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Huawei P40 Pro Review: Der König, wenn das Wörtchen «wenn» nicht wär…

Huawei nennt das Huawei P40 Pro das «Fotowunder». Stimmt. Keine Kamera macht bessere Bilder. Doch bei Videos versteckt sich eine Schwäche hinter dem Marketing-Gerede. Und dann ist da die Google-Sache. Phone des Jahres? Technisch ja, aber leider nein.

Das Huawei P40 Pro ist aktuell mein liebstes Phone. Es ist rasend schnell, liegt verdammt gut in der Hand und der Bildschirm spielt ganz oben mit. Und dann ist da diese Kamera. Wow.

Blöd nur, dass Huawei softwaremässig im Moment hart kämpfen muss. Der chinesische Konzern spielt gegen einen Gegner, der zehn Jahre Software-Entwicklung und Etablierung Vorsprung hat. Denn auch wenn das P40 Pro auf Googles Android läuft, so kann es nicht mit Google zusammenarbeiten. Kein Play Store, keine Play Services, limitierte Alltagstauglichkeit.

Trotzdem: Huawei gibt nicht auf. Im Gegenteil, es geht voran und Huawei könnte genau der sein, der Googles Lock-In aufbricht. Vielleicht. Damit du verstehst, mit welcher Marktsituation sich das Huawei P40 Pro gegenübersieht, hier ein Abriss. Interessiert dich das nicht, dann kannst du einfach weiterscrollen bis zum Zwischentitel «Jetzt aber: Das P40 Pro».

Kurz: Das P40 Pro kann ich theoretisch jedem empfehlen. Praktisch nur denen, die sich mit dem Phone Arbeit machen wollen. Es ist ein Phone für Enthusiasten und solche, die es werden wollen. Denn es wäre ein Phone, für den sich den Schritt vom User zum Enthusiasten lohnen würde. Das P40 Pro wäre das Phone des Jahres, wenn da die Sache mit Google nicht wäre und die Sache, dass Huawei noch ein Ass im Ärmel hat. Oder zwei.

Die Sache mit Google

Seit Mai 2019 darf Google nicht mehr mit Huawei zusammenarbeiten. Das hat US-Präsident Donald Trump beschlossen, da er Spionageverdacht hegt. Den Beweis ist er der Weltöffentlichkeit noch schuldig, aber für ihn ist gesetzt, dass Huawei Dreck am Stecken hat. Vor kurzem hat er das Handelsverbot um ein Jahr verlängert.

Hinter den Kulissen ist klar: Huawei erfindet komplett etwas Neues, da der Konzern keine Lust mehr darauf hat, zum politischen Spielball zu werden. Denn Huawei will vor allem eines: Geld machen, indem sie Phones und andere Elektronik verkaufen.

Huawei muss nun eigene APIs schaffen, dann die App-Schmieden dazu bringen, diese zu unterstützen. Da sind die zehn Jahre Vorsprung Googles schier uneinholbar.

Genug Wirtschaftspolitik im Kurzabriss. Jetzt zum Phone.

Jetzt aber: Das P40 Pro

Das Huawei P40 Pro ist die logische Konsequenz aus dem P30 Pro, dem Phone, das ich im vergangenen Jahr am meisten genutzt habe. Daher: Viele Vorschusslorbeeren, denn das P30 Pro war das erste Smartphone, bei dem ich keinen akuten Bedarf gesehen habe, ein neueres, besseres Modell zu besorgen.

Vergleich das mal mit dem Foto des Geräts

Darum: Bevor du denkst «Wäh. Da kauf ich mir lieber das Schwarze», schau dir Silver Frost mal im echten Leben an.

Interessant ist das Marketing-Geschwafel Huaweis, wenn es um den Bildschirm geht. Die Werbespots reden da von «Quad Flow Edge To Edge» oder sowas, was im Wesentlichen bedeutet, dass der Screen nicht nur links und rechts über die Kanten gebogen ist, sondern auch oben und unten.

In der Benutzung merkst du das nicht wirklich, aber die Konstruktion hat so recht spannend aussehende Ecken des Phones entstehen lassen. Laut Huawei sollen sie der Stosssicherheit dienen. Das glaube ich sogar. So halb. Wenn ich das Teil mit dem Cat S61 vergleiche, das wirklich stosssicher ist, sehe ich, dass keine Krümmung im Bildschirm wohl am ehesten zur Stosssicherheit führt. Visuell setzen die Ecken einen interessanten Akzent.

Die Crux mit Google in der Praxis

Softwareseitig: Android, kein Google. Google kann zwar nachgerüstet werden, aber wenn ich meinen Maileingang so beobachte, dann geht das bei einigen von euch super, bei anderen gar nicht und bei wieder anderen geht das zuerst nicht, dann doch. Ich kann aus meiner Warte nicht ganz nachvollziehen, woran das liegt. Oder was genau das Ding funktionieren lässt oder nicht. An alle Mail-Schreiber: Ich bin dran, habe aber leider keine schlauen Antworten. Noch keine. Sorry.

Genau da liegt der Part, an dem das P40 Pro jede Alltagstauglichkeit verliert. Denn wenn du einfach ein Phone benutzen willst, dich auf dein Gerät jederzeit verlassen willst, dann ist das P40 Pro nichts für dich. Die ganze Google-Hackerei funktioniert zwar – mal mehr, mal weniger – aber ist umständlich und unverlässlich.

Huawei arbeitet zwar an der eigenen App Gallery, doch im Schweizer Alltag ist sie noch lange nicht so weit, dass sie den Google Play Store ersetzen kann. Und ja, das System macht Fortschritte. Der Vorsprung Googles macht sich halt bemerkbar. In zwei Jahren, einem vielleicht, kann die App Gallery wohl dem Play Store in die Wade beissen. Im Moment ist die App Gallery kümmerlich. Ich freu mich auf das P60.

Es lohnt sich wegen der Kamera

Der Grund, warum du dir überlegen solltest, weshalb du vom User zum Bastler werden solltest, dir die App Gallery und den Google Hack geben solltest, ist die Kamera. Diese ist überragend. Sie ist nicht nur gut, sie ist schlicht besser als bei der Konkurrenz. Sei das nun im Videobereich oder als Fotokamera. Die Bilder aus der Kamera sind der Wahnsinn.

Tiefen, Details, Spiegelungen… Passt alles. Selten hat mich eine Smartphone-Kamera so beeindruckt. Okay, noch nie. Selbst wenn ich gerade nicht das P40 Pro als Daily Driver habe, ich trage es im Rucksack oder der Tasche der Motorradjacke bei mir. Denn wenn du einen schönen Schnappschuss willst, dann ist das P40 Pro der König der Smartphone-Kameras.

Spannend ist, dass du manchmal siehst, wie die Kamera rechnet und wo sie die Tiefenschärfe künstlich ins Bild rechnet.

Hier der Bildausschnitt, der das besser zeigt. Und ja, das Bild habe ich absichtlich so geschossen, um eine unnatürliche Linie zu provozieren. In der Regel ist sie nicht so deutlich erkennbar. Wenn du weisst, dass sie da ist, dann fällt sie dann und wann wieder auf.

Der Night Mode ist so eine Sache. Ich mag den nicht. Die Nächte sehen immer zu künstlich aus, aber ich bin von der Technologie dahinter beeindruckt. Die Kamera sieht extrem viel und optimiert das Bild sehr gut. Keine Nacht in unseren Breitengraden hat einen blauen Himmel, wenn wir sie mit menschlichem Auge ansehen.

Die Software, oder besser das User Interface, verdient meine Kritik. Die Hitbox für die Einstellung des Zooms oder der Blendenöffnung ist nach wie vor zu klein. Es ist immer etwas mühsam, Zoom und so on the fly einzustellen. In unregelmässigen Abständen funktioniert das schlicht nicht und das kann eine Videoaufnahme komplett versauen.

Besser wäre es, wenn sich Huawei hier eine Scheibe von Apple abschneiden würde. Da ist die Hitbox anständig gross und der Zoom-Regler wird bei Benutzung noch grösser, damit du Feineinstellungen ohne Probleme während der Aufnahme vornehmen kannst.

Die beiden Hersteller dürfen gerne noch mehr voneinander abschauen. Das Fadenkreuz, das bei Apple erscheint, wenn du eine Aufnahme von gerade oben machen willst, wäre auf dem P40 Pro super. Dafür wäre die Wasserwaage des P40 Pro auf dem iPhone 11 Pro Max nicht fehl am Platz. Huawei, Apple, Wink mit dem Zaunpfahl.

Der Ton ist das Problem

Das andere, das derzeit Wichtige, sind Videos. Im laufenden Jahr geben sich Smartphone-Hersteller viel Mühe, dass ihre Kameras gute Videos aufzeichnen. Die letzte grosse Hürde scheint genommen: Die aktuellen Flaggschiffe können in einer Auflösung von 3840×2160 Pixeln mit einer Framerate von 60 Frames pro Sekunde – kurz 4K/60fps – ohne Zeitlimite aufnehmen. Zumindest so lange, bis der Speicher voll ist.

Huawei brüstet sich dazu mit der Bildstabilisierung. Sogar beim Laufen sollen die Schritte des Läufers ausgeglichen werden. Funktioniert wunderbar. Bis zu einem gewissen Grade wird ein Gimbal komplett überflüssig. Erst, wenn du definierte und unübliche Bewegungen willst, funktioniert die Stabilisierung nicht mehr ordnungsgemäss.

Wenn du rennst, dann hast du zwei Bewegungen: Dolly und Boom/Jib. Vielleicht ist da noch etwas Tilt drin, je nach Bewegung und Befestigung der Kamera. Die Kamera stabilisiert dir Boom/Jib verlässlich, schafft so einen sauberen Dolly Shot. Tilt ist etwas schwieriger, aber die Kamerasoftware kriegt auch das hin.

Als Stresstest beschliesse ich, die Geschwindigkeit drastisch zu erhöhen. Ich nehme Klebeband und klebe mir das Phone an die Brust und fahre mit dem Motorrad den Berg hinauf in Richtung Zürich. Das ist technologisch derselbe Shot: Dolly mit Boom/Jib, etwas Tilt dazu.

Die technologische Leistung hinter diesem System ist ziemlich cool. Wie schnell muss ein Computer arbeiten, damit das auch bei 4K60fps so gut hinhaut?

Wenn du die Clips oben mit Ton geschaut hast, dann ist dir aufgefallen, dass der Motor mal lauter, mal leiser brummt. Genau wie der Wind mal lauter, mal leiser weht. Das liegt an der grossen Schwachstelle einer Smartphone-Kamera: Dem Ton.

Dritthersteller haben das erkannt und Mikrofone auf den Markt gebracht, die sowohl auf dem iPhone wie auch auf einigen Android-Geräten funktionieren. USB-C ist bei Mikrofonen nicht gleich USB-C. Ein erster Kurztest in Las Vegas an der CES hat gezeigt, dass Shure hier wohl die Nase vorn hat. Das Shure MV88+ liefert zumindest mit dem Huawei P30 Pro gute Dienste.

Ich werde das bei Gelegenheit noch am P40 Pro testen. Bis da eine vernünftige Lösung aus dem Smartphone selbst kommt, versucht Huawei, dem Problem mit künstlicher Intelligenz beizukommen. Die AI der Kamera rechnet mit, versucht Hintergrundgeräusche so gut wie möglich herauszufiltern.

Das funktioniert nicht.

So faszinierend das auf technologischer Ebene auch sein mag, so nutzlos ist das in der Praxis. Ich vermute, dass die ganze AI-Sache hier noch am Anfang der Entwicklung steht und dass das noch besser wird. Auf jeden Fall ist der Ersatz von Prosumer-Kameras zum Videodreh fast in greifbarer Nähe. Beim Bild sind wir schon da, aber der Ton ist das Problem.

Das Phone, das dich zum Bastler machen könnte

Ich mag das Huawei P40 Pro. Sehr, sogar. Die Kamera ist der Hammer und hat sich den Titel der aktuell besten Smartphone-Kamera verdient. Sowohl Foto wie auch Video sind überragend gut. Die Kamera ist der Grund, warum du dir die Mühe mit entweder der Nachrüstung Googles oder der Absenz Googles auf dich nehmen könntest.

Wenn du einfach ein Phone willst, das du auspacken kannst und das dann gut, verlässlich und vollumfänglich funktioniert, ohne dass du dir Mühe machen musst, dann ist das P40 Pro leider nichts für dich. Dann rate ich entweder zum Oppo Find X2 Pro oder dem iPhone 11.

Die Kamera ist das Highlight, selbst wenn die Benutzeroberfläche verbesserungswürdig ist und die AI beim Ton im Video etwas seltsam rechnet. Die Versprechen, die Huawei mit der Bildqualität macht, werden gehalten.

So. Fertig. Doch das Huawei P40 Pro ist dieses Jahr nicht das Alpha und Omega der Flaggschiffe aus dem Hause Huawei. Da kommt noch das P40 Pro+. Bei dem soll die Kamera noch mal einen Zacken mehr leisten. Es bleibt spannend.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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