
Kritik
«Bye Sweet Carole» ist der schönste Albtraum, den ich seit Langem gespielt habe
von Kevin Hofer
«Keeper» entführt dich auf eine magische Reise mit einem laufenden Leuchtturm und dessen Flatterfreund. Sie wird dir noch lange in Erinnerung bleiben.
Die Übernahme durch Microsoft scheint Double Fines Kreativität bisher nichts anhaben zu können. Das Studio hinter «Psychonauts», «Brütal Legend» und «Costume Quest» ist berühmt für seine ungewöhnlichen Ideen. Das neueste Werk heisst «Keeper». Darin spielst du einen wandelnden Leuchtturm, der sich mit einem Dodo-ähnlichen Vogelwesen auf eine kurze, aber denkwürdige Reise begibt.
Das Licht des Leuchtturms kann ich auf Knopfdruck fokussieren, um kleine Rätsel zu lösen. So muss ich anfangs kleine violette Monster verscheuchen, damit sie mich nicht angreifen. Ich lasse eine Pflanze blühen, die anschliessend wie eine Zündschnur einen überwucherten Zugang befreit. Später werden die Rätsel komplexer, aber nie kompliziert. In einer Stadt, die von kleinen, knuffigen mechanischen Wesen bewohnt wird, brauche ich drei Anhänger, um ein Tor zu öffnen.
Die Rätsel funktionieren meist mit der Kombination aus Lichtstrahl und Vogel, der für mich Hebel bewegt und mir etwas bringt. Die Interaktionen mit der sonderbaren Umgebung bleiben aber stets abwechslungsreich, weil die Welt, die Wesen und die Vegetation so herrlich schräg sind. Es sind nicht die Rätsel, die mich durch das fünfstündige Abenteuer locken: Es ist die Reise selbst.
Schon in früheren Spielen wie «Psychonauts 2» oder «RAD» hat Double Fine ein Auge für ungewöhnliches Design gezeigt. Was ich in «Keeper» zu sehen bekomme, stellt alles in den Schatten. Es ist das wahrscheinlich schönste Game, das ich je gespielt habe. Anfangs habe ich noch gewitzelt, weil es ohne DLSS-Upscaling schlechter läuft als «Battlefield 6». Da wusste ich noch nicht, was für ein grafisches Meisterwerk mich erwartet.
Auch spielerisch hat das Game einige Überraschungen parat, die ich aber nicht verraten möchte. Nur so viel sei gesagt: Der Leuchtturm macht einige interessante Transformationen durch.
Mein einziger Kritikpunkt betrifft die Musik, die nicht immer die richtige Tonalität trifft. Teilweise hat mich das elektronische Geklimper an lizenzfreie Tracks erinnert, die ich gelegentlich für meine privaten Podcasts benötige. Oft ist überhaupt keine Musik zu hören. Dann leben die Szenen nur von Hintergrundgeräuschen, was das geniale Design sogar noch verstärkt.
«Keeper» ist erhältlich ab dem 17. Oktober für PC, Xbox Series X/S und Game Pass. Ich habe die PC-Version getestet, die mir von Double Fine zur Verfügung gestellt wurde.
Auf Double Fine ist Verlass. «Keeper» ist ein Spiel wie kein zweites. Gameplaytechnisch ist es nicht sonderlich komplex, dafür punktet es mit einer Welt, die vor Kreativität nur so strotzt. Selbst ohne Fotomodus habe ich einige der schönsten Screenshots gemacht, die es je auf meine Festplatte geschafft haben.
«Keeper» spielt sich wie ein wahr gewordener Traum. Das Szenario mit einem wandelnden Leuchtturm, der sich zusammen mit einem Vogel auf eine fantastische Reise begibt, ist herrlich unverbraucht. Dazu gibt es eine Prise Freundschaft und Wehmut und fertig ist ein Festmahl, das mich noch lange sättigen wird.
Pro
Contra
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.
Welche Filme, Serien, Bücher, Games oder Brettspiele taugen wirklich etwas? Empfehlungen aus persönlichen Erfahrungen.
Alle anzeigenDas Spiel beginnt mit dem Vogel, der auf der Flucht vor einem bösartigen, magischen Sturm vom Licht eines verlassenen Leuchtturms angezogen wird. Er purzelt auf das Dach und als er sich aufrappelt, stürzt der Leuchtturm um. Statt liegenzubleiben, wachsen ihm plötzlich Beine und er fängt ungeschickt an zu laufen. Das Spiel hat keinerlei Text oder Dialoge. Ich steuere den Leuchtturm durch meist lineare, aber zunehmend surrealere, gar psychedelische Welten.
Wegweiser mit Mond, Sonnenaufgang und Sonne signalisieren, welche wo versteckt sind. Unterwegs entdecke ich eine Art Laternen mit den jeweiligen Symbolen. Strahle ich sie an, wird aus Tag Nacht oder aus Nacht Morgen. Mal sind so versperrte Wege plötzlich frei, mal wird mein Vogelfreund, der mich stets begleitet, zum Geist. In dieser Form kann er durch Gitterstäbe fliegen. Verwandle ich ihn zurück, hilft er mir mit seinem Gewicht, einen Mechanismus auszulösen, der ein weiteres Tor öffnet.
Das Spiel beginnt in einer malerischen Küstenregion. Wenig später finde ich mich in einer düsteren Parallelwelt wieder, wo im Hintergrund riesige Cthulhu-artige Monster herumtorkeln. Dann wird die Welt knallbunt und ich stolpere in etwas, das aussieht wie Zuckerwatte. Damit bin ich praktisch schwerelos und kann springen, als wäre ich auf dem Mond. Jedes Gebiet sieht aus wie ein Kunstwerk, dessen Schöpfer oder Schöpferin im Verlauf des Spiels zu viele psychedelische Pilze genascht hat. Dass Maler wie Max Ernst, Salvador Dali, aber auch Filme wie « Nausicaä of the Valley of the Wind» als Vorlage dienten, überrascht nicht.
Kaum etwas ergibt Sinn im Spiel und doch ist mir fast immer klar, was verlangt ist. In einer lauschigen Binnenmeer-Welt befreie ich E.T.-ähnliche einäugige Wesen, die in Gummiringen herumschwimmen. Dann setze ich mithilfe meines flatternden Mitbewohners eine Leuchtkugel in eine Maschine, die einen gleissenden Lichtstrahl aktiviert. Dieser entfernt blauen Schleim von einer riesigen Wirbelsäule. Darunter tauchen anschliessend meine E.T.-Freunde, blasen sich auf wie Bauschaum und machen daraus eine Rampe, über die ich springen kann. Normal, oder?