kein Rauch. Kein Danach. Nur der Abspann. Und wir fühlen uns, als ob wir niesen wollten, aber nicht können.
Natürlich weiss Bigelow, was sie da tut. Sie weiss, wie sehr uns das zur Weissglut treiben wird. Die Frau ist Oscar-Preisträgerin, sie hat «Zero Dark Thirty» und «The Hurt Locker» gemacht. Sie kennt Spannung, sie kennt Eskalation. Hier aber will sie uns mit Leere bestrafen – uns schockieren, provozieren und zum Nachdenken zwingen. Wir sollen uns das Ende selbst ausmalen.
Nur: Für mich macht sie es sich damit zu einfach.
Ja, wir leben in einem Haus voller Dynamit. Aber wenn Bigelow das so radikal behauptet, dann muss sie auch zeigen, was passiert, wenn sich die Lunte nicht mehr löschen lässt. Oder zumindest, wie sie sich löschen lassen könnte. Bigelow entscheidet sich für nichts dergleichen. Oder besser: Sie entscheidet sich für den stillen Schock. Für die intellektuelle Pose des «Ich sag nichts, das ist mein Punkt».
Aber – und das ist das grosse Aber – ein Film braucht ein Ende. Irgendeines. Eine Konsequenz. Eine Idee. Ein Statement. Eine Pointe. So aber fällt er genauso flach in sich zusammen wie die ganzen Sicherheitsprotokolle, und wir kriegen nichts als eine kratzende Stelle, an die wir beim besten Willen nicht rankommen.
Was denkst du? Erfüllt der Schockmoment seinen Zweck, oder hätte der Film ein Ende gebraucht? Schreib’s in die Kommentarspalte. Apropos: In der aktuellen Folge des Tech-telmechtel-Podcasts reden wir ebenfalls über das Thema.


Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.
Hier liest du eine subjektive Meinung der Redaktion. Sie entspricht nicht zwingend der Haltung des Unternehmens.
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