
Hintergrund
«Little Nightmares 3» sieht schaurig schön aus
von Kevin Hofer
Der PhotoSlam ist eine Mischung aus Fotowettbewerb und Poetry Slam. Eine spannende Idee. Der Abend war unterhaltsam, doch letztlich drehte sich fast alles um die Fotografie, der Slam-Anteil blieb bescheiden.
«Ich hoffe, dass ich noch etwas anderes gewinne», sagt Wettbewerbsteilnehmer Dominic Wenger. Er hat soeben den Publikumspreis des PhotoSlam Zürich 2019 eingesackt. Die tausend Franken will er für ein Bettgestell oder fürs Zurückzahlen der Studiengebühren verwenden. Für beides reicht es nicht.
Es ist die Schlussphase eines über dreistündigen Events, an dem die zehn Final-Teilnehmer ihr Foto präsentieren, erklären oder anpreisen dürfen. Eine Art Mischung aus Fotowettbewerb und Poetry Slam, wobei das mit der Poetry nicht so eng gesehen wird. Im Prinzip ist alles erlaubt, solange es nicht länger als zwei Minuten dauert und irgendwie einen Zusammenhang zum Bild hat.
Antonio Idone erklärt sein Bild, indem er so tut, als würde er seiner Enkelin am Telefon eine Gutenachtgeschichte erzählen. Caroline Fink wählt die Gedichtform. Ihr extrem ruhiges und reduziertes Bild stellt sie als Gegengewicht gegen die ständige Hektik und Reizüberflutung dar. Sogar als Rebellion; denn nur wer zur Ruhe kommt, kann nachdenken und merkt, was nicht stimmt. Matt Jeker, Samuel Betschart und Simeon Wälti bauen ihre Präsentation rund um einen selbst produzierten Videoclip auf. Einige Teilnehmer zeigen weitere Bilder aus der gleichen Serie oder einem ähnlichen Projekt. Sara Hussong untermalt ihren Vortrag mit Pianoklängen. Viel Abwechslung also.
Die Präsentationen sind insgesamt nicht auf dem gleich hohen Niveau wie die Bilder. Kein Wunder, schliesslich sind die Kandidaten wegen ihrer Fotos nominiert worden und nicht weil sie besonders gut präsentieren können. Die Jury wählte sie im Vorfeld aus zahlreichen Einsendungen aus. Vom Hintergrund der Bilder und ihrer Urheber wussten sie nichts.
Dominic ist 22, Vater eines 4-jährigen Kindes und Kriegsfotograf. Beim Interview auf der Bühne und seiner anschliessenden Zwei-Minuten-Show wirkt er ziemlich hölzern, lässt vor allem seine Bilder sprechen. Gian Paul Lozza von der Jury kommentiert das mit: «Für einen Kriegsfotografen war die Präsentation super, die sind alle total wortkarg.» Noch weniger redet Finalist Matt Jeker, der damit Moderator Patrick Rohr beinahe in den Wahnsinn treibt: «Kannst du bitte mal mehr als ja oder nein sagen? Ich habe gehofft, dir mit dieser Frage einen ganzen Satz zu entlocken ...»
Ich habe die drei Jurymitglieder Gian Paul Lozza, Tina Sturzenegger und Johannes Diboky vor dem Event gefragt, ob man ihrer Meinung nach ein Bild erklären muss oder ob es für sich sprechen sollte. Die Frage habe ich mir selbst auch schon gestellt, insbesondere bei Kunstausstellungen. Und hier ganz besonders, weil die Erklärung Teil der Bewertung ist. Alle drei sind klar der Ansicht, dass ein Foto für sich sprechen sollte. Gian Paul Lozza weist aber darauf hin, dass es die Betrachtung verändern kann, wenn man Wissen zum Bild oder zu der Biographie des Fotografen hat. Bei ihm selbst passiert dies an diesem Abend mehrmals. Bei Antonio Idone und Cyril Truninger erklärt er, dass das Bild für ihn durch den persönlichen Hintergrund an Wert gewonnen habe. Aber auch das Umgekehrte kommt vor. Samuel Betschart ist mit einem geheimnisvollen, gespenstischen Bild eines Fahrstuhls in den Final gekommen. Durch seinen Videoclip, in dem er selbst mit Fotoausrüstung zu sehen ist, das aber gleichzeitig eine Art Horror-Hommage sein will, entzaubert er das Geheimnisvolle seines Bildes. Alle drei Jurymitglieder sind sichtlich enttäuscht.
Letztlich wählt die Jury an diesem Abend die Gewinner aber vor allem nach den Bildern und weniger nach der Präsentation. Das scheint mir recht offensichtlich und auch folgerichtig: Die Bilder sind das Kerngebiet der Jury-Mitglieder, alle drei sind Profifotografen. Natürlich müssen auch sie sich mit dem Präsentieren auskennen. Tina Sturzenegger sagt, dass die Präsentation beim Verkaufen etwa 40 Prozent ausmacht. Dennoch eine Anregung an Veranstalter Light + Byte: Ich würde versuchen, auch ein Jurymitglied aus dem Bereich Poetry Slam oder Multimedia-Präsentation für die Sache zu gewinnen.
Die Jury-Mitglieder machen ihre Sache gut. Sie sagen klar und deutlich, wenn sie etwas nicht gut finden. So bilden sie ein notwendiges Gegenstück zum Moderator, der immer alles super findet und es anscheinend als seinen Job ansieht, den Teilnehmern ein gutes Gefühl zu geben. Bei ihrer Kritik bleibt die Jury stets fair und freundlich. Es wird niemand im Stil von Dieter Bohlen zur Schnecke gemacht.
Noch mehr als dieser Text zieht sich der Abend am Ende in die Länge, bevor wir endlich erfahren, wer denn nun gewonnen hat. Aber jetzt ist es soweit.
Dritter Platz: Cyril Truninger, der sagt, die Schwarze-Schafe-Plakate der SVP hätten ihn persönlich getroffen.
Zweiter Platz: Simeon Wälti, der selbst in einer Band spielt.
Erster Platz: Dominic Wenger, der auf seiner Rumänienreise ein Kind durch eine Haustür fotografiert hat. Nur zwei Versuche hatte er, bevor das Kind ihn bemerkte.
Dominics Wunsch nach einem weiteren Gewinn geht also in Erfüllung. Darauf angesprochen, sagt er: «Das hat wohl etwas arrogant geklungen, ich bin sonst nicht so», und ich nehme es ihm ab. Ob er denn eine Dankesrede vorbereitet habe? Ja, durchaus, sie sei allerdings recht kurz:
«Danke.»
Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.
Interessantes aus der Welt der Produkte, Blicke hinter die Kulissen von Herstellern und Portraits von interessanten Menschen.
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