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Huawei Mate 40 Pro im Review: Huawei schafft das Unmögliche… fast

Huawei kämpft. Nicht ums Überleben, aber um den Thron. Das Huawei Mate 40 Pro soll dem gebeutelten Hersteller die Markt-Leader-Position zurückbringen. Das gelingt. Vielleicht. Denn die Kamera ist spitzenklasse und das Mate hat eine überraschende Alltagstauglichkeit.

Das Huawei Mate 40 Pro ist nicht das beste Phone, das ich im Jahre 2020 in den Fingern gehalten habe, aber ganz bestimmt das interessanteste. Denn kein Phone ist hardwareseitig so gut aufgestellt und so experimentierfreudig wie das Mate 40 Pro.

Dazu: Das Huawei Mate 40 Pro hat Alltagstauglichkeit trotz dem Fehlen der Google Services. Aber ganz da ist das noch nicht.

Lassen wir uns also auf ein Flaggschiff ein, das für Enthusiasten gemacht ist.

Der Kirin 9000: Boom!

Das System-on-a-Chip (SoC) des Huawei Mate 40 Pro heisst Kirin 9000, der bisher neueste, schnellste und beste Chipsatz des gebeutelten Smartphone-Herstellers. Und die Specs klingen cool:

  • 5nm Bauweise, also stromsparend
  • 15.3 Milliarden Transistoren, also marketingtechnisch gut ausschlachtbar
  • 5G nativ verbaut, also schneller Datentransfer und zukunftssicher
  • Die Neural Processing Unit (NPU) ist «integriert in eine eingebettete Kirin 6.0 ISP für Kamerafunktionen», also auch für Tech-Nerds was zum Sagen, das gut klingt

Kurz: Huawei will dich wissen lassen, dass der Kirin 9000 das bisher beste und stärkste und aller-allerbeste Ding aller Zeiten ist. Dazu hat das Marketing Department alle Register gezogen und drischt Phrasen wie Apple.

Wir haben also eine Plattform, die verdammt stark ist und bald wesentlich effizientere Software, die weniger Ressourcen brauchen soll.

Warum also die ganze Power?

Keine Ahnung, aber ich bin mir sicher: Das wird verdammt cool.

Der Bildschirm und seine Marketingversprechen… Blödsinn

Weiteres Augenmerk will Huawei auf den Bildschirm gelegt haben. Denn das Amoled Display mit einer Auflösung von 2772 x 1344 Pixel ist um 88 Grad gebogen. Und, etwas kleiner geschrieben, Huawei ist so quasi etwas bitzli stolz darauf, dass das ein 90 Hertz Display ist, also 90 Bilder pro Sekunde anzeigt. Normale Smartphone-Bildschirme kommen mit 60 Hertz daher, die Flaggschiffe bauen das Bild 120 mal pro Sekunde neu auf.

Das Huawei fällt also genau in die Mitte zwischen Standard und Flaggschiff. Und fällt damit überhaupt nicht auf. Die Bildwiederholrate von 90 Bildern pro Sekunde ist dermassen unauffällig, dass sie geradeso gut nicht über 60 liegen könnte.

Der Hersteller weiss das natürlich. Genau hier lohnt es sich, das Marketingsprech hart zu hinterfragen. Denn egal, was ein Richard Yu oder auch ein Tim Cook an einer Pressekonferenz oder einem Event sagt, da ist immer etwas, das er nicht sagt. Der Bildschirm des Mate 40 ist das perfekte Beispiel dafür.

Der Screen sei so gebaut, weil er stromsparender sei als die 120 Hertz Displays der Konkurrenz. Klingt an und für sich schlüssig und ist technologisch auch richtig. Doch nach zwei Sekunden Nachdenken zerfällt das Argument. Denn bei genauem Hinsehen sollte zumindest Handgelenk mal Pi der bessere Bildschirm keinen allzuschlimmen Effekt auf die Batterielaufzeit haben.

Aber: Das Display ist schön kalibriert. Und überhaupt, wenn Enthusiasten von Huawei reden, dann reden sie selten von schönen Displays – das ist in der Regel bei Samsung relevant –, sondern von der Kamera.

Die Kamera: Here we go

Es hat etwa zwei Stunden gedauert, bis das Huawei Mate 40 Pro das P40 Pro als meine On-the-go-Fotokamera abgelöst hat. Für aufwändige Bilder setze ich nach wie vor auf meine Sony a7sii, aber für Schnappschüsse auf Road Trips oder dergleichen ist meine Wahl klar das Mate 40 Pro. Das, obwohl die Kamera des Mate 40 Pro nicht die beste ist, die die Mate-Serie sein könnte. Denn da gibt es noch eine bessere Version als die, die du in den Schweizer Shops findest.

Das Kamerasystem des Mate 40 Pro sieht so aus:

  • 50 MP, f/1.9, Weitwinkellinse
  • 12 MP, f/3.4, 5x optischer Zoom, Periskoplinse mit optischer Bildstabilisation
  • 20 MP, f/1.8, Ultraweitwinkellinse

Was der Nicht-Enthusiast in der Schweiz nicht weiss: Da ist noch eine Pro+-Version. Das Kamerasystem des Huawei Mate 40 Pro+ sieht so aus:

  • 50 MP, f/1.9, Weitwinkellinse mit optischer Bildstabilisation
  • 12 MP, f/2.4, 3x optischer Zoom, Telefotolinse mit optischer Bildstabilisation
  • 8 MP, f/4.4, 10x optischer Zoom, Periskop-Telefotolinse mit optischer Bildstabilisation
  • 20 MP, f/2.4, Ultraweitwinkellinse
  • Time-of-Flight (TOF) Tiefensensor

Die Pro-Plus-Version wird aber in der Schweiz nicht auf den Markt gebracht, da sowohl Pro wie auch Plus nur in limitierter Stückzahl hergestellt werden. Schwacher Grund, aber da können wir nur wenig ausrichten. Danke, Huawei.

Da ist «Katze», bei dem der Kontrast und die Schwarzwerte so gepusht werden, dass möglichst jedes Härchen des Fellknäuels erkennbar ist…

… «Schnee», bei dem die Grauabstufungen feiner gemacht werden und das Bild etwas entsättigt wird…

… «Wasserfall», bei dem die Aufnahmezeit verkürzt wird, damit jeder Wassertropfen sichtbar werden soll…

… «Blauer Himmel», wo der Himmel blau gemacht wird. Sehr blau.

Da sind noch weitere. Das Katzenvieh hat die Kamera mal kurz als «Panda» identifiziert, bevor es sich auf «Katze» besonnen hat. Sonnenaufgang, Sonnenuntergang, Essen, Mensch als «Portrait», Auto und so weiter. Das ist beeindruckend und liefert beeindruckende Bilder. Kein Wunder reiht sich die Kompaktkamera in die Reihe der ausgestorbenen Technologien wie dem Fax ein, wenn ein Smartphone mit so vermeintlich wenig Effort so viel leistet.

Der Nachtmodus ist derweil nach wie vor grösstenteils unverändert. Technologisch beeindruckend, das Bild unrealistisch überdreht. War aber auch schon schlimmer.

Wir nehmen unser Maskottchen, das pinke Plüscheinhorn mit dem Namen «Horny», und umwickeln ihn mit Girlanden. Dann setzen wir ihn in möglichst dunkles Geäst. Die Theorie: Die Kamera erkennt Horny nicht, sieht keine Linien im Hintergrund, die auf Gebäude oder Natur hinweisen

Das Resultat kann in drei Bildern:

In der Nähe erkennt die künstliche Intelligenz keine Szene, keine Person und kein Tier. Sprich: Wir bekommen ein Bild, das die Leistung der Kamera mit nur minimalen Software-Tricksereien zeigt. Da der Bildausschnitt gut ausgeleuchtet ist, hat die Kamera keine grossen Schwierigkeiten, Äste, Einhorn und Lichter zu erkennen.

Auf eine Distanz von etwa fünf Meter versagt dann die Kamera. Sie erkennt kein Plüscheinhorn mehr. Die digitale Bildstabilisierung versagt auch. Verschwommenes Bildmaterial mit einem völlig weissen Licht in der Mitte. Sie hat nichts gefunden, das es zu optimieren gäbe. Der Bildschirm vor der Aufnahme sah noch weniger.

Die Sache mit Google und die überraschende Alltagstauglichkeit

Die Ersatzprodukte Huaweis heissen Huawei Mobile Services und App Gallery.

Viel ist passiert, sehr viel. Die Ersatz-APIs haben bis dato immer ihren Zweck getan, weswegen sie unbemerkt im Hintergrund des Systems werkeln. Gut. So sollte es sein, gibt in einem Review einfach nicht viel dazu zu sagen. Funktioniert, passt, moving on.

Am Ende hast du ein Phone, das nie langweilig wird. Irgendwas ist immer. Da ein Feature, das aktiv verbessert wird, dort eine Frage, die vielleicht erst in einem Nachfolgermodell beantwortet wird. Vor allem aber ist da eines: Viel, viel Leistung. Das Huawei Mate 40 Pro ist ein Arbeitstier. Es ist in der Abarbeitung eines Workloads schier unbesiegbar.

Softwareseitig? Da wird es spannend. Huawei ist zum ersten Mal seit den Sanktionen ein Phone, dem ich Alltagstauglichkeit zuschreiben würde, wenn auch nur bedingt. Die Funktionen sind da, sei das eine Wetter-App oder eine Cloudlösung für das Backup deiner Bilder, aber noch ist das Ganze nicht so einheitlich und fliessend, wie sich das für ein modernes Software-Ökosystem gehört.

Wenn du ein Phone willst, das vor allem verdammt gute Bilder macht und du bereit bist, minimalen Aufwand für die Synchronisation der entstandenen Daten mit allem anderen zu betreiben, dann greif zu. Denn Huawei ist der beeindruckende Coup gelungen, innerhalb von zwei Jahren ein Ökosystem aus dem Boden zu stampfen, eine Leader-Position auf dem Markt zu halten und mit dem Design der Phones zu überraschen.

So. Fertig. Ich mag das Teil. Sehr sogar. Ich bin mir auch sicher, dass das Mate 50, wohl mit HarmonyOS, endlich die lang erwartete, vollwertige Konkurrenz zu Google wird.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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