«Gran Turismo»: Ein Film voller langweiliger Klischees
Filmkritik

«Gran Turismo»: Ein Film voller langweiliger Klischees

Luca Fontana
9.8.2023

Meistens rast Neill Blomkamps «Gran Turismo»-Film mit halsbrecherischem Tempo von Rennen zu Rennen. Gut so. Denn hast du Zeit, über den Film nachzudenken, crasht er brutal in einen langweiligen Stapel voller Klischees.

Eines vorweg: In diesem Review gibt’s keine Spoiler. Du liest nur Infos, die aus den bereits veröffentlichten Trailern bekannt sind.


Dafür, dass der Film auf der «unglaublichen» und «wahren» Geschichte von Rennfahrer Jann Mardenborough basiert, ist die Story weder besonders unglaublich, noch nimmt sie’s mit der Wahrheit allzu eng. Sie verläuft stattdessen genau so, wie du’s nach dem Schauen des Trailers vermutest: Der Gamer wird zum Rennprofi. Natürlich mit ein paar Umwegen. Aber zum Schluss knallt der Champagner. Muss er fast. Das ist schliesslich ein Rennfilm.

In der Zwischenzeit werden uns Game- und Renn-Klischées à gogo serviert. Szene um Szene. Überraschend ist rein gar nichts am Film. Dass er trotzdem einigermassen die Kurve kriegt, hat zwei Gründe: Das handwerkliche Können von Regisseur Neill Blomkamp («District 9») und ein hervorragend aufgelegter David Harbour («Stranger Things»), der «Gran Turismo» locker auf seinen Schultern trägt.

Darum geht’s in «Gran Turismo»

Der 19-jährige Jann Mardenborough (Archie Madekwe) möchte eigentlich nur eins: Von morgens bis abends «Gran Turismo» zocken. Schnelle Rennautos sind seine Passion. Ja, sein ganzer Lebensinhalt. Schliesslich kennt er dank des Games jede professionelle Rennstrecke, jede Kurve, jeden Bremspunkt und sogar jede Bodenwelle, als ob er sie in der Realität selbst gefahren wäre. Simulation sei Dank. Wäre er in einer reicheren Familie geboren, würde er mittlerweile echte Rennen fahren. Bestimmt.

Tatsächlich kommt der Tag, an dem sein Traum Realität werden könnte: Nach einem als Sieger abgeschlossenen «Gran Turismo»-Online-Turnier wird er zur ersten Nissan PlayStation GT Academy der Geschichte eingeladen. Das ist nicht irgendeine Akademie. Zusammen mit den besten Gamern des Kontinents konkurriert er dort um einen begehrten Platz im Rennstall Nissans, wo ihm eine professionelle Rennsportkarriere winkt.

Geschenkt wird Jann natürlich nichts. Die Konkurrenz ist hart und kämpft manchmal gar mit unfairen Mitteln. Der Academy-Gründer und Marketing-Guru Danny Moore (Orlando Bloom) würde am liebsten gleich seinen deutlich medienwirksameren Protégé (Pepe Barroso) zum Sieger küren. Und Rennstall-Leiter Jack Salter (David Harbour) hält sowieso nichts davon, untrainierte Gamer ans Lenkrad eines echten Rennboliden zu lassen. Aber Jann lässt sich nicht unterkriegen. Hält an seinen Traum fest. Und schon bald fährt er tatsächlich die prestigeträchtigsten Rennen der Welt.

«Gran Turismo», die Game-Adaption… nicht!?

Game-Verfilmungen gehören selten zu Hollywoods besten Produktionen. Denken wir da nur an «Tomb Raider». «Assassin’s Creed». Oder «Prince of Persia». Dabei sind die Adaptionen meistens gar nicht mal so schlecht. Oder gut. Zwischendinger halt, die man sich zwar anschauen kann, aber nicht muss. Ausser, man ist Fan der Games. Genau darauf zielt Hollywood ab: Das Marketing braucht den Film nicht mehr zu erklären, um sein Publikum ins Kino zu locken. Es reicht, einfach zu informieren, dass es ihn gibt.

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«Gran Turismo» hingegen… «Gran Turismo» ist keine Game-Adaption, sondern die Verfilmung von Jann Mardenboroughs zugegebenermassen aussergewöhnlichem Weg vom kompetitiven Gamer zum professionellen Rennfahrer. Das ändert meine Erwartungshaltung, zumal ein talentierter Regisseur wie Neill Blomkamp die Fäden zieht.

Nichts spricht gegen eine zumindest versuchte Charakterstudie über einen Rookie, der im gnadenlosen Schmelztiegel des unbarmherzigen Motorsports seinen Weg finden muss – trotz Fokus auf Dramatik und Renn-Action. Ist ja nicht so, dass James Mangolds «Ford v Ferrari» es nicht mit Bravour vorgemacht hätte. Dort muss Ken Miles (Christian Bale), einer der besten Piloten seiner Zeit, aber auch cholerisches Raubein und Einzelgänger, lernen, dass ein Rennteam nicht nur aus einem Piloten besteht.

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Ein Fehler, meine Erwartungen nach dem gar nicht mal so schlecht aussehenden Trailer nach oben zu schrauben. Wäre ich doch bloss bei der üblichen Zurückhaltung geblieben.

Gran Turismo? Wohl eher Gran Klischismo

«Gran Turismo» wird nämlich geradezu von Klischées bombardiert. Auf und neben der Strecke. Manchmal so sehr, dass ich nicht nur mit den Augen rolle, sondern mit ihnen Purzelbäume schlage. «Ich bin diese Strecke schon tausende Male gefahren!», schreit etwa ein verzweifelter Mardenborough ins Team-Radio. «Nur in deinem Spiel, das hier ist die Realität!», schreit der angefressene Rennstall-Chef Salter zurück. Dramatik. «Vertrau mir einfach!», entgegnet Mardenborough schliesslich zähneknirschend. Und dann findet er plötzlich eine komplett neue Rennlinie, die kein Fahrer vor ihm je gefunden hat – und fährt damit allen um die Ohren.

Ja nee, ist klar.

Mardenborough (Archie Madekwe) und Salter (David Harbour) formen ein starkes Rookie-Team.
Mardenborough (Archie Madekwe) und Salter (David Harbour) formen ein starkes Rookie-Team.
Quelle: Sony Pictures

Oft sind es Kleinigkeiten. Aber in der 126-minütigen Laufzeit des Films häufen sie sich so sehr, dass es mir mit jeder Szene schwerer fällt, besagte Klischees zu ignorieren. Da bekommen Fahrer in der Warm-Up-Runde Briefings über ihre Konkurrenz, Hinweise zu Strecken-Eigenheiten und überlebenswichtige Anweisungen zu ihrem neuen Auto, das soeben frisch per Flugzeug eingeflogen wurde. Als ob’s keine Trainings gäbe. Oder ein Qualifying. Nein. Das passiert alles unmittelbar vor dem Startschuss. Insofern ist der Film dem Game nachempfunden, da es bei «Gran Turismo» im Karrieremodus auch keine Qualifyings gibt. Aber realistisch ist anders.

Und natürlich endet fast jedes Rennen mit einem Foto-Finish. Wie könnte es auch anders sein? Verstappen-esque Vorsprünge zum Zweitplatzierten wären dramaturgisch auch wenig spannend. Das verstehe ich. Aber dass gleich jedes im Film gezeigte Rennen so künstlich knapp ausgehen muss?

Ausser natürlich, Mardenborough wird unfair von der Strecke bugsiert. «Siehst du, der Junge hat nicht das Zeug zum richtigen Rennfahrer», erklärt Orlando Blooms Charakter. Und ich nur so: «Regeln, anyone!?» Mardenborough scheint ähnlich entsetzt. «Du hättest mich umbringen können!», schreit er seinen Konkurrenten an. Mit einem süffisanten Grinsen blafft der bloss: «Das nennt man Rennsport, Kleiner.» Ähm, nein? Solche Manöver würden von jeder halbwegs geradeaus denkenden Rennleitung mit einer direkten Disqualifikation für den Aggressor bestraft. Was hat das mit Rennsport zu tun?

Orlando Bloom spielt meistens stoische, wortkarge Helden. Hier darf er mal das Marketing-Sprachrohr rauslassen.
Orlando Bloom spielt meistens stoische, wortkarge Helden. Hier darf er mal das Marketing-Sprachrohr rauslassen.
Quelle: Sony Pictures

Glaub mir: Ich kratze nur an der Oberfläche. Da erbricht ein Academy-Teilnehmer auf der Rennstrecke. Wer gamed, ist ja unsportlich. Da rückt die einzige Teilnehmerin mit gefärbten Haaren ins Finale der Academy ein. Gamerinnen haben ja alle gefärbte Haare. Da fragt Chef Salter seine Renn-Azubis nach einem Unfall, ob man für sowas im Game Extrapunkte kriegt. Gamer-Witze halt. Abgerundet wird das Ganze durch jede Menge Product-Placement für Sony, Nissan oder Moet & Chandon. Und wenn ich nicht wüsste, dass Kazunori Yamauchi «nur» Vizepräsident von Sony Computer Entertainment und Schöpfer der «Gran Turismo»-Serie wäre, würde ich ihn nach dem Film glatt für Gott halten.

… aber es ist nicht alles Scheisse, was stinkt

Klingt nach Zerriss? Mag sein. So schlecht ist «Gran Turismo» dann doch nicht. Vor allem nicht, wenn du Mardenboroughs Geschichte nicht nachrecherchierst. Zwar handeln die Drehbuchautoren Jason Hall, Zach Baylin und Erich Hoeber die wichtigsten Eckpunkte seiner Karriere ab. Oftmals aber in einer so komplett anderer Reihenfolge, dass selbst Netflix’ «Drive to Survive» im Vergleich wie ein akribisch abgedrehter Wikipedia-Eintrag wirkt. Manchmal werden sogar entscheidende Infos bewusst unterschlagen, um die Wichtigkeit zweitklassiger Rennen künstlich aufzubauschen. Dass in Le Mans etwa zeitgleich die schnellere LMP1-Klasse auf der Strecke unterwegs ist, wird im Film komplett weggelassen. Kollege Simon Balissat hat einen Artikel darüber geschrieben:

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Aber wenn’s dann ans Eingemachte geht – und ich besagte Klischées ausblende –, dann ist «Gran Turismo» richtig gut. Die Renn-Action packend. Das Gefühl für die Gefahr spürbar. Wirklich langweilig ist der Film eigentlich nie. «Wenn du wirklich glaubst, du könntest ein Kind, das in seinem Zimmer Videospiele spielt, an eine 200 Meilen pro Stunde schnelle Rakete schnallen, dann wird es ihn in Stücke reissen», warnt Salter einmal Moore, ehe er doch zustimmt, am GT-Academy-Programm teilzunehmen. Wie Recht Salter damit hat, wird später eindrücklich gezeigt. Und der Part ist tatsächlich so passiert.

Jep, es ist eindeutig David Harbour, der eben diesen Salter spielt, der den Film irgendwie zusammenhält. Nicht, dass es seinen Charakter, Jack Salter, tatsächlich gab. Der wurde als Drillmeister und Mentor Mardenboroughs für den Film erfunden. Aber Harbour spielt den fiktiven, verbitterten Ex-Rennfahrer authentisch und mit viel Herz. Gibt die besten Motivationsreden ab. Und macht auch die besten Sprüche. Es ist seine starke Schulter, auf der der Film getragen wird. Nicht Archie Madekwes Interpretation von Jann Mardenborough.

Ganz ehrlich? Ich hätte lieber einen (fiktiven) Film über diesen Mann gesehen.
Ganz ehrlich? Ich hätte lieber einen (fiktiven) Film über diesen Mann gesehen.
Quelle: Sony Pictures

Gleichzeitig setzt Regisseur Neill Blomkamp spürbar auf Mauro Calo, Testfahrer, Auto-Reviewer, Stuntfahrer und Besitzer des schnellsten Filmkamera-Autos Europas. Und: Jann Mardenborough, der echte Jann Mardenborough, wirkte ebenfalls als Stuntfahrer am Film mit. Das spürt man. Denn wenn ein Pulk von Nissan-GT-Rs dramatisch mit 150 Sachen durch die Kurven schlingert – und wir Zuschauende hautnah dabei sind –, dann werde selbst ich nüchterner Filmkritiker ganz kribbelig in meinem Kinosessel. Dazu kommen spannende, neuartige Kameraperspektiven, die Blomkamp mit einer Drohnenkamera eingefangen hat. Keine Frage: Handwerklich braucht sich «Gran Turismo» selbst nicht hinter Ron Howards super-authentischen «Rush» zu verstecken.

Und das ist ein grosses Lob.

Fazit: Es wäre so viel mehr drin gelegen

Für einen Film, der «Gran Turismo» aufdringlich oft nicht als Game, sondern als hyper-realistische Renn-Sim zitiert, ist er ganz schön unrealistisch. Schuld daran ist das Bedienen jedes erdenklichen Klischees. Von der übertriebenen Konkurrenz auf und neben der Strecke über die angedeutete Love-Story in der Mitte des Films bis zum fulminanten Finale, wenn der Vater, der das Treiben seines Sohnes die ganze Zeit noch verächtlich snobbte, letztlich doch noch gutheisst – unter stolzen Papa-Tränen, natürlich.

Nichts am Film ist neu oder gar überraschend. Nicht mal die «unglaublich wahre» Geschichte, die sowieso bis zur Unkenntlichkeit verdreht wurde, damit sie besser in einen klassischen Hollywood-Dreiakter passt. Selbst die anfangs aufgebauschten Rivalitäten zwischen den Fahrern entfalten kaum Wirkung. Da wäre mehr drin gelegen. Mehr Tiefe. Aber – und das gehört an dieser Stelle auch gesagt – wenn’s um die Action auf der Strecke geht, dann ist «Gran Turismo» tatsächlich gut. Verdammt gut, sogar. Und wenn’s einen Charakter gibt, zu dem ich eine emotionale Verbindung herstellen konnte, dann David Harbours Jack Salter, der mich locker durch den Film trägt.

Welch’ Ironie, dass ausgerechnet er fiktiv ist.


«Gran Turismo» läuft ab dem 10. August 2023 im Kino. Laufzeit: 126 Minuten. Freigegeben ab 12 Jahren.

Titelfoto: Sony Pictures

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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