
Kritik
«Atomfall» im Test: Spannendes Konzept, holprige Umsetzung
von Philipp Rüegg
Die Lebenssimulation «Pixelshire» lockt mit knuffiger Pixel-Art und der Aussicht auf ein entspanntes Landleben. Schnell entpuppt sich der Schein als trügerisch. Was wie ein gemütliches Spiel aussieht, wird zur frustrierenden Tragödie.
Mein Abenteuer beginnt mit einem dramatischen Paukenschlag: Als Schiffbrüchige strande ich nach einem Brand auf See in der Hafenstadt Pixelshire. Der freundliche Kapitän Farrell gewährt Unterschlupf, doch eine tiefgründige Geschichte bleibt aus. Stattdessen werde ich direkt ins kalte Wasser geworfen – oder besser gesagt, auf den staubigen Pfaden zwischen den Dorfbewohnern herumgehetzt.
Die erste Aufgabe führt mich mit einem Kompass von Kapitän Farrell schnurstracks zur Bürgermeisterin Eva. Diese wiederum schickt mich zur Gärtnerin Margarita, um ihr bei der Zubereitung einer Tomatensuppe für den Kapitän zu helfen. Bereits hier offenbart sich die hakelige Steuerung und die spärliche Einführung ins Spielgeschehen. An dieser Stelle möchte ich gerne erwähnen: «Pixelshire» ist ein Full Release Game, Krankheiten eines Early-Access-Titels dürfte es nicht haben.
Für die simple Tomatensuppe gilt es zunächst, Samen bei Margarita zu erwerben – versteckt in einem Shop, der erst durch Interaktion mit ihr zugänglich wird. Nach dem Kauf soll ich die Samen anpflanzen und bewässern. Hacke und Giesskanne muss ich dafür umständlich und mehrmals aus dem Inventar in den Werkzeugring ziehen, bis es klappt. Das Einpflanzen der Samen geht noch in Ordnung, aber beim Giessen ist Millimeterarbeit gefragt, um die kleinen Pflänzchen zu treffen. Stehe ich einen Pixel zu weit weg, schütte ich das Wasser daneben. Und obwohl ich sie giesse, sind sie am nächsten Tag verdorben. Ich bin verwirrt.
Dass Margarita die Suppe fertig hat, bevor die Tomaten gewachsen sind, kommt mir da gelegen. Um die fertige Suppe Kapitän Farrell zu überreichen, bedarf es einer wahren Klickorgie durch ein Menü. Die unnötige Komplexität und die verwirrende Darstellung des Datenblattes macht die simple Aufgabe zum mühsamen Rätselspiel.
Auch spätere Aufgaben entpuppen sich als Stolpersteine. Ein sechs Zoll grosses Loch für den Kapitän zu graben, erweist sich als unerwartet aufwendig. Ist es nämlich gegraben, erfahre ich, dass ich es jetzt verkleinern soll. Und einen Hügel dazubauen. Wie genau, wird nicht erklärt. Ich finde nach längerem Suchen unten links ein Auswahlmenü für das Werkzeug in Form von drei Icons (ausheben, zubuddeln, Rampe anbauen). Der Bau einer Rampe dazu ist eine weitere Aktion, um die Quest abzuschliessen. Für jeden einzelnen dieser Schritte muss ich warten, bis mich der Kapitän dazu auffordert, sonst zählt er nicht. Dumm nur, habe ich eine Rampe hinauf gebaut, bevor der Kapitän mir das sagt. Also muss ich sie nochmals abbauen und wieder aufbauen.
Beim Pflanzen von Reis für Margarita führt mein übereifriger Kauf aller Samen dazu, dass für eine zusätzliche Pflanzung keine mehr vorhanden sind. Da die Aufgabe erst als erfüllt gilt, wenn ich ein weiteres Mal Reis anbaue, muss ich den aktuellen Spielstand aufgeben, weil ich sonst darin festhänge. Ironischerweise benötigt Margarita den Reis gar nicht mehr, um ihren Pudding zu kochen. Obwohl die Quest das impliziert hatte. Die Übergabe an Eva erfolgt unkompliziert per Gespräch. Ganz anders als noch bei der Tomatensuppe für Kapitän Farrell.
Die Präsentation des Spiels trägt zusätzlich zur Verwirrung bei. Werkzeuge sehen im Spiel selbst völlig anders aus als im Werkzeugring, nicht einmal die Farben stimmen überein. Meine Holzwerkzeuge, die ich bekomme, sind zwar braun. Im Werkzeugring ist dann aber alles grau. Spätestens beim Erhalt von Schaufel, Axt und Spitzhacke wird das Rätselraten zum ständigen Begleiter: Die grauen Pixelwerkzeuge sehen nahezu gleich aus. Meine spätere Kupferhacke hat im Werkzeugring das gleiche Grau wie die Holzhacke.
Eine anfängliche Aussage des Kapitäns, ich dürfe vorübergehend in seinem Bett schlafen, erweist sich als leere Versprechung. Und ohne Bett keine Speicherfunktion – ein herber Rückschlag. Erst, nachdem ich Eva ihren Reispudding bringe, offenbart sie die Existenz eines Gästezimmers. Endlich kann ich den Spielstand sichern. Der nächste Tag beginnt natürlich mit einem erneuten Gespräch mit Eva und Margarita und dem Kapitän und Jack. Eigentlich sollte ich laut Jack zu Margarita, damit sie mir etwas beibringt, allerdings kocht sie nur irgendeine andere Reismahlzeit für Eva.
Der anfangs vom Kapitän erhaltene Kompass erweist sich zudem als wenig hilfreich, wenn es darum geht, Personen in ihren Häusern zu finden. Statt einer Richtungsangabe erscheint lediglich ein Haus-Icon, die genaue Position muss ich erraten. Zum Glück weiss ich mit der Zeit, wo die Häuser sind.
Beim Bau des ersten eigenen Hauses offenbaren sich weitere Schwächen des Spiels. Der Schmelzofen benötigt Brennmaterial, das nach der Auswahl nochmals explizit aktiviert werden muss. Obendrauf dauert das Schmelzen von Steinerz und Co. im Schmelzofen seine Zeit. Manchmal bis zu drei Minuten. Immerhin kann ich in der Zeit etwas anderes erledigen und die Teile später einsammeln. Aber immer nur eine Sorte Erz auf einmal.
Die Vorfreude auf das erste eigene Haus wird jäh getrübt: Das Ergebnis erinnert mich an eine unglückliche Kreuzung aus Sandburg und Zelt. Die Möglichkeit, das Interieur mit einem eigens gebauten Stuhl und einer Pflanze zu gestalten, erweist sich als Farce. Der Stuhl lässt sich nur nach links oder rechts platzieren und nicht benutzen. Die Pflanze verweigert die Platzierung an vielen scheinbar freien Stellen. Eine weitere, etwas nervige Tatsache an dieser Stelle: Falsch platzierte Gegenstände kann ich ohne Hammer nicht abbauen und sie gehen beim Platzieren im Freien unwiederbringlich verloren.
Das Angeln, in anderen Lebenssimulationen oft ein entspannendes Minispiel, präsentiert sich in «Pixelshire» als wirre Knopfdrückerei, bei der ich die Anleitung aufgrund gleichfarbiger Buttons zu Beginn nicht verstehe. Anschliessend finde ich das Spiel ganz witzig, auch wenn es nichts mit Angeln zu tun hat.
Das Fällen der Bäume klappt nicht immer aus jedem Winkel und lässt meinen Ausdauerbalken dahinschmelzen. Diese Ausdaueranzeige füllt sich nach dem Essen nur minimal, sodass ich gezwungen bin, mehrfach schlafen zu gehen. Der Prozess für ein bisschen Holz zieht sich damit aber quälend in die Länge und macht mir einfach keinen Spass.
In einer nahe gelegenen Goldmine kann ich diverse Metalle abtragen. Hier komme ich erstmals mit meinem Skilltree in Berührung. Der Zugang zu einem tiefer gelegenen Ort ist mit Eisenerz versperrt. Um dieses abzutragen, brauche ich bestimmte Skillpunkte. Es stellt sich heraus, dass ich besseres Werkzeug brauche und die dafür erhaltenen Erfahrungspunkte im Skilltree aktivieren muss. Das Werkzeug erhalte ich ohne Umschweife vom Minenarbeiter vor Ort.
Der Skilltree selbst präsentiert sich als unübersichtliches Menü. Die Logik hinter den Quest-Belohnungen und der Skill-Entwicklung bleibt weitestgehend im Dunkeln. Was ich für eine Verbesserung tun muss, wird mir nicht erklärt. Nur, was sich verändert hat, sobald ich besser bin: Mal habe ich nun bessere Handschuhe fürs Angeln, mal einen besseren Griff fürs Abtragen von Erz.
Die Skill-Level sind in Zahlen angegeben, was meine Vermutung nahelegt, dass beispielsweise eine bestimmte Anzahl gefangener Fische für eine Verbesserung im Angel-Skill notwendig ist – eine klare Rückmeldung fehlt jedoch. Ausserdem kann ich auch nach 20 gefällten Bäumen den Holz-Skill mit der Zahl 20 nicht freischalten. Immerhin scheine ich sonst Fortschritte zu machen und kann erworbene Skills per Knopfdruck freischalten.
Die vermeintlich spannende Wendung der Geschichte entpuppt sich als müder Witz. Nach einer gemütlichen Angelrunde soll ich den vermissten Jack im Wald suchen. Gleichzeitig erwähnt Eva eine verschwundene Stadtbeschützerin mit Namen Valerie. Die finde ich praktischerweise direkt am Waldrand und erhalte von ihr ein Schwert zur künftigen Verteidigung – natürlich im gleichen ununterscheidbaren Pixelstil wie alle anderen Werkzeuge. Der Kampf gegen blaue Schleime führt zu einer Begegnung mit einem grünen Goblin. Ich erwarte einen spannenden Kampf, doch der Goblin flieht gleich in ein Gebäude. Daraufhin sammle ich Jack ein und bringe ihn gemütlich und ohne weitere Vorfälle zurück in die Stadt. Die gewünschte Spannung bleibt aus.
Zu allem Überfluss berieselt mich eine inkonsistent abgemischte Musikuntermalung. Zufällige Trackwechsel und dauernd schlägt irgendwo eine Tür zu, egal, wie weit weg ich von einem Haus bin.
Erneut kommt Hoffnung für ein bisschen Action auf, als Holzfäller Jack mich in den Wald schickt, weil er ein Geräusch gehört hat. Ich soll dem nachgehen. Im Wald erfreue ich mich am Bekämpfen herumrennender Bäume. Bald schon komme ich zu einer Höhle und entdecke ein verdächtiges Augenpaar. Ich mache mich auf einen üblen Gegner gefasst. Und werde (natürlich) enttäuscht: Es ist ein Obdachloser, der sich, halte dich fest, eine Portion Pommes von mir wünscht. Dafür übergibt er mir für den Anfang eine Kartoffel. Die reicht natürlich nicht und lässt sich nicht anpflanzen. Ich muss weitere Kartoffeln bei Margarita kaufen und vergraben. Bis die Knollen gewachsen sind, dauert es fünf Tage und fünfmal giessen. Der Obdachlose ist schon längst verhungert, schätze ich. Aber er bekommt seine Pommes und ich darf ihn anschliessend in die Stadt begleiten.
Nachdem ich zig Mal zwischen Eva und Jack hin- und hergelaufen bin, darf ich dem Obdachlosen auch ein Haus bauen. Zuerst aber brauche ich einen Architektentisch, der aus sehr viel Eisenerz besteht. Es soll ein häufig vorkommendes Material sein. Gut, dass ich das in der Goldmine zwischen Kupfer und Stein kaum finde – und mich dabei völlig verlaufe.
Frustriert gebe ich auf und flüchte mich in die sehr viel unbeschwertere Welt von «Animal Crossing», wo das Angeln, Bäume fällen und die Interaktionen mit den Bewohnern eine wahre Wohltat sind und das Haus tatsächlich einem Haus gleicht.
«Pixelshire» ist erhältlich für PC. Versionen für PS5 und Nintendo Switch folgen. Die PC-Version wurde mir von Merge Games zur Verfügung gestellt.
«Pixelshire» hatte das Potenzial für eine charmante Lebenssimulation. Doch die umständliche Steuerung, die unlogischen Spielmechaniken und die verwirrende Präsentation sind nervtötend. Hinzu kommt die nicht wirklich vorhandene und völlig unlogische Geschichte. So wird das virtuelle Leben in «Pixelshire» zu einer echten Geduldsprobe. Ich bin daran jedenfalls gescheitert und habe bereits nach wenigen Stunden aufgegeben.
Wer Entspannung und ein intuitives Spielerlebnis sucht, sollte einen grossen Bogen um diese pixelige Enttäuschung machen. Alternativen wie «Animal Crossing» oder «Stardew Valley» sind in der Umsetzung weitaus besser gelungen. Kollegin Cassie hat für weitere gemütliche Spiele eine umfangreiche Liste zusammengetragen.
Pro
Contra
Seit ich einen Stift halten kann, kritzel ich die Welt bunt. Dank iPad kommt auch die digitale Kunst nicht zu kurz. Daher teste ich am liebsten Tablets – für die Grafik und normale. Will ich meine Kreativität mit leichtem Gepäck ausleben, schnappe ich mir die neuesten Smartphones und knippse drauf los.