
Kritik
«Bravely Default Flying Fairy HD Remaster» im Test: ein Fest für Fans von traditionellen JRPGs
von Domagoj Belancic
«Digimon Story Time Stranger» bietet mit über 450 sammelbaren Monstern, komplexen Evolutionsmechaniken und strategischen Rundenkämpfen JRPG-Genuss pur.
Als Kind war ich grosser Fan der «Digimon»-Anime-Serie, doch irgendwie habe ich es nie geschafft, in die Spielewelt einzutauchen. Bis jetzt. Mit «Digimon Story Time Stranger» finde ich endlich den perfekten Einstiegspunkt und kann sagen: Ich bin begeistert!
Gleich zu Beginn wähle ich zwischen einem männlichen oder weiblichen Charakter – ich entscheide mich für die weibliche Variante. Das Gegenstück wird während der Geschichte mein Berater, der mich per Digivice kontaktiert. Als Agentin der Organisation ADAMAS, die Phänomene der Digi-Welt überwacht und erforscht, untersuche ich eine Anomalie. Was dann passiert, ist filmreif: Ich finde heraus, dass Digimon die Umgebung verwüsten, zerstöre ein mysteriöses Ei und werde durch ein Portal in die Digimonwelt gezogen – acht Jahre in die Vergangenheit. Seltsamerweise bleibe ich trotzdem in Verbindung mit meinem Berater und erfahre so immer wieder, was in der Zukunft abgeht.
Die Story selbst ist ziemlich geradlinig. In den ersten zehn bis zwanzig Stunden nehme ich hauptsächlich Aufträge an, um gegen Titan Digimon zu kämpfen – die bedrohen nämlich den Frieden der Digimonwelt. Diese Abschnitte sind meist oberflächlich, vor allem ich als stumme Protagonistin bleibe erschreckend blass. Auch die menschlichen NPCs langweilen mit ihrer fehlenden Tiefe.
Umso mehr glänzen die Digimon, und das ist letztendlich das, was zählt. Shellmon etwa kümmert sich liebevoll um ein verletztes Titan Digimon, weil beide die Nase voll vom ewigen Kämpfen haben. Vulcanusmon sorgt bei mir für konstante Schmunzler – das Götter-Digimon sammelt leidenschaftlich gerne Transformers-ähnliche Figuren und freut sich darüber wie ein kleines Kind. Solche Charaktermomente machen die eher simple Geschichte lebendig.
Insgesamt bietet Time Stranger wenige, aber gut platzierte Twists und behandelt klassische Themen wie Freundschaft, Loyalität und Mut. Nichts Revolutionäres, aber durchaus unterhaltsam. Die Gespräche mit den NPC-Digimon tragen dabei wesentlich zur Immersion bei. Ihre Dialoge verändern sich nämlich nach grossen Ereignissen und geben mehr Aufschluss über die Welt.
In jedem Gebiet gibt es eine zentrale Stadt, aber der Grossteil der Handlung spielt sich in Central Town ab. In den Städten kaufe ich JRPG-typisch ein, bringe die Story voran oder hole mir Nebenmissionen. Die sind im Wesentlichen Botengänge und Kämpfe, erfüllen aber ihren Zweck: Sie sind mit der Hauptgeschichte verknüpft und treiben Nebenhandlungen voran. Besonders empfehlenswert sind sie für die Agent-Skill-Punkte, die ich benötige, um die Digimon zu digitieren – dazu später mehr.
Es gibt zahlreiche Dungeons, die nicht allzu lange und wie ein Schlauch designt sind. Zu erkunden gibt es abseits der Wege wenig. Dafür bietet jeder Dungeon ein spezielles Gimmick, um voranzukommen. Unter Wasser hilft mir etwa Submarimon, gegen die Strömung anzukommen. Palmon wiederum verwendet seine Ranken, damit ich von Baum zu Baum schwingen kann. Diese Support-Digimon helfen mir als Gast auch im Kampf.
Kommen wir zu den Stars: den Digimon selbst. Beim Erkunden treffe ich auf aggressive Exemplare, die ich vom Feld aus angreifen kann, um Präventivschläge zu landen. Schwächere Gegner lassen sich so sogar direkt besiegen. Das System gefällt mir, wird aber fast zur Routine – ich drücke ständig den Angriffsknopf, falls sich irgendwo ein Digimon versteckt.
Um neue Teammitglieder zu entwickeln, kämpfe ich gegen sie. Jede Begegnung erhöht den Scan-Prozentsatz der jeweiligen Art. Bei 100 Prozent kann ich das Digimon entwickeln. Damit sollte ich aber noch warten. Ich kann den Prozentsatz nämlich gar auf 200 Prozent bringen, so wird es noch stärker. Hier beginnt der eigentliche Spas: Mit über 450 Digimon wird es schnell überwältigend – im besten Sinne.
Bei «Time Stranger» verläuft die Digivolution nicht linear. Ich kann sie auch De-Digiteren, also in eine tiefere Entwicklungsstufe zurückversetzen. Das ist nötig, um überhaupt bestimmte Digimon zu erhalten.
Die Interaktion mit den Digimon beeinflusst deren Persönlichkeit und Bindung. Dazu spreche ich sie einfach an und gebe ihnen entsprechende Antworten auf ihre Fragen. Je nach Persönlichkeit erhalten sie beim Levelaufstieg bestimmte Werte. Manche Digivolutionen erfordern bestimmte minimale Statuswerte, die ich so schneller erreiche. Zu den Voraussetzungen der Digitierung gesellt sich auch mein Agenten-Rang, den ich mit den erwähnten Agent-Skill-Punkten erhöhe.
Falls ich meine Digimon nicht mit Kämpfen stärker machen will, gibt es die geniale Digifarm: Dort trainieren Digimon abseits von Kämpfen, Trainingsgegenstände verbessern die Statuswerte und Futter stärkt die Bindung. Einziger Kritikpunkt an der Farm: Ich sehe die Digitierungsvoraussetzungen der Digimon nicht, die dort platziert sind. Ich muss sie mir merken, bevor ich sie dort platziere.
Die Digifarm ist aufgrund der Komplexität der Digivolution nötig. Denn später im Spiel werden die Anforderungen noch spezifischer. Es wird zum Spiel im Spiel, den Überblick über die riesige Anzahl möglicher Pfade zu behalten. Das ist komplex, macht aber durchaus Spass.
Das Kampfsystem ist rundenbasiert, aber vielschichtig. Sieben Attribute bilden ein Schere-Stein-Papier-System: Virus schlägt Daten, Daten schlagen Impfstoff, Impfstoff schlägt Virus. Dazu kommen elementare Resistenzen und Schwächen. Nutze ich diese aus, vervielfacht sich der Schaden – was vor allem bei Bossen überlebenswichtig ist.
Dadurch wird die Gegneranalyse per Knopfdruck zur Routine, damit ich über deren Schwächen Bescheid weiss. Mit Cross Arts, meiner Spezialfähigkeit als Agent, verleihe ich den Digimon Buffs wie kurzweilige Statuserhöhungen.
Besonders cool: Ich kann meine aktiven drei Digimon jederzeit im Kampf gegen drei aus meiner Reserve austauschen. Das fördert das Experimentieren und ich bin nicht aufgeschmissen, wenn ein neuer Gegner gegen meine aktiven Digimon Resistenzen aufweist.
Kämpfe gegen normale Gegner sind bewusst einfach gehalten, damit ich mich aufs Teambuilding konzentrieren kann. Mit bis zu fünffacher Geschwindigkeit und Autokampf gibt es zwei tolle Quality-of-Life-Features. Zudem erhalten nicht nur die aktiven Digimon Erfahrungspunkte, sondern alle in meiner Sammlung.
Die Bosskämpfe spielen in einer anderen Liga – nicht nur wegen ihrem Design. Für jeden brauche ich mindestens zwei Versuche: einen zum Analysieren, einen zum Gewinnen. Diese Kämpfe sind anspruchsvoll und testen Strategie, Party-Management und das Verständnis von Buffs und Debuffs. Die Cross Arts haben mir mehr als einmal aus der Patsche geholfen. Hier zahlt sich die Investition in mein Team aus.
Bei allem Lob habe ich auch Kritik. Die Grafik und allgemein die Präsentation gewinnt definitiv keine Preise. Vor allem die Menschenwelt sieht grau-in-grau aus und bietet wenig Abwechslung. Die Digimon-Welt ist zwar farbenfroher, aber die in sich abgeschlossenen Bereiche sind klein und viele Assets werden zu häufig eingesetzt, sodass die Welt irgendwie immer gleich aussieht. Der Vorteil davon: Das Spiel läuft auch auf meinem Steam Deck flüssig – und sieht allemal besser aus als jedes «Pokémon»-Spiel.
Die englische Sprachausgabe ist in Ordnung, aber es wirkt seltsam, dass nicht alles vertont ist – auch storyrelevante Passagen. Ich habe aber die meiste Zeit mit japanischer Sprachausgabe gezockt.
Das Sounddesign wiederum verdient Lob: Jede Aktion hat einen einzigartigen Soundeffekt, die jeweiligen Tracks pro Bereich sind einprägsam. Vor allem das «Central Town»-Theme zaubert mir jedes Mal ein Lächeln auf die Lippen und ich wippe unbewusst im Takt mit.
«Digimon Story Time Strange» ist seit dem 3. Oktober für Playstation 5, Xbox Series und PC erhältlich. Das Game wurde mir von Bandai Namco zu Testzwecken für den PC zur Verfügung gestellt.
«Digimon Story Time Stranger» hat mich mehr gepackt als ich es erwartet hätte. Als Einsteiger in die Serie finde ich schnell ins System hinein – auch wenn es komplex ist. Ich kann mir deshalb gut vorstellen, dass es auch für alte Hasen genug Neues bietet, um sie an den Controller zu fesseln.
Die Geschichte, wenn auch nichts Spezielles, hat mich vor allem wegen der vielschichtigen Digimon unterhalten. Besonders toll ist, wie alle Gameplaymechaniken ineinanderhineingreifen und so sogar die kleinste Interaktion das grosse Ganze beeinflusst. Das macht süchtig!
Kritikpunkte habe ich vor allem bei der Präsentation. Die Grafik ist Mittelmass und die Schlauchdungeons sind repetitiv.
Das sind aber Kleinigkeiten. Ich bin froh, nach Jahren des Zögerns endlich meinen perfekten Einstieg in die «Digimon»-Spiele-Welt gefunden zu haben. Ich bereue keine Sekunde davon und kann dir das Spiel wärmstens empfehlen.
Pro
Contra
Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.
Welche Filme, Serien, Bücher, Games oder Brettspiele taugen wirklich etwas? Empfehlungen aus persönlichen Erfahrungen.
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