Hintergrund

Eine Woche auf Super-Nintendo- und Mega-Drive-Diät

Für unsere Themenwoche habe ich mir vorgenommen, eine Woche lang ausschliesslich auf alten Konsolen wie Super Nintendo, Game Boy oder Mega Drive zu spielen. Trotz Nostalgie habe ich meinen PC schneller vermisst, als mir lieb war.

Das Gefühl, ein Spiel mit einem satten Klicken in den Super Nintendo zu stecken, ist auch heute noch äusserst befriedigend. Danach schiebe ich den grossen, wuchtigen Schalter hoch und das Bild geht an – herrlich. Dieses physische Element macht alte Konsolen bodenständig. Es ist etwas, das ich an modernen Maschinen trotz aller Grafikpracht vermisse.

Das Retro-Erlebnis beginnt schon beim Auspacken. Besonders die Mega-Drive-Spiele, die in einer wuchtigen Hülle in der Grösse einer VHS-Kassette daherkommen. Enthalten ist eine ausführliche Anleitung. Sie gibt mir das Gefühl, dass ich etwas bekomme für mein Geld. Es ist das pure Gegenteil von aktuellen Spielen, die teilweise nicht mal mehr eine Disc enthalten, sondern nur noch einen Papierstreifen mit dem Downloadcode.

Eine Woche als verwöhntes Konsolen-Kind

Jetzt muss ich mir nur noch vorstellen, dass ich ein verwöhntes Kind desinteressierter Eltern bin, das nicht eine, sondern gleich vier Konsolen geschenkt bekommen hat. Wer hat damals nicht auch so einen Freund oder eine Freundin gehabt? Ich war der Schmarotzer, ohne eigene Konsole, der sich immer selbst zu anderen einlud, um zocken zu können.

Also dann, Spiel ab.

Tag 1: Los geht’s mit «Zelda»

Sieht vielleicht nicht dramatisch aus, aber beim Spielen empfand ich die abrupten Richtungswechsel als sehr unangenehm.

Über einen weiteren Schatten muss ich bei den Dialogen springen. Die sind nicht vertont. Damit kann ich leben. Schlimmer ist, dass ich sie wirklich lesen muss. Ich verabscheue Textboxen. Aber sonst weiss ich nicht, wohin es als Nächstes geht. Einen Questlog oder dergleichen gibt es nicht.

Die Rückschläge hören nicht auf. Ein Wahrsager gibt mir für 30 Rubine einen Tipp, den ich schon lange weiss. Ich wünschte, ich könnte zurückspulen, wie in unserem Longplay von «The Legend of Zelda».

Nun gut, normalerweise sind die klapprigen Zweitcontroller für Gäste reserviert, aber da komme ich wohl nicht drumherum. Langsam kommt auch etwas Stimmung auf, aber dann ist schon Zeit fürs Bett. Nicht, weil meine Mutter sonst droht, den Strom abzustellen. Sondern weil ich 40 bin, Kinder habe und meinen Schlaf brauche.

Tag 2: Addam und Indi

«Addam’s Family» ist ein typischer Plattformer à la «Super Mario». Ich steuere Addam, der sich durch ein Schloss voller schwebender Teekrüge und Feuerteufel kämpft. Keine Ahnung, was das mit den Filmen zu tun haben soll. Genauso wenig, wie der Ofen, den ich deaktivieren muss.

Das Spiel ist purer Stress. Ich bekomme keine Sekunde Verschnaufpause. Ständig fallen Steine auf mich herunter, modrige Hände aus dem Boden wollen mir tödliche Fussmassagen geben und mitten im Sprung trifft mich ein Projektil eines Blasrohrs. Zurück zum Start. Dagegen ist «Dark Souls» ein Kinderspiel. Auf dem Game-Over-Screen schüttelt Sean Connery nur enttäuscht den Kopf.

Langsam muss ich mich entscheiden, ob ich eines dieser Spiele durchspielen will und dafür die ganze Woche aufwende – oder lieber von verschiedenen Töpfen nasche. Um meine Nerven zu schonen, entscheide ich mich für letzteres.

Tag 3: Kleines Display, grosse Freude

Mit dem Sega Game Gear habe ich schon als Kind geliebäugelt. Den Traum habe ich mir vor ein paar Monaten erfüllt. Viel gespielt habe ich damit allerdings nicht. Zeit, das zu ändern. Dafür habe ich mir von Redaktionskollege Kevin Hofer «Shinobi 2» ausgeliehen. In allen Game-Gear-Spieleranglisten ist es ganz vorne mit dabei. Darin übernehme ich die Rolle nicht eines, sondern mehrerer Shinobi-Kämpfer. Erst muss ich sie allerdings freispielen.

Der besagte Boss ist ungefähr bei 12:30.

Tag 4: Speichern, Fehlanzeige

Ich bleib bei Sega, aber schalte einen Gang hoch. Der Mega Drive ist dran. Die grossen Spielehüllen und das Einstecken in die Konsole bleiben ein Highlight. Auch der Röhrenfernseher, mit seinem grossen Runden Knopf und dem typischen Womp-Geräusch beim Einschalten zaubert mir jedes Mal ein Lächeln aufs Gesicht.

Mein Grinsen verschwindet kurz, als das Intro von «Gunship» über den Bildschirm flimmert. Der Text wird begleitet von ohrenbetäubenden Schiessgeräuschen, die klingen, als wäre der Mega Drive abgestürzt. Dagegen klingt der Regen in «Zelda» wie entspannte Einschlafmusik.

Das Ballerintro beginnt ab Sekunde zehn und klingt auf meinem alten Fernseher deutlich höllischer als am PC.

Zeit, für etwas Aufmunterndes. Wie wär’s mit «Aladdin»? Das habe ich früher immer im Vilan (heute Manor) gezockt. Mehr als den ersten Level habe ich nie geschafft, bevor mich die Verkäufer weggescheucht haben. Heute vertreibt mich niemand von meinem weichen Sofa. Sound und Design sind immer noch Klasse. Das Spiel beginnt wie der Disney-Trickfilm von 1992 in der orientalischer Stadt Agrabah, wo mir säbelschwingende Wächter nach dem Leben trachten.

Tag 5: Das Ende ist nah – zum Glück

Meine Retro-Woche nähert sich dem Ende. Zum Glück, muss ich sagen. Denn trotz grosser Sympathie für alte Konsolen würde ich lieber meinen PC anwerfen. Aber ich muss standhaft bleiben. Heute Abend gönne ich mir einen ganz grossen Klassiker: «Super Mario World». Ein weiteres Spiel, das ich früher primär an abgenutzten Maschinen in Einkaufszentren gespielt habe.

Irgendwie schaffe ich es schliesslich bis ans Ende des Levels. Die rettenden Torpfosten sind nur noch wenige Meter entfernt, ich will mich schon zurücklehnen. Da trifft mich doch tatsächlich so ein verfluchter Football eines Koopa-Hooligans in den Allerwertesten. Den roten Handabdruck auf meiner Stirn wird man noch tagelang sehen.

Als ich endlich Wendys Castle erreiche, habe ich noch ein einziges Leben übrig. Jetzt gilt es ernst. Skelett-Dino-Knochen ausweichen, easy. Dann mit der Sprungfeder nach oben spring… natürlich fällt just in dem Moment eine spitze Säule aus der Decke auf mich drauf. Jetzt müsste ich die beiden Level vorher auch noch mal machen. Vergiss es! Ich beende meine Retro-Diät lieber mit dem Spiel, mit dem ich angefangen habe: «The Legend of Zelda: A Link to the Past»

Fazit: Alt, nervig, aber eben auch charmant

Das heisst nicht, dass ich keinen Spass bei meiner Retro-Diät hatte. Das physische Element der Spielkassetten, wenn ich sie mit einem befriedigenden Klick einstecken kann, schlägt jeden digitalen Play-Button. Auch die Einfachheit der Spiele hat Charme. Es gibt nicht tausend Ablenkungen durch Quests, Sammelaufgaben oder sonstigen Krimskrams. Bring Indi sicher ans Ende des Levels – fertig. Im besten Fall gibt es dafür ein verpixeltes Kopfnicken durch Sean Connery.

Der Verzicht auf Videos, Podcasts und andere Ablenkungen hat das Erlebnis verstärkt. Ich habe mich mehr auf die Spiele eingelassen, als ich das mit modernen Games tue. Dort ist der Griff zum Smartphone oder der Alt+Tab zu Youtube nie weit entfernt.

Ich bin froh, meinen alten Konsolen endlich etwas Zeit geschenkt zu haben. Gegen die Flut an neuen Spielen werden sie aber in Zukunft kaum eine Chance haben. Sammeln werde ich sie weiterhin. Denn auch wenn sie im Regal verstauben, ist ihnen der Platz in meinem Herzen sicher.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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