
Kritik
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von Rainer Etzweiler
In «Dreams of Another» wird viel geballert. Jedoch nicht um zu zerstören, sondern um zu erschaffen. So ein merkwürdiges Spiel habe ich noch nie gezockt.
Es gibt Games, bei denen ich mich schwertue, sie zu beschreiben. «Dreams of Another» ist so ein Titel. Es ist wie nichts, was ich bisher gespielt habe. Darum fallen Vergleiche mit ähnlichen Spielen oder anderen Genrevertretern schwer. Jeglicher Versuch, die Story kohärent zusammenzufassen, würde ebenfalls scheitern.
«Dreams of Another» ist einzigartig. Ein spielbarer Traum, der wie ein Gemälde aussieht. Und eine Erfahrung, die mir noch lange in Erinnerung bleiben wird.
Aber von vorn.
Der Protagonist des Games schläft gemütlich in seinem Bett. Ich werde in seine Träume transportiert und muss dort Aufgaben lösen. Die Traumsequenzen wechseln relativ schnell. Mal befinde ich mich in einem pittoresken Dorf, dann in einem heruntergekommenen Vergnügungspark und im nächsten Augenblick bin ich auf dem Meeresgrund.
Wobei – sind das überhaupt seine Träume? Oder erlebe ich hier die Träume anderer Personen? Falls ja, wieso kommt meine Spielfigur in diesen Träumen vor?
Zwischen den verschiedenen Träumen wirft mich das Game immer wieder ins Hauptmenü zurück. Zunächst denke ich, das sei ein Bug. Aber nein, auch das Aufwachen im Hauptmenü gehört zur Erzählung dazu. Im Spielverlauf verändert sich das Menü immer weiter – wie genau, will ich nicht verraten, weil Spoiler. Ich liebe solche Spielereien.
Drücke ich auf «Start» werde ich wieder zurück in eine neue Traumwelt des schlafenden Helden geworfen. Und dort wird ordentlich geballert.
Mein Spielcharakter läuft mit einem Sturmgewehr bewaffnet durch die Traumwelten. Nicht etwa, um möglichst viele Gegner umzubringen und um Zerstörung zu säen – im Gegenteil.
Die Levels befinden sich anfangs in einem chaotischen Zustand. Es sind leere Räume, in denen farbige Pixel (oder sind es kleine Wolken?) umherschweben. Schiesse ich mit meinem Maschinengewehr umher, formen sich Objekte, Tiere und Personen aus diesen Pixeln. Durch das Ballern bringe ich Ordnung ins Chaos.
Das ist ein merkwürdiges Gefühl. Schliesslich bin ich mir durch unzählige andere Games gewöhnt, mit Waffen Tod und Verderben über die Welt und deren NPCs zu bringen.
Mit der Zeit gewöhne ich mich an meine schöpferische Superkraft. Es hat etwas Therapeutisches, wild durch die chaotische Leere zu schiessen und zu sehen, wie langsam Spielwelten entstehen. Müsste ich einen Vergleich für das Spielgefühl herbeiziehen, würde ich am ehesten «Powerwash Simulator» wählen, bei dem ich dreckige Objekte und Umgebungen mit einem Hochdruckreiniger säubere. Auch dort spüre ich dieses befriedigende Gefühl, in kleinen Schritten und mit harter Arbeit etwas zu erreichen.
Meist wartet hinter dem Pixel-Chaos ein NPC, der mir eine Aufgabe erteilt. Die Dialoge mit den Charakteren sind wortwörtlich traumhaft. Oft ergeben sie nicht wirklich Sinn, aber ich verstehe trotzdem implizit, was sie von mir wollen. Ich fühle mich an die surrealen Traumsequenzen aus Werken wie «Twin Peaks» erinnert.
Oft muss ich Orte im Level erreichen oder einen bestimmten Abschnitt säubern. Ab und zu warten auch Bosskämpfe auf mich, in denen ich genauer zielen und bewegliche Objekte treffen muss. So ballere ich zum Beispiel die Gondeln eines verrückt gewordenen Riesenrades ab, damit es besänftigt wird und seinen Betrieb wiederaufnehmen kann. Oder ich schiesse unter Wasser Kanonenkugeln ab, um sie zurück zu ihrem Absender zu schicken. Das Geballere ist auch in diesen Momenten nie destruktiv, sondern Mittel zum Zweck, um Ordnung in das Chaos zu bringen.
Weder die normalen Levels noch die Bosskämpfe sind in irgendeiner Art und Weise herausfordernd. Das ist auch nicht Sinn und Zweck des Spiels. Es geht um die traumhafte Erfahrung, um das vertraute Gefühl der oberflächlichen Sinnlosigkeit von Träumen. Um die Frage nach dem «Warum» und um die Suche nach Bedeutung und Sinn im Chaos.
An dieser Stelle eine Warnung – «Dreams of Another» behandelt in den Träumen harte Themen wie Vergänglichkeit, mentale Gesundheit und Traumata. Es stellt Fragen nach dem Sinn – oder: Unsinn – des Lebens. Durch den Traum-Kontext, in dem das Game stattfindet, werden diese Themen aber auf eine verdauliche, unterhaltsame und im Endeffekt positive und lebensbejahende Art und Weise dargestellt.
Besonders toll ist es, wie das Spiel die verschiedenen Traumsequenzen und Geschichten gleichzeitig erzählt. Ich bin jeweils nur für ein paar wenige Minuten in einer Traumwelt, bevor ich in die nächste transportiert werde. Die einzelnen Storys entwickeln sich parallel, aber sehr langsam fort. Es dauert eine Weile, bis ich bei diesem zerstückelten Storytelling überhaupt einen «Sinn» hinter einer Traumwelt erkenne.
Einige Welten sind thematisch miteinander verbunden und verschmelzen mit zunehmendem Spielverlauf immer mehr. Mein Favorit ist der Traum einer Familie von Maulwürfen, die im Untergrund leben und eine Tradition pflegen. Der jeweils älteste Sohn muss an die Oberfläche klettern und versuchen, eine Kirchenglocke zu läuten, um «seine Freiheit zu erlangen». Ich erlebe, wie die Söhne der Familie nach und nach scheitern und sterben. Bis ich den Zugang zum Glockenturm in einem anderen Traum öffne und dem jüngsten Sohn zum Erfolg verhelfe.
Ich schwöre, das ist wirklich so passiert und ich bin nicht besoffen oder high.
Mein Anker in all dem Chaos ist ein Soldat, den ich in jeder Traumwelt treffe. Er gibt mir Tipps und Tricks, versorgt mich mit Munition und sogar neuen Items. Obwohl ich nicht viel über ihn weiss, bin ich jeweils froh, ihn zu treffen.
In Welten, in denen nichts so scheint, wie es ist, tut es gut, ein vertrautes Pixel-Gesicht zu sehen.
Gerne hätte ich den Test zu «Dreams of Another» mit dem knackigen Titel «Ein traumhaftes Meisterwerk» versehen. Für die Auszeichnung «Meisterwerk» fehlt es dem spielbaren Traum aber an Abwechslung.
So spannend ich die verschiedenen Traumwelten finde und so befriedigend sich das Ballern im Chaos anfühlt – auf Dauer ist das Gameplay zu repetitiv. Ja, der nette Soldat schenkt mir im Spielverlauf Waffen wie Granaten und Raketenwerfer, die ich im Tausch für allerlei Müll bekomme, den ich in den Traumwelten finde. Aber auch die zusätzlichen Waffen reichen nicht, um die Monotonie des Gameplay-Loops zu durchbrechen – trotz relativ kurzer Spieldauer von rund fünf Stunden.
Auch das Sounddesign verhindert eine perfekte Wertung. Einige Hintergrundlieder erzeugen mit diffusen und merkwürdigen Klängen eine wohlige, surreale Atmosphäre. Andere Tracks gehen mir hingegen schon nach wenigen Minuten auf den Sack. So sehr, dass ich in den Einstellungen die Musiklautstärke stark nach unten schrauben muss.
«Dreams of Another» erscheint am 10. Oktober für PS5 und PC. Das Game wurde mir von Q-Games zu Testzwecken für den PC zur Verfügung gestellt. Die PS5-Version unterstützt Playstation VR2 – diese Funktion habe ich für die Kritik nicht getestet.
«Dreams of Another» ist wie nichts, was ich bisher gespielt habe. Der Traumsimulator ist ein spielbares Kunstwerk, das mehr Fragen aufwirft, als es beantwortet. Das zerstückelte Storytelling fängt das surreale Gefühl von Träumen perfekt ein und lässt viel Raum für Interpretation.
Surreal ist auch das Gameplay. Das Spiel konfrontiert mich mit einer bekannten Spielmechanik und stellt meine Erwartungen komplett auf den Kopf. Ich ballere mit einem Maschinengewehr umher und erschaffe Ordnung aus chaotischen Pixelhaufen. Grosse Herausforderungen gibt es nicht. Der Weg durch die Traumsequenzen und die damit verbundene Suche nach Bedeutung und Sinn sind das Ziel. Einzig die fehlende Abwechslung im Baller-Gameplay und der bisweilen nervige Soundtrack trüben das ansonsten traumhafte Erlebnis ein bisschen.
Pro
Contra
Meine Liebe zu Videospielen wurde im zarten Alter von fünf Jahren mit dem ersten Gameboy geweckt und ist im Laufe der Jahre sprunghaft gewachsen.
Welche Filme, Serien, Bücher, Games oder Brettspiele taugen wirklich etwas? Empfehlungen aus persönlichen Erfahrungen.
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