Kritik

«Greyhound» Filmreview: Kurz? Ja. Spannend? Verdammt, ja!

Luca Fontana
22.7.2020

Seeschlachten. Kriegsschiffe. U-Boote. Torpedos. Explosionen. Schreie. Tote. Helden. Schurken. Und Tom Hanks. «Greyhound» hat alles, was ein Kriegsfilm braucht.

Eines vorweg: In der Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur das, was aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt ist.


Die See im Nordatlantik des Februars 1942 ist rau und tödlich. Hunderte Konvois, bestehend aus dutzenden US-amerikanischer Versorgungsschiffen, sollen die Alliierten in Europa im Kampf gegen Nazi-Deutschland unterstützen. Eines ist sicher: Versiegt die transatlantische Versorgung, verlieren die Alliierten. Und Nazi-Deutschland hat eine Waffe gegen diese Konvois, die schier unüberwindbar scheint.

U-Boote.

Um die Versorgungsschiffe auf ihrer Überfahrt vor den deutschen Nazi-U-Booten zu schützen, geben Kriegsschiffe Begleitschutz: Hirten, die auf ihre Schäfchen aufpassen. Schäfchen, die ansonsten dem gnadenlosen und bösen Wolfsrudel ausgeliefert wären. Captain Ernest Krause (Tom Hanks) ist einer dieser Hirten. Ein Unerfahrener, auf seiner ersten Atlantiküberfahrt als Captain.

Er sieht sich sechs feindlichen U-Booten gegenüber.

Kurz, verdammt kurz. Aber verdammt spannend

Schon seltsam. «Greyhound» ist kein langer Film. 80 Minuten – nur 80 Minuten – dauert er, ohne Abspann. Wenig für einen Kriegsfilm. Da müssten sämtliche Alarmglocken schrillen. Wie soll so eine Handlung mit Tiefgang entstehen? «Greyhound» hat allerdings eine Waffe, die der Film glänzend einsetzt: Tom Hanks. Es ist sein Charisma – seine Ausstrahlung – die den Film trägt.

Tom Hanks ist es auch, der das Drehbuch geschrieben hat. Nicht zum ersten Mal, übrigens, aber es ist das erste Mal, dass Hanks bei einem selber geschriebenen Drehbuch nicht Regie führt. Die führt Aaron Schneider. Schneider, der zuletzt «Get Low» inszeniert hat – im Jahr 2009. Das ist ewig lange her.

Noch mehr Alarmglocken.

Dass «Greyhound» nicht untergeht, metaphorisch gesprochen, grenzt an ein Wunder. Mehr noch. «Greyhound» ist spannend. Und das von der allerersten Filmsekunde: Captain Krause, Hanks Charakter, wacht auf seiner Pritsche in der klaustrophobisch kleinen Kabine der USS Keeling auf, ein Zerstörer der Fletcher-Klasse. Codename: Greyhound. Krause spricht seine Gebete. Zieht seine Uniform an. Geht auf die Brücke. Will seinen Kaffee schlürfen. Kaum genippt – der Alarm.

«Huff Duff meldet eine deutsche Übertragung auf null-acht-sieben Grad. Entfernung eins-fünf bis zwei-null Meilen. Wahrscheinlich ein U-Boot, Sir.»

Die Jagd beginnt.

Luft zum Atmen gibt der Film nicht. Pausen sind keine vorhanden. Keine Momente, in denen wir Zuschauer Zeit haben, das Gesehene zu verarbeiten. Stattdessen ist da die Jägerin, die bald zum Gejagten wird. Denn ein einzelnes U-Boot ist für ein Kriegsschiff ein fieser, aber schlagbarer Gegner. Als aber der im Trailer angedeutete Wolfsrudel auftaucht – ein Verbund aus sechs Nazi-U-Booten – wird aus der Jagd ein unerbittlicher Überlebenskampf.

«Ein Wolfsrudel verfolgt uns. Sie werden als Gruppe angreifen» – «Ja. Sie warten auf den Einbruch der Nacht, wenn wir nichts sehen können.»

Wolfsrudel. Das Wort – im Original «wolf pack» – ist keineswegs ein aus dramaturgischen Gründen gewählter Kunstbegriff. Es ist die englische Bezeichnung der gefürchteten deutschen Wolfsrudel-Taktik, die nach ersten U-Boot-Erfahrungen im Ersten Weltkrieg eigens zur Vernichtung Alliierter Konvois perfektioniert worden ist.

«Greyhound» zeigt perfekt, wie tödlich diese Wolfsrudel-Taktik ist.

Irres Tempo, treibende Musik und epische Kameraführung

Eine nervliche Zerreissprobe, diese Überfahrt, die nicht nur Krause den Schweiss auf die Stirn treibt, sondern auch uns Zuschauern.

Abseits der Killerwal-Geräusche bewegt sich Neelys Musik in ausgesprochen soliden, aber wenig innovativen Gewässern. Meistens sind es die Schlag- und Effektinstrumente – die Perkussion – die eine grandios treibende Wirkung à la Hans Zimmer entfalten und für ein stetes Gefühl der nicht enden wollenden Bedrohung sorgen. Das ist nicht neu. Die eigentliche Kunst Neelys ist, es dabei nie in bedeutungslosen Pomp ausarten zu lassen.

Und wenn es doch einmal mucksmäuschenstill ist, dann sind es andere Dinge, die Crew und Zuschauer in Atem halten. Etwa ein bedrohlich fieses und sarkastisches Knacken aus dem Funk, als ein deutscher U-Boot-Offizier die Funkfrequenz der US-amerikanischen Flotte entdeckt:

«Greyhound, viel Glück beim Überleben der Nacht», sagt die Stimme Thomas Kretschmanns.

Bei all dem ist es an Regisseur Aaron Schneider, inszenatorisch die Übersicht für uns Zuschauer zu wahren. Das tut er. Einerseits bewegt er die Kamera gekonnt durch die beengten Korridore. Andererseits «zoomt» der Regisseur immer wieder aus dem Geschehen raus, um die kriegerischen Bemühungen aus der Vogelperspektive zu dokumentieren.

Das hat schon beinahe was von Peter Jackson’s «Lord of the Rings»-Trilogie.

Für die Innenaufnahmen wurde übrigens die USS Kidd, das letzte Kriegsschiff, das immer noch dieselbe Konfiguration wie anno dazumal hat, genutzt. Das nutzt Schneider immer wieder für historisch akkurate Nahaufnahmen der Gerätschaften und Instrumente aus. Clever.

Ein Kritikpunkt habe ich aber.

Zwar Tom Hanks, dafür fehlende Charakterisierung

Abgesehen von Tom Hanks Krause hat «Greyhound» nichts, was einem echten Charakter nahe kommt. Und selbst Krause ist ziemlich fad und nichts, was es nicht in zig anderen Filmen bereits gegeben hätte: Er ist der Mann mit felsenfestem religiösen Glauben, der aber den Glauben an sich selbst verliert und ihn irgendwie zurückgewinnen muss.

Die restlichen Charaktere im Film sind so schmerzlich oberflächlich wie austauschbar. Besonders die junge Crew. Eigentlich ein Genickbruch für einen Kriegsfilm: Sind uns Zuschauern die Charaktere egal, kommt keine Spannung auf. Kommt keine Spannung auf, fällt der ganze Film flach.

Okay, es gibt noch einen Charakter, der abseits von Hanks für Empathie sorgt: Der von Stephen Graham gespielte Charlie Cole, Krauses erster Offizier und engster Freund. Denn die Freundschaft wirkt echt. Ihre Blicke, meistens versteckt vor der restlichen Crew, zeigen Zweifel und Ohnmacht. Sie sollen es alleine mit sechs U-Booten aufnehmen?

An das grossartige Schauspieler-Duo Denzel Washington und Gene Hackman in «Crimson Tide» kommen die beiden aber noch lange nicht heran.

Packend, wenn auch etwas kurz

Alleine deswegen könnte ich den Film für gescheitert erklären. Tue ich aber nicht. Denn «Greyhound» hat keine einzige Länge. Das Tempo ist perfekt. Während seinen kurzen 80 Minuten zuzüglich Abspann ist der Film in jeder Sekunde ein schweisstreibender Adrenalinkick. In Punkto Inszenierung braucht sich «Greyhound» nie zu verstecken.

Abseits von packend inszenierten U-Boot-Gefechten und Seeschlachten ist es dann vor allem Tom Hanks, der «Greyhound» trägt und wenigstens den Hauch von Tiefe verleiht. Ansonsten ist der Film reinster Stress – im positiven Sinne.

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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