Hintergrund

Wofür taugen Objektive ohne Autofokus?

David Lee
3.6.2025
Bilder: David Lee

Manuelle Objektive sind günstig, aber dies sollte nicht der Grund sein, eines zu kaufen. Es ist ein bewusster Entscheid, Einschränkungen in Kauf zu nehmen – oder sogar zu geniessen.

Daneben gibt es einen zweiten Grund, warum manuelle Objektive attraktiv sein können: Sie kosten weniger als vergleichbare Objektive mit Autofokus. Hersteller wie 7artisans, Voigtländer oder TTArtisan haben hier eine Marktlücke entdeckt. Sie bieten zahlreiche Objektive, die auf jegliche Elektronik verzichten und deshalb sehr günstig sind.

So auch das TTArtisan 50mm f/1.2. Es kostet nur um die 100 Franken oder Euro. Dieses Objektiv gibt es für alle gängigen aktuellen Bajonette: Canon, Fujifilm, Nikon, Sony, L-Mount und MFT. Ich habe die Version für Canon ausprobiert.

Das Objektiv ist schon mehrere Jahre alt und du findest im Netz zahlreiche Testberichte dazu. Ich will keinen weiteren Testbericht abliefern, sondern benutze das Objektiv, um Erfahrungen mit dieser Art des Fotografierens zu sammeln.

Da es sich um ein Objektiv für APS-C-Sensoren handelt, verkleinert sich der Bildausschnitt an einer Vollformatkamera um den Faktor 1,6 – oder die Ecken bleiben dunkel. Die Linse ist trotz hoher Lichtstärke klein – einerseits wegen dem APS-C-Format, andererseits weil ausser dem Glas nichts drin ist – keine Fokusmotoren, kein Bildstabilisator.

Keine elektronische Datenübertragung

Zudem weiss die Kamera nicht, welche Blende eingestellt ist. Die Blendenvorwahl (Av) funktioniert trotzdem, lediglich die Blendeninformation fehlt in den Metadaten. Der manuelle Modus M funktioniert ebenfalls, P und Tv (bzw. S) hingegen nicht. Ich kann in diesen Modi zwar Bilder machen, aber sie werden falsch belichtet.

Zwei Hilfsmittel zum manuellen Fokussieren

Zu Beginn werden meine Fotos nur selten scharf. Das liegt daran, dass ich weder im Sucher noch auf dem LCD erkenne, ob der Fokuspunkt genau am richtigen Ort liegt. Ich aktiviere daher das Focus Peaking. Dabei werden mir im Sucher die scharfen Bildteile rot markiert. Diese erweitern sich mit der Tiefenschärfe. Jep, das funktioniert auch ohne Datenübertragung, denn es wird das Bild analysiert.

Ich merke allerdings schnell, dass mich die roten Kanten bei der Wahl des Bildauschnitts stören. Daher nutze ich die zweite Hilfe: Die Lupe zeigt mir in zwei Schritten den Bildausschnitt sechsfach oder fünfzehnfach vergrössert an. Damit kann ich genau auf einen bestimmten Punkt fokussieren. Mit dem Mini-Joystick verschiebe ich den Ausschnitt.

Serienbildfunktion erhöht die Trefferwahrscheinlichkeit

Mit einer Blende von f/1,2 ist die Schärfentiefe so gering, dass durch die kleinste Bewegung der Fokus daneben liegen kann. Das betrifft einerseits Bewegungen der Kamera, etwa wenn ich ohne Stativ fotografiere und mich nirgends abstützen kann. Andererseits auch Bewegungen des Motivs, etwa bei einem Porträt oder wenn sich eine Pflanze leicht im Wind bewegt.

In diesen Fällen hilft die Serienbildfunktion. Ich schiesse dabei in kürzester Zeit etwa fünf Bilder, in der Hoffnung, dass eines davon am gewünschten Ort perfekt scharf ist. Das produziert allerdings eine grosse Menge Ausschuss und es garantiert nicht, dass ein Bild wirklich perfekt scharf ist. Es erhöht nur die Chance.

Objekte im Nahbereich: Ja, aber nicht mit diesem Objektiv

Hier musste ich auf f/2 erhöhen, damit es klappt. Der Hintergrund ist auch dann noch ruhig genug.

Sport & Wildtiere

Für Sport könnte ein manuelles Teleobjektiv wie das TTArtisan 500mm sinnvoll sein. Für Wildtiere sehe ich das weniger. Ausser, wenn sie schlafen.

Video

In gewissen Fällen ist ein manuelles Objektiv auch für Videos brauchbar. Natürlich muss es sich um eine Szene handeln, in der du nicht ständig neu fokussieren musst. Und du kannst beim Fokussieren die Geschwindigkeit selbst wählen. Typischerweise nimmst du ein Stativ zu Hilfe. Da manuelle Objektive weder einen Fokusmotor noch einen Bildstabilisator haben, verursachen sie keine Störgeräusche, die auf dem Video zu hören wären.

Fazit: Auf keinen Fall nur wegen dem Preis kaufen

Hast du hingegen Freude am langsamen, statischen Fotografieren, liegst du mit einem manuellen Objektiv richtig. Landschaftsfotografie geht sehr gut, wenn du dir etwas Zeit nimmst. Objektfotografie ebenfalls, sofern du mit dem Objektiv genügend nahe herankommst. Lustigerweise gelingen sogar bestimmte Sportaufnahmen, auch wenn das sicher nicht die Domäne manueller Objektive ist.

40 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


Foto und Video
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Hintergrund

Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Hintergrund

    Fünf Monate auf Reisen mit einem Billig-Objektiv – die Bilanz

    von David Lee

  • Hintergrund

    Tokina SZ Pro: Drei Spiegelobjektive im Test

    von David Lee

  • Hintergrund

    Warum ich in den Ferien künftig analog fotografiere

    von Samuel Buchmann