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Huawei P40 Pro+ vs. P40 Pro: Was bringen 400 Franken Aufpreis?

Das Huawei P40 Pro+ ist noch besser als das P40 Pro. Für 400 Franken mehr kriegst du eine zusätzliche und eine ausgetauschte Kamera. Was heisst das im echten Leben? Wo performt die Kamera wie gut?

Nur Wochen nach der Veröffentlichung des Huawei P40 Pro folgt das Huawei P40 Pro+. Auf den ersten Blick unterscheiden sich die Phones kaum. Das eine kommt nur in schwarz und weiss, das andere kommt in allerlei Farben. Das eine ist 9 Millimeter dick, das andere nur 8.95. Das eine kostet fast 1000 Franken, das andere fast 1400 Franken. Keines davon hat Google Services vorinstalliert.

Das P40 Pro+ ist ein Gerät, das Fragen aufwirft. Es kostet mehr, soll mehr leisten. Wenn das P40 Pro schon der Gipfel der Technologie sein soll, was ist das Plus dann? Der Gipfel des Gipfels? Oder ist es ein Vorbote für Dinge, die da kommen werden? Ein massives Update der Kamera-Software, das die 400 Franken Aufpreis rechtfertigt? Wäre es dann nicht vernünftiger, Software und Phone gleichzeitig zu bringen? Und im ganzen Trubel: Wo bleibt das P40 Pro?

Die Verwässerung des Portfolios

Eingangs möchte ich meine Skepsis gegenüber der ganzen Pro-Plus-Sache anmelden. Das Pro+ macht das ganze Portfolio Huaweis recht seltsam und der Verdacht, dass das etwas ist, mit dem der Hersteller dir einfach noch ein bisschen mehr Geld aus der Tasche ziehen will, ist hoch.

Ich war der ganzen Pro-Sache gegenüber damals skeptisch. Die Pro-Modelle der Hersteller haben sich aber zu einem lohnenden Upgrade gegenüber den Nicht-Pros entwickelt. Jetzt soll das Pro das neue Nicht-Pro sein und die Plus-Versionen oder Ultras sollen jetzt noch pro-iger sein als Pro. Mittlerweile bin ich stark pro Pro, denn die Geräte liefern schlicht mehr. Ja, sie kosten mehr, aber gerade bei Huawei ist der Unterschied zwischen Basisversion und Pro spürbar.

Jetzt also die Plus-Veranstaltung. Das Portfolio der P-Serie wird damit extrem wirr. Bei Huawei sah das bisher so aus, in Reihenfolge der aufsteigenden Performance und auch Preis:

  1. Huawei PXX Lite: Budget-Version, klare Abstriche, vor allem bei der Kamera
  2. Huawei PXX: So, wie sich das die Developer vorgestellt haben, die Leistung, die Huawei als optimal und gut angesehen hat
  3. Huawei PXX Pro: Das Teil, bei dem sich die Developer ausgetobt haben. Bleeding Edge Tech

Das hat dann nicht gereicht und Huawei hat sich gedacht «Machen wir das logische System kaputt» und jetzt sieht das so aus:

  1. Huawei P40 Lite: Budget-Version, klare Abstriche, vor allem bei der Kamera
  2. Huawei P40: So, wie sich das die Developer vorgestellt haben, die Leistung, die Huawei als optimal und gut angesehen hat
  3. Huawei P40 Pro: ???
  4. Huawei P40 Pro+: Das Teil, bei dem sich die Developer ausgetobt haben. Bleeding Edge Tech

Alright. Schauen wir mal. Wenn die Idee war, disruptives Marketing zu betreiben, dann geht das schon mal in die Hose. Denn disruptiv ist zwar gut, muss aber klar verständlich sein. Wenn selbst Szenebeobachtern nicht ganz klar ist, was das alles soll, dann ist im Konzept definitiv der Wurm drin.

Eine Kamera mehr und schnelleres Charging

Hardwareseitig musst du die Unterschiede der beiden Modelle suchen. Ich mach es dir einfach:

Es geht vor allem um die Kamera. Namentlich um die Zoomlinse des P40 Pro und die Zoomlinsen des P40 Pro+. Wo das P40 eine Zoomlinse verbaut hat, hat das Plus deren zwei. Nebst kleinerem Sensor hat das Plus mehr optischen Zoom verbaut. Dazu ist auch der F-Stop niedriger. Das bedeutet, dass das Plus mehr Licht in die Linse lassen dann. Vereinfacht gesagt: Bessere Tiefenunschärfe und bessere Nachtaufnahmen. Vielleicht?

Alle Bilder in diesem Artikel habe ich so aufgenommen, dass ich möglichst viele Entscheidungen der künstlichen Intelligenz des Phones (AI) überlassen habe. Das darum, weil ich sehen möchte, was das Phone kann, nicht wie die schönstmögliche Aufnahme aussehen soll. Denn wenn Huawei und Co. schon gross mit der AI angeben und wie mächtig stolz sie auf das Mitdenken des Computers sind, dann lasse ich den mal denken und schaue, was die Maschine so vorschlägt.

Ferner laufen die beiden Phones nicht auf derselben Version EMUIs.

  • Huawei P40 Pro: 10.0.1.121, öffentliche Version
  • Huawei P40 Pro+: 10.0.1.125, nichtkommerzielle Version

Das bedeutet, dass die AI unter denselben Umständen anders reagieren kann. Beim Mikrofontest im Video macht sich das stark bemerkbar, denn der Filter zur Unterscheidung von Hintergrundlärm wie Wind und Vordergrundgeräuschen ist verbessert worden, wie es scheint. Da die nichtkommerzielle Version der P40 Pro+ Software kein Changelog aufweist, ist das schwierig zu erhärten.

Die Software: Mehr Zoom, zusätzlicher AI-Modus

Eines meiner liebsten Features der Kamera des P40 Pro ist die 50-Megapixel-Aufnahme. Diese existiert auf dem P40 Pro+ auch, kommt aber zusätzlich in einem AI-Modus. Alle Bilder dieses Kameratests kannst du dir herunterladen und in voller Grösse auf deinem PC oder Mac ansehen. Für unser System musste ich sie leider etwas komprimieren.

Das ist nur der erste Blick. Auf den zweiten Blick siehst du, was der 50MP-AI-Modus macht. Der Stein vorne links ist in der AI-Aufnahme ein bisschen detaillierter

Vierhundert Franken. Yup. Lohnt sich bisher absolut nicht. Klar, das ist eine kleine Spielerei und schon ziemlich cool, aber das ist den Aufpreis nicht wert.

Mehr Licht bei Nacht

Daher habe ich mal bei Nacht mein GorillaPod-Stativ an eine Brücke montiert und folgende Bilder geschossen.

Night Modes im Vergleich

Social-Media-tauglich sind die Bilder beide. Für einen Fotopreis reicht es bei beiden nicht. Dazu ist beim P40 Pro+ der Himmel zu körnig und beim P40 Pro sieht alles zu weichgezeichnet aus.

Wenn ich das schnell in Photoshop mache, dann sieht das so aus.

Alles, was ich gemacht habe, ist Sättigung und Helligkeit auf je etwa -70 zu schieben. Das kann eine AI locker auch.

Aperture Modes im Vergleich

Ja, das P40 Pro+ nimmt tatsächlich mehr Licht auf. Im Aperture Mode haben beide Bilder genau gleich viele Pixel und sind mit 7000 KB und 7229 KB fast gleich gross. Die EXIF-Daten geben mir f/0.95, eine Belichtungszeit von 1/10 und ISO 3200 aus. Bei beiden. Die Bilder sind im Abstand von drei Minuten aufgenommen worden.

Der Nachtmodus am Anschlag

Der Nachtmodus ist relativ simpel. Damit die AI anständig rechnen kann, braucht sie irgendwo im Bild eine Lichtquelle, die mehr als nur Lichtpunkte am Horizont ist. Diese darf nicht zu stark sein. Also krasses Gegenlicht führt zu seltsamen Resultaten. Sehen wir mal an, was «die beste Kamera auf dem Markt» und «die beste Kamera auf dem Markt... Plus» hinkriegt.

Eins vorneweg: Beide Phones scheinen gar nicht versucht zu haben, aus dem Hintergrund etwas rauszuholen. Denn zum einen ist das Fernlicht des Alfa stark und zum anderen hat sich die AI des Phones wohl gedacht, dass ich den Lens Flare ansehen will.

Im Aperture Mode geschieht genau das mit den ISO. Das eingeschaltete Fernlicht verreisst es völlig. Im Night Mode erkennt die Software die Form der Glühbirne und sieht sogar den Blinker.

Wirklich spannend wird es, wenn wir dieselben Aufnahmen aus dem P40 Pro+ hinzuziehen. Das Plus sieht da rote Farben, während das P40 Pro sich auf Weiss- und Blautöne verlässt.

Haben wir etwas Lens Flare produziert. Zeit, Schlafen zu gehen. Die EXIF-Daten werfen mir Timestamps von 23:58 Uhr aus. Definitiv zu spät…

Die Sache mit dem Zoom

06:52 Uhr. Es regnet. Mist. Das Huawei P40 Pro kriegt mit allen Mitteln – optisch wie digital – nur einen Zoom von 50x hin. Das Pro+ kämpft da gegen Samsungs Space Zoom mit 100x.

Auf einem Steg in Küssnacht am Rigi sehe ich dramatische Nebelschwaden. Es könnten auch Wolken sein. Frei nach McCoy: Ich bin Journalist und kein Meteorologe.

Den direkten Vergleich zwischen P40 Pro und P40 Pro+ kann ich nur bis 50x machen, da das die maximale Zoomstufe ist, die das P40 Pro hinkriegt. Die Bilder waren auch mit Stativ schwierig hinzukriegen, da das Smartphone bei 50x arg wackelt

Gut oder nur schon brauchbar ist keines der Bilder. Das Pro+ sieht mehr starke Schatten, weist Schwarz etwas liberaler zu als das P40 Pro, das einfach Grautöne sieht. Dazu sieht das Pro+ mehr Details im Geländer. Das Problem: Beide Bilder sind nutzlos. Tech-Demo. Mehr nicht.

Das P40 Pro+ kriegt einen Zoom von bis zu 100x hin. Das ist dann ein Hybrid-Zoom, der den optischen Zoom mit digitalem Zoom mischt und dann wohl noch eine gesunde Portion Daten aus der 50MP-Linse reinmacht. Da kann nur ein Phone bisher mithalten. Das Samsung Galaxy S20 Ultra.

Samsungs Hauptproblem ist nicht einmal zwingend die Erkennung der Umrisse, sondern die Farbkorrektur. Wenn Samsung etwas aggressiver mit der Farbkorrektur wäre, dann wäre das Resultat nicht einmal so übel im Vergleich zu Huawei.

Bei diesem Bild habe ich zwei Dinge angepasst. Ich habe den Schwarzwert korrigiert. Schwarz unter dem Ast, Weiss vorne am Geländer. Danach habe ich die Farbsättigung auf +65 gesetzt. Die Farbinformationen sind da, aber Samsungs AI ist da etwas zu konservativ. Was fehlt sind die Bildinformationen zu Umrissen. Die Kameras der Smartphones, Huawei wie auch Samsung, sehen einfach noch nicht genug weit in die Ferne, um wirklich ein nützliches Bild ausspucken zu können.

Der Ton ist besser, aber immer noch nicht wirklich gut

Eine kurze Bemerkung zum Thema Video: Ich wollte wissen, ob das Zusammenspiel zwischen AI und Mikrofon an der Kamera auf dem Huawei P40 Pro+ genauso schlecht ist wie beim P40 Pro. Daher: Klebeband, Motorrad, 80km/h den Berg rauf und runter.

Eigentlich müsste das Resultat dasselbe sein wie beim P40 Pro: Ich gebe Gas, der Motor wird lauter, die AI definiert ihn als Hintergrundlärm und filtert ihn abrupt raus. Hardwareseitig sind die Mikrofone identisch. Aber softwareseitig ist da ein Unterschied feststellbar.

Das liegt wohl daran, dass die Software auf dem P40 Pro+ neuer ist als die des P40 Pro. Vorsicht: Die Plus-Version hat keine kommerzielle Software verbaut. Dennoch scheint es so, als ob der Wind besser herausgefiltert wird und das Motorengeräusch weniger entfernt wird.

Bei der Bildstabilisation scheint das P40 Pro in der Nicht-Plus-Version die Nase vorn zu haben. Beim Plus sehe ich viele ganz kleine Ruckler im Bild und die versprochene, saubere Kamerafahrt findet nicht statt.

Keine 400 Franken wert

Die Kameras leisten beide im Rahmen der brauchbaren Bilder sehr gute Arbeit, selbst wenn der künstlichen Intelligenz Sinn für Ästhetik hinterfragt werden sollte. Nachthimmel sind nicht hellgrau, hellblau oder hellorange. Die technologische Leistung ist aber bei beiden Modellen aktuelle Marktspitze. Das Pro+ hat sogar die Nase vorn.

So für sich gestellt: Ist das P40 Pro+ gut? Ja. Sind die Fotos super? Absolut. Ist es 400 mehr Franken und die Vernichtung eines klaren Portfolios wert? Nein.

So. Fertig. Die Keramik-Rückseite des P40 Pro+, übrigens, liegt farblich weit hinter Silver Frost des P40 Pro. Sowohl farblich wie auch haptisch.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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