Ratgeber

Bundesratsfotos 1993-2021: Warum Gruppenporträts schwierig sind

David Lee
4.1.2021
Mitarbeit: Thomas Kunz

Bundesratsfotos sind Mitarbeiterfotos. Solche Bilder zeigen nicht bloss Personen, sondern vermitteln ein bestimmtes Image. Die fast 30-jährige Tradition des Bundesratsfotos zeigt, dass man dabei eine Menge falsch machen kann.

Wie das Bundesratsfoto zustande kommt

Dass die Bundesratsfotos so unterschiedlich sind, hat damit zu tun, dass sie jedes Jahr von einem anderen Mitglied des Bundesrats in Auftrag gegeben werden. Nämlich vom Bundespräsidenten oder der Bundespräsidentin. Dieses Amt wechselt jedes Jahr.

Ein Profi ist gut – aber nicht das Wichtigste

Bei Gruppenporträts wird der Aufwand an Zeit und Geld oft unterschätzt oder gescheut. Das Geld dürfte beim Bundesrat weniger das Problem sein, aber die Aufnahmen geschehen unter extremem Zeitdruck. Gerade mal acht Minuten wurden dem Fotografenduo Dominic Büttner und Béatrice Devènes 2014 für die Aufnahmen des vielbeschäftigten Bundesrats gewährt. Daher wurde die Szenerie zuvor mit Statisten durchexerziert.

Allerdings sind Tom und ich beide der Meinung, dass sich das Ergebnis in diesem speziellen Fall sehen lassen kann. Es ist eindeutig eines der besseren Bundesratsfotos. Und ich glaube auch nicht, dass bei der Fotografenwahl Sparüberlegungen im Vordergrund standen. Vielmehr ist der Einbezug der Jugend Teil einer Gesamtidee.

Dass das Bild mit einer «richtigen» Kamera schärfer und rauschärmer geworden wäre, ist in dem Zusammenhang nebensächlich. Gutes Equipment und ein erfahrener Profi am Werk sind von Vorteil, aber nicht das Entscheidende. Das Entscheidende ist eine Idee, die vom Konzept her funktioniert und sich auch praktisch umsetzen lässt.

Steif, verkrampft oder natürlich?

Die ersten Bundesratsfotos aus den Neunzigerjahren wirken sehr steif. Zunächst werden die Regierungsmitglieder alle in einer Reihe aufgestellt, wodurch eine schon fast militärische Ordnung herrscht. Besonders beim ersten Foto, auf dem alle die Hände genau gleich halten.

1996 gibt es immerhin eine gewisse Variation an Handstellungen, das wirkt bereits etwas lockerer.

Überhaupt, die Hände. Das ist ein Dauerthema in der Porträtfotografie. Wohin damit? Werden Politiker im Gespräch fotografiert, ist das kein Problem. Sie benutzen ihre Hände ganz natürlich zur Unterstützung ihrer Rhetorik. Doch in den ersten Gruppenfotos stehen die Bundesräte da wie bestellt und nicht abgeholt.

In der Porträtfotografie gibt es zwei übliche Tricks für dieses Problem. Der erste Trick ist, jemandem einen Gegenstand in die Hand zu geben. Der zweite Trick besteht darin, dass die Person sich mit den Händen irgendwo abstützen kann. Dies wurde im Foto von 1995 teilweise umgesetzt. Die drei in der Mitte stehenden Personen können ihre Hände auf das Sofa legen. Das wirkt einigermassen natürlich. Ganz anders die sitzenden Herren: Ihre Hände wirken sehr verkrampft.

Zum Vergleich das Foto von 2020: Jede sitzende Person hat ihren eigenen Stuhl und genügend Platz um eine bequeme Haltung einzunehmen. Die Körperhaltungen sind dadurch einiges natürlicher. Auch hier fehlen aber die Lehnen.

Mustergültig gelöst ist das Händeproblem im Bundesratsfoto von 2015. Jeweils zwei Leute reden miteinander, in einer dafür geeigneten Umgebung. Die Hände nehmen dadurch von selbst eine lebendige ungezwungene Position ein.

Es ist das erste und bisher einzige Foto, das die Personen bei einer Beschäftigung zeigt. Daher blicken sie mit Ausnahme von Präsidentin Sommaruga und Vizepräsident Schneider-Amman auch nicht in die Kamera.

Der Symbolgehalt

Nicht hinten anlehnen, Hände frei und nicht in der Hosentasche: Diese eher steif wirkenden Haltungen wurden vermutlich bewusst eingenommen, um nicht bequem oder gar faul zu wirken. Exekutivpolitiker haben in der Regel ein gutes Bewusstsein für den Symbolgehalt ihrer Auftritte.

Darum geben die verschiedenen Bundespräsidenten sehr unterschiedliche Konzepte in Auftrag. Maurer macht das Smartphone zum Thema, weil er sich beim Thema Digitalisierung profilieren will, Schneider-Amman inszeniert sich als Förderer des Wirtschaftsstandorts und wählt einen Fabrikbetrieb als Location.

Sehr gegensätzlich scheinen mir die Fotos von 1998 und 2008. Beim älteren Foto sitzt die Exekutive auf dem Dach des Bundeshauses – scheinbar regiert sie die Untertanen von oben herab. 2008 dagegen begibt sich der Bundesrat in die Niederungen des gemeinen Volks und blickt ehrfürchtig zur Kamera hoch.

Vielleicht interpretiere ich beim Bild von 1998 etwas hinein, was nicht so gemeint war. Wahrscheinlich wollte Präsident Flavio Cotti eher so etwas wie Weitblick zum Ausdruck bringen. Symbolik ist heikel: Machst du sie zu eindeutig, wirkt sie plump, machst du sie weniger eindeutig, kann sie missverstanden werden.

Und dann gibt es noch Symbolik, bei der ich mich einfach nur am Kopf kratze. So wie beim Foto von 2010.

Es bleibt die Vermutung, dass der Bundesrat mit der Pixelgrafik irgendwie modern und digital wirken wollte. Damit hätte er aber wohl das Gegenteil bewirkt. Die Vorstellung «digital = verpixelt» war schon 2010 hoffnungslos veraltet.

Sieben Jahre später ist wieder Doris Leuthard Präsidentin. Auch dieses Mal zeigt sie sich experimentierfreudig. Hier glaube ich die Symbolik zu verstehen, finde sie jedoch nicht passend.

Statt eines Gruppenbilds sehen wir die einzelnen Köpfe. So gibt es keine Probleme mit Händen und verkrampften Körperhaltungen. Zudem wird eine Wand aus Anzügen vermieden. Auch die Personenanordnung, die sich nie ganz gerecht machen lässt, ist viel einfacher. Und falls ein Bundesrat zurücktritt, kann leicht ein neues Foto zusammengesetzt werden. tatsächlich trat Didier Burkhalter zurück und so gibt es eine zweite Version dieses Bildes mit Ignazio Cassis.

Trotz dieser Vorteile finde ich die Idee falsch. Zusätzlich zum Gruppenfoto werden immer auch Einzelporträts gemacht. Das Gruppenfoto muss ein echtes Gruppenfoto bleiben. Gegen aussen tritt der Bundesrat als einheitliches Team auf, mit nur einer Stimme, obwohl die Mitglieder aus unterschiedlichen politischen Lagern stammen. Wer dieses Kollegialitätsprinzip befürwortet, müsste dies auch mit einem entsprechenden Bild zum Ausdruck bringen.

Stil und Inhalt müssen übereinstimmen

Vom Stil her erinnert mich das Bundesratsfoto der Einzelköpfe an das Platten-Cover «Queen II». Ich weiss nicht, ob das beabsichtigt war. Der Bundesrat sollte jedenfalls nicht versuchen, sich als Rockband darzustellen, denn das wäre einfach nicht glaubwürdig. Eine nicht glaubwürdige Symbolik gleitet schnell ins Lächerliche ab.

Authentizität: Sich so darstellen, wie man ist

Störend sind solche Dinge freilich nur, wenn sie auffallen, und dafür braucht es ein geschultes Auge. Das Foto muss echt wirken, aber nicht unbedingt echt sein. Bloss: je mehr nachträglich daran herumgebastelt wird, desto grösser das Risiko, dass es auch nicht mehr echt wirkt.

Mir fällt auf, dass es mit schöner Regelmässigkeit schief geht, wenn der Bundesrat versucht, sich ein modernes, zukunftsgerichtetes Image zu verpassen. Das verpixelte Bundeshaus gab’s auch in einer 3D-Version, und das Foto von 2018 existiert leider auch als animiertes GIF.

Abgesehen davon, dass das Bild wackelt: Das wirkt unfreiwillig komisch. Es erinnert mich an die Kulisse eines Kindertheaters oder an das Intro von Monty Python’s Flying Circus – beides ist wohl eher nicht im Sinne des damaligen Bundespräsidenten Alain Berset.

Die Lehren aus den vielen Bundesratsfotos

Da der Bundesrat ein sehr repräsentatives Grüppchen ist, spielt der Symbolgehalt eine grosse Rolle. Jedes Detail kann auf eine bestimmte Art interpretiert werden. Bei Gruppenporträts im Unternehmen, von Vereinen oder Freunden ist das weniger ausgeprägt – aber auch dort empfiehlt es sich, genau zu überlegen, welche Botschaft mit dem Bild vermittelt wird.

Falls dem Team klar ist, welche Botschaft sie gerne vermitteln würde, muss es sich auch überlegen, ob sie diese Botschaft überhaupt glaubwürdig darstellen kann. Beispiel Bundesrat in der Menge: Die Botschaft ist gut, aber es ist sehr schwer, sie umzusetzen, ohne dass es gekünstelt wirkt.

Aus dem aktuellen Foto kann man meiner Meinung nach keine Lehren ziehen. Das ist bloss eine Notlösung in einer Notsituation. Hoffen wir, dass bald wieder normale Gruppenporträts möglich sind.

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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