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Meinung

KI macht Menschen dumm – und Firmen ärmer

Oliver Herren
12.11.2025
Co-Autor: Martin Jungfer

Künstlich intelligent? Vielleicht. Was im Büroalltag zunehmend produziert wird, ist oft nur imitierend. Forscher nennen es inzwischen «Workslop» – digitaler Hochglanzschrott. Sieht gut aus, klingt clever, nützt nichts.

Unternehmen weltweit haben Milliarden in KI investiert. Laut MIT-Studie sind es rund 30 bis 40 Milliarden US-Dollar. Doch viele der Projekte, die damit bezahlt werden, liefern keinen messbaren Nutzen. Die Studie geht von 95 Prozent aus. Das Problem dabei sei nicht die Technik, sondern der Mensch dahinter. Wer blind jedem Hype folgt, darf sich nicht wundern, wenn am Schluss nur Datenmüll rauskommt.

Eine aktuelle Studie von BetterUp Labs und dem Stanford Social Media Lab zeigt, wie gravierend das Problem ist: 40 Prozent der Mitarbeitenden erhielten im letzten Monat KI-generierte Inhalte, die auf den ersten Blick perfekt wirkten, sich aber als substanzlos erwiesen.

Die Folgekosten sind hoch. Im Schnitt erfordert jeder Fall zwei Stunden Nacharbeit, und das pro Person. Jeden Monat. Statt Produktivitätsgewinn entstehen höhere Kosten – und sinkende Motivation. Wenn du solche Beispiele kennst, darfst du gerne in einem Kommentar unten berichten.

Beim Einsatz von KI können kleine Peinlichkeiten entstehen, die ärgerlich sind, aber keinen allzu grossen Schaden anrichten, wie zum Beispiel eine Keksdose, auf der ein Rentier mit fünf Beinen zu sehen ist. Oder auch einmal eine Schwimmflosse bei Galaxus, die plötzlich zwei verschiedene Angaben bei der Schuhgrösse hat. Hier arbeitet die KI, die unsere acht Millionen Produkte im Shop mit möglichst vielen Informationen anreichern soll, noch nicht wie gewünscht.

Hier irrt die KI: Schwimmflossen sollten nur für eine Schuhgrösse passen.
Hier irrt die KI: Schwimmflossen sollten nur für eine Schuhgrösse passen.
Quelle: Martin Jungfer

Oder schlimmer, es kommt zu strategischen Fehlern. Wer glaubt, mit KI den künftigen Absatz eines derzeit erfolgreich laufenden Produkts prognostizieren zu können, dürfte dabei wenig Erfolg haben. Denn KI lernt nur aus vorhandenen Daten, sie ist rückwärtsorientiert, kann Muster der Vergangenheit erkennen. Disruptive Trends wird sie mit grosser Wahrscheinlichkeit verpassen. Wenn es schlecht läuft, hat die Firma dann zu viel Ware produziert und bleibt auf ihr sitzen, weil ein Konkurrent mit einer Neuerung um die Ecke gekommen ist.

Oder konkret: Würde eine KI Digitec und Galaxus dazu raten, die Retouren- und Garantiefallquote offenzulegen, wenn wir es nicht schon getan hätten? Ein kurzer Versuch mit dem entsprechenden Prompt bei drei grossen KI-Tool-Anbieter zeigt: Nein. Der Atlas-Browser von ChatGPT rät zum Beispiel zu einem «Mittelweg». Der Grund: Es gebe rechtliche Risiken und könnte zu «Spannungen mit Lieferanten» führen. Immerhin anerkennt die KI das, was auch wir bei der Einführung am wichtigsten fanden: Es stiftet einen Nutzen für die Kunden, stärkt das Vertrauen durch Transparenz und ist innovativ.

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    Gnadenlos ehrlich: Digitec Galaxus zeigt neu die Garantiefall- und Retourenquote

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Warum erweist sich KI oft als nutzlos?

Viele Organisationen führen KI überstürzt ein – ohne klare Ziele, ohne Standards, ohne Schulung. Mitarbeiter wissen oft nicht, wann KI wirklich hilft und wann sie nur Scheinleistung produziert. Die Folge: KI wird als vermeintliche Abkürzung benutzt und nicht als cleveres Werkzeug. Mit den KI-Tools werden Texte, Präsentationen oder Analysen erstellt, die professionell aussehen, aber inhaltlich flach bleiben.

Das Problem ist also weniger technologisch als kulturell. Wer den Einsatz von KI nicht bewusst steuert, ersetzt kritisches Denken durch bequemes Klicken.

Wenn Denken ausgelagert wird

Das menschliche Gehirn ist wie ein Muskel. Es wächst nur, wenn es gefordert wird. Wenn das, was es leisten muss, nie anstrengend ist, bleibt es schwach. Diese Erkenntnis ist wissenschaftlich belegt.

Wer also jeden zweiten Gedanken an ChatGPT oder ähnliche Tools delegiert, trainiert das eigene Denken ab. Man spart vielleicht Minuten, aber zahlt mit geistiger Trägheit. Und das passiert schneller, als man glaubt.

Die Konsequenzen von «Workslop»

«Workslop», also ein KI-Erzeugnis ohne viel Substanz, zerstört dabei nicht nur Effizienz, sondern auch Vertrauen. Über die Hälfte der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter stufen Kollegen, die solchen KI-Content verschicken, als weniger kompetent ein. Kein Wunder: Wenn alles nach Powerpoint aussieht, aber nichts nach Inhalt, verliert man den Glauben ins Gegenüber.

Das ist besonders heikel in Teams, die auf Kreativität, Verantwortung und Eigeninitiative angewiesen sind. KI kann unterstützen. Aber sie darf nicht den Eindruck erwecken, dass Nachdenken optional geworden ist.

Fazit

KI hat unbestritten Potenzial. Wer sie gezielt einsetzt, profitiert (ziemlich sicher). Mit den richtigen Tools können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von repetitiven Arbeiten entlastet werden. Dadurch entsteht Raum für das, was oft zu kurz kommt: Kreativität, Strategie, Zwischenmenschliches. Dazu kommt: Was eine Firma erreichen will, das müssen sich die Menschen schon selbst überlegen. Wer sogar bei diesem wichtigen Thema gedankenlos KI einsetzt, produziert sehr oft Schrott, der lediglich auf Hochglanz poliert wurde. Der Einsatz von KI hilft nicht, wenn es keine klare Unternehmensstrategie und keine klare Vision gibt.

Gute Führung bedeutet Austausch mit den Teams und das Schaffen einer gemeinsamen Vision. In einem klaren Rahmen gilt es, zu experimentieren, zu lernen und einen Nutzen zu stiften.

Schlussendlich gilt, gestern wir heute:

Nur selber denken macht schlau.

Welche Erfahrungen hast du mit dem Einsatz von KI-Tools gemacht? Was läuft dort, wo du arbeitest, gut, was schlecht?

Titelbild: Elimende Inagella / Unsplash

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Cool: Schnittstellen zwischen der realen Welt und der Welt der reinen Informationen aufbauen. Uncool: Mit dem Auto ins Einkaufszentrum fahren, um einzukaufen. Mein Leben ist «online», und das Informationszeitalter ist meine Heimat.


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