Hintergrund

«Mein bester Lehrer war Youtube» – Interview mit Schweizer Game-Entwicklerinnen

Michelle Brändle
8.1.2024
Bilder: Christian Walker

Die Videospiel-Szene der Schweiz soll wachsen. Das findet auch Entwickler und Designer Pierre Lippuner. Zusammen mit Teamkollegin Denise Hohl erzählt er vom eigenen Spiel sowie den Herausforderungen für Game-Entwickler.

Fangen wir mit dir an, Pierre. Wer bist du und woher kommst du?
Pierre: Ich bin Pierre Lippuner, komme aus St. Gallen und bin Spieleentwickler, sowohl im analogen als auch im digitalen Bereich.

Ich hatte Lust, das Design dafür zu gestalten und mich angeboten. Unerwartet wurde das Spiel ein Riesenerfolg. Da packte es mich erstmals richtig. Im Gegensatz zum Agenturleben habe ich hier als Grafiker ganz andere Möglichkeiten. Wir haben als Team ein unterhaltsames Produkt gestaltet. Und sagen zu können, ‹Hey, das Spiel habe ich gemacht!›, ist ein tolles Gefühl.

Videospiele sind ein 40-jähriges Medium, dem die Schweiz gefühlt 30 Jahre hinterherhinkt.
Pierre Lippuner

Während des Projektes traten zudem Kindheitserinnerungen auf. Das Kartenspiel im Anime Yu-Gi-Oh! interessierte mich seinerzeit viel mehr als die Story. So bastelte ich aus Jasskarten meine eigene Version davon. Das war quasi mein erstes eigenes Spiel.

Und wie sieht dein Weg zur Game-Entwicklerin aus, Denise?

Wie seid ihr hier im Swiss Game Hub gelandet?

Pierre: Jan und ich schlossen den Bachelor 2020 ab. Um diese Zeit herum eröffnete auch der Swiss Game Hub. Wir bewarben uns dann hier. Das war gerade, als sich die Corona-Pandemie Richtung zweiter Lockdown bewegte. Nachdem Jan und ich unabhängig voneinander unsere Bachelorprojekte in den Sand gesetzt hatten, entstand die gemeinsame Idee für unser aktuelles Spiel.

Denise: Ich habe im Swiss Game Hub bei Stray Fawn ein Praktikum absolviert und mich ihnen dann angeschlossen.

Wie ist denn der Hub entstanden?

Die ganze Gruppe wollte den Raum freischaffenden Entwicklerinnen und daran Interessierten anbieten, mit dem Ziel, die Schweizer Gaming-Szene zu vergrössern. Videospiele sind ein 40-jähriges Medium, dem die Schweiz gefühlt 30 Jahre hinterherhinkt. Auch wenn das etwas hart klingt. Das soll sich endlich ändern.

Wie funktioniert der Swiss Game Hub?

Denise: Zum einen als Co-Working-Space. Da mietest du einen Fixplatz oder einen flexiblen Arbeitsplatz. Über die Mieterinnen und Mieter versucht der Co-Working-Bereich, seine Kosten selbst abzudecken. Den restlichen Teil übernehmen die grösseren Studios. Der so geschaffene Raum soll zum Treffen und Austauschen einladen.

Als zusätzliche Option bietet der Hub ein Mentoring an. Da reichst du deine Idee ein und sie bewerten, ob diese Idee erfolgreich sein könnte oder nicht. Wichtig ist dabei, dass die Idee im Markt gefragt ist – und mehr oder weniger Erfolg verspricht.

Wie läuft das Mentoring im Hub genau ab?

Denise: Beim Mentoring haben wir halbjährlich eine Evaluation. Dort präsentieren wir den aktuellen Stand unseres Projektes und die nächsten Ziele. Ansonsten können wir jeweils auch dazwischen auf unsere Mentoren zugehen, wenn etwas ansteht oder wir nicht weiterkommen. Das liegt jeweils bei uns und unseren individuellen Bedürfnissen.

Fürs Networking gibt es im Swiss Game Hub auch Events …

Pierre: Genau. Wir haben hier einige verschiedene Events, zum Beispiel den Gamespace. Da sprechen wir zusammen über spezifische Aspekte im Game-Design. Beispielsweise die Genderrolle im Narrativ von Games.

Im Hub ist also einiges los, bei euch auch?

Denise: Daneben arbeiten wir auch immer mal wieder als klassische Grafik-Designer. Aber hauptsächlich an unserem Projekt.

Wie genau sieht euer Projekt denn aus?

Pierre: Angefangen hat es vor drei Jahren. Damals hiess es noch «Fast! Food!». Die Idee: kleine Pilze, die in Sojasaucen-Autos herumfahren. Das Projekt war eigentlich abgeschlossen, wir wollten es aber noch etwas weiterziehen. Inzwischen heisst es «Ultimate Godspeed».

Was genau habe ich mir unter eurem Spiel «Ultimate Godspeed» vorzustellen?

Pierre: Wenn wir jeweils die Kurzfassung pitchen, sagen wir gerne, es ist ähnlich wie Mario Kart, kombiniert mit einem Spiel, das ebenfalls sehr bekannt und erfolgreich ist, «Ultimate Chicken Horse».

«Ultimate Godspeed» lässt sich also mit mehreren Leuten spielen. Auch online?

Was gefällt euch an eurem Beruf besonders gut?

Spielemessen in Köln und San Francisco? Das klingt traumhaft!

Dein Beruf scheint spannend zu sein. Trotzdem gibt es eher wenige erfolgreiche Studios in der Schweiz – gerade im Vergleich zu Ausland …

Woran, denkt ihr, liegt es, dass es bei uns so wenige erfolgreiche Studios gibt?

Denise: Es ist auf jeden Fall eine finanzielle Frage. Aus dem Nichts kannst du kein Studio eröffnen. Für finanzielle Mittel musst du aber wiederum erst ein Game herausbringen, das Geld einspielt. Und ohne Erfahrung kannst du nirgendwo andocken. Ein Teufelskreis.

Pierre: Wiederum kann ich auch nicht einfach zu einem Publisher gehen und sagen, wir wollen uns mit unserem entstehenden Game 5000 Franken im Monat auszahlen lassen. Wenn wir den internationalen Markt anschauen, weiss ein Publisher, was ein 20-köpfiges Team beispielsweise in Polen kostet. Im Vergleich dazu sind wir Schweizer extrem teuer.

Denise: Genau. Im Ausland gibt es explizite Förderprogramme. Oder sonstige Unterstützungen. In Kanada gibt es beispielsweise Steuervergünstigungen, wenn du mit deinem Studio oder Spiel Arbeitsplätze schaffst.

In den Schlagzeilen steht immer mal wieder, dass im Ausland ein Studio geschlossen wurde. Da sieht es doch auch nicht so rosig aus?

Zudem gibt es grosse Firmen, die in ein kleineres Studio investieren und hoffen, ihnen werde das anschliessend abgekauft. Wenn das Studio dann doch zu wenig rentabel ist, muss es wieder geschlossen werden. Das passiert im besten Fall natürlich eher früher als viel zu spät.

Passe ich ein 80-Franken-Game der Teuerung an und es kostet dann 120 Franken, würdest du es noch kaufen?

Pierre: (lacht) Naja, ich würde natürlich ganz anders damit umgehen. Ich schätze, wir haben alle einen riesigen Steam-Backlog mit Games, die wir nie zu Ende gespielt haben. Gerade ich selbst bin jemand, der auch Spiele aus der Kindheit wieder hervorholt. Aktuell ist es «Kingdom Hearts», das habe ich mit 14 gespielt.

Wenn ich selbst nun als Game-Entwicklerin durchstarten will? Wo fange ich an?

Mein bester Lehrer war tatsächlich Youtube.
Pierre Lippuner

An der ZHdK solltest du nicht erwarten, dass dich einer an die Hand nimmt, dir beispielsweise tiefe Einblicke in eine Engine gibt, oder wie du programmieren sollst. Dir werden aber Konzepte beigebracht, die du dann selbst anwendest. Mein bester Lehrer war tatsächlich Youtube. Zu populären Engines wie Unity und Godot findest du dort sehr viel.

Denise: Die Erfahrung im Grafikdesign hat mir persönlich auf jeden Fall geholfen. Das Wichtigste ist aber, dass du selbstständig arbeiten kannst. Ein Game ist ein sehr grosses Projekt. Das musst du gut strukturieren können. Und immer einen Weg finden, wie du etwas machen kannst. Da braucht es auch extrem viel Motivation.

Bei meiner Arbeit als Grafikdesignerin war ich es gewohnt, die Ideen und Wünsche von Kundinnen und Kunden umzusetzen. Auch wenn ich Spielraum in der Ausführung hatte, gab mir das einen Rahmen. Und im Studium war das Motto: Mach, was du willst. Ja, was wollte ich denn? Das war eine ganz neue Form der Kreativität, in die ich reinkommen musste.

Pierre: Meine persönliche Empfehlung ist, mit etwas Kleinerem anzufangen. Gleich im 3D-Bereich mit Online Multiplayer einzusteigen, war schon sehr mutig. Inzwischen können wir auch das, es war aber mit einem extremen Lernaufwand verbunden. Nach einem ersten Input von jemandem kannst du gut mit Youtube-Tutorials weiter aufbauen.

Und Schritt für Schritt habt ihr es dann zu eurem ersten eigenen Game geschafft.

Pierre: Genau. Im März wollen wir die Arbeit an «Ultimate Godspeed» offiziell beenden. Im Juni ist der Release. In den letzten drei Jahren haben wir sehr viel Neues gelernt, auf dem wir aufbauen können. Wir haben damit eine super Grundlage für ein neues Projekt.

Das klingt doch gut. Ich bin echt gespannt auf euer Spiel und bin bereit für eine Runde «Ultimate Godspeed». Vielen Dank euch beiden für die spannenden Eindrücke!


Titelfoto: Christian Walker

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Seit ich einen Stift halten kann, kritzel ich die Welt bunt. Dank iPad kommt auch die digitale Kunst nicht zu kurz. Daher teste ich am liebsten Tablets – für die Grafik und normale. Will ich meine Kreativität mit leichtem Gepäck ausleben, schnappe ich mir die neuesten Smartphones und knippse drauf los. 


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