Devolver Digital / Nomada Studio
Kritik

«Neva» ist von atemberaubender Schönheit

Kevin Hofer
14.10.2024

«Neva», das zweite Spiel der «Gris»-Schöpfer, ist ein Kunstwerk. Gameplaytechnisch macht es wenig neu, aber die Präsentation und Geschichte sind schlicht genial.

Im Intro von «Neva» wird eine Eltern-Kind-Beziehung ausgelöscht, eine neue entsteht.

Elternschaft ist das zentrale Thema von «Neva». Damit ist das Spiel deutlich weniger abstrakt als das Erstlingswerk von Nomada Studio «Gris». Die Handschrift der Entwickler ist aber deutlich erkennbar, nicht nur im Artstyle. Gameplaymässig gesellt sich zu den Plattformer-Elementen und Puzzles des Erstlings der Kampf hinzu. Der Fokus liegt aber nach wie vor auf der Erzählung. Entstanden ist ein Spiel, das mich ganz ohne Dialoge mehr als einmal zu Tränen rührt.

Sommer: Die junge Neva entdeckt die Welt

Nach dem Intro begeben sich Alba und Neva auf die Suche nach einem neuen Zuhause. Das Spiel ist in Kapitel mit Unterkapiteln aufgeteilt. Jedes Kapitel spielt in einer Jahreszeit. Im Verlauf wächst Neva von der Welpe zur rebellischen Jährling und schliesslich zur jungen Fähe heran. Wie bereits bei «Gris» spielen Farben eine Rolle – wenn auch ein untergeordnete.

Das Spiel beginnt im Sommer. Alles leuchtet, Grüntöne dominieren. Psychologisch verbinden wir mit dem Farbton Glück, Hoffnung, Leben, Natur, Zufriedenheit und Regeneration, aber auch Unreife. So ist Neva denn auch fröhlich und verspielt. Alba muss die Rüdin beschützen, ihr Dinge beibringen. Manchmal läuft sie davon und begibt sich in Gefahr. Sie braucht viel Nähe und Aufmerksamkeit. Und ja: Ich kann Neva streicheln!

In einem Unterkapitel werde ich etwa in die düstere Traumwelt von Alba gerissen. Hier werden ihre Ängste vor dem Verlust der Tochter verhandelt. Statt Rot dominiert zunächst Schwarz, was die Angst vor dem Verlust untermauert. Erst mit der Zeit wechselt die Farbpalette wieder auf Rot, was die Liebe zwischen den beiden widerspiegelt. Alba realisiert, dass sie Neva nicht verliert, sie aber lernen muss, loszulassen.

Durch das Reiten ergeben sich neue Plattformer-Elemente. Trotzdem ist «Neva» kein Spiel, das auf Erkundung setzt. Die Level sind linear. Nur selten kann ich den eigentlichen Weg verlassen. Etwa, um nach optionalen weissen Blumen zu suchen.

Neu hinzu kommen Spiegelwelten. So wird die Spielwelt in der Mitte horizontal oder vertikal gespiegelt. Die beiden Seiten unterscheiden sich aber. Die Gegner erscheinen etwa nur in der Spiegelwelt, können mich aber dennoch in der Diesseitigen angreifen. Ich muss dann in ersterer gegen sie kämpfen, wobei links und rechts vertauscht sind. Oder bei Plattformerpassagen sind gewisse Plattformen nur in der Spiegelwelt sichtbar, aber auch in der physischen vorhanden.

Auch die Gegner haben dazugelernt. Sie kämpfen nun auch mit Blöcken als Waffen. Wie bereits im Herbst, als sie von Tieren Besitz ergriffen, muss ich mich im Kampf umgewöhnen. Das hält das Kampfsystem frisch.

Frühling: ein Wiederanfang

Der Zyklus schliesst sich im Frühling. Alles blüht, das Leben kehrt zurück. So ist die Welt denn auch in alle erdenklichen Farbtöne gehüllt. Es ist ein Zurückkehren an den Anfang, auch für Neva und Alba.

Meine Reise mit den beiden Protagonistinnen kommt nach etwas mehr als fünf Stunden zu einem Ende. Ich konnte mich an den Landschaften nicht sattsehen und habe sie teilweise minutenlang angestarrt.

Genauso schön wie die Präsentation ist der Soundtrack. Für diesen zeichnet, sich wie schon beim Vorgänger «Gris», Berlinist verantwortlich. Er nimmt die Stimmungen der jeweiligen Gebiete perfekt auf. Vor allem der Soundtrack bei Bosskämpfen ist episch und ich habe jeweils voll aufgedreht.

Apropos Bosskämpfe: Wie auch die regulären Gegner sind sie keine grosse Herausforderung. Hast du ihr Moveset durchschaut, machst du sie ohne Probleme platt. Falls dir das Spiel doch zu schwierig sein sollte oder du einfach nur die Story geniessen willst, steht ein entsprechender Modus zur Verfügung. Dort kannst du nicht sterben und die Gegner sind leichter zu besiegen.

Neva erscheint am 15. Oktober 2024 auf Nintendo Switch, PlayStation 5, Microsoft Windows, Xbox Series und macOS. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Devolver Digital zur Verfügung gestellt.

Fazit

Ein spielbares Kunstwerk

«Neva» sieht und hört sich phänomenal an. Dazu gesellt sich eine emotionale Geschichte, die auch ganz ohne Dialoge auskommt. Das Gameplay ist nicht revolutionär, aber die Charaktere steuern sich einwandfrei.

Trotz begrenztem Moveset gelingt es dem Spiel, während der gesamten Dauer nicht repetitiv zu werden. Das erreichen die Entwickler von Nomada Studio durch geschickte Veränderungen der Spielwelt und zunehmend intelligenteren Gegnern. Dass das Spiel relativ kurz ist, hilft ebenfalls. Dabei hat es genau die richtige Länge.

Die Entwickler haben das bereits sensationelle Prinzip ihres Erstlings «Gris» an den entscheidenden Stellen verbessert und erweitert. Kurz: «Neva» ist ein Must-Play.

Pro

  • wunderschöner Artstyle
  • Hammer-Soundtrack
  • emotionale Geschichte
  • simple, aber ausgeklügelte Steuerung

Contra

  • wenig innovatives Gameplay
Titelbild: Devolver Digital / Nomada Studio

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