Kritik

«Octopath Traveler 0»: Ein Prequel mit Höhen und Tiefen

Kevin Hofer
3.12.2025
Bilder: Kevin Hofer

Das Prequel «Octopath Traveler 0» fesselt mit rundenbasierten Kämpfen und punktet mit dem bekannten HD-2D-Stil. Trotz starker Anfänge entpuppt sich das Spiel als langwierig und das Städtebau-System als nur bedingt überzeugend.

Magst du den HD-2D-Stil, führt kein Weg an den «Octopath Traveler»-Spielen vorbei. Sie haben die Mischung aus 2D-Pixel-Art und modernen 3D-Umgebungen mit stimmungsvoller Beleuchtung und Effekten populär gemacht. Nun erscheint mit «Octopath Traveler 0» das Prequel. Für Neulinge wie mich bietet es einen idealen Einstieg – auch wenn nicht alles glänzt, was HD-2D heisst.

Die Story startet stark, verliert aber an Zugkraft

«Octopath Traveler 0» erzählt die Vorgeschichte der ersten beiden Teile und basiert auf dem Mobile-Game «Octopath Traveler: Champions of the Continent». Es übernimmt Teile der Spielwelt und spinnt eine Geschichte um Rache und die göttlichen Ringe in der Welt von Orsterra.

Im Gegensatz zu den Vorgängern erlebe ich die Handlung aus der Perspektive eines einzigen Helden oder einer Heldin, die ich selbst erstelle. Ich wähle Geschlecht – ich entscheide mich für eine Heldin –, Aussehen und einen Job. Das variable Jobsystem erlaubt es, nach Freischalten bestimmter Fähigkeiten einen weiteren der acht Berufe zu erlernen. Das ist cool, da ich meinen Charakter individuell gestalten kann. Aber meine Heldin bleibt bis zum Schluss blass: Sie spricht kein Wort im ganzen Spiel. Die Handlung wird durch andere Figuren erzählt.

Meine Heldin erstelle ich am Anfang selbst.
Meine Heldin erstelle ich am Anfang selbst.

Die Geschichte selbst bietet wenig Neues. Wie so oft in JRPGs lebt meine Heldin als Teenager in einem kleinen Dorf, Wishvale, das von Angreifern zerstört wird. Ihre Eltern sterben, und sie schwört Rache – oder zumindest Gerechtigkeit, um weiteres Leid zu verhindern. Die Hauptstory entfaltet sich in Akten, die aus abgeschlossene Episoden besteht.

Zunächst muss ich die drei Besitzer der Ringe der Macht, des Wohlstands und der Berühmtheit besiegen. Diese Gegner sind abgründig und verstörend – keine Menschen, sondern Wesen, die jede Menschlichkeit vermissen lassen. Ihre Geschichten sind packend und hervorragend geschrieben. Etwa der Theaterregisseur Auguste, der die Mutter der Heldin umbringt, darin aber keine «Befriedigung» empfindet. Deshalb schmiedet er einen Plot, um meinen Charakter zu demütigen.

Auguste, der den Ring der Berühmtheit besitzt, ist der Inbegriff der Bezeichnung «Psycho».
Auguste, der den Ring der Berühmtheit besitzt, ist der Inbegriff der Bezeichnung «Psycho».

Doch nach dem Fall dieser Feinde, nach etwa 15 Stunden Spielzeit, hat die Hauptstory kaum ein Viertel erreicht. Alles, was danach kommt, verblasst im Vergleich. Ich werde nicht mehr überrascht. Die späteren Bösewichte, wie der wahnsinnige König, wirken uninspiriert. Der ist zwar auch ein Arschloch, wie er im Bilderbuche steht, aber die Handlung zieht sich und verliert durch die episodische Struktur an Spannung. Selbst wenn ich die Akte aneinanderreihe, bleibt die Erzählung brüchig. Dass die Hauptstory gut und gerne 80 Stunden dauert, hilft da nicht – im Gegenteil. Hinzu kommt, dass manche Gameplay-Mechaniken erst spät freigeschaltet werden, was den Spielfluss hemmt.

Der Städtebau bleibt oberflächlich

Ein zentrales Element ist das Städtebau-System: Neben der Hauptstory baue ich mit Überlebenden des Massakers mein Heimatdorf wieder auf. Ebenfalls wie die Hauptstory läuft das in mehreren Akten ab.

Zunächst errichte ich einfache Häuser, später Schenken, Felder und Läden. Ich kann mein Dorf auch mit Strassen, Bäumen oder Ähnlichem verzieren. Doch das System bleibt eingeschränkt. Gebäude lassen sich nur in einem begrenzten Bereich platzieren, und erst in der zweiten Spielhälfte, nach etwa 35 Stunden, öffnet sich das System etwas. Dann kann ich spezielle Einrichtungen wie eine Monsterarena oder ein Museum bauen. In ersterem trete ich gegen Monster an und kann mir so Gegenstände erkämpfen. In zweiterem kann ich mir Musikstücke, die ich in der Welt finde, anhören. Doch auch das bringt keine echte Tiefe.

Das Bausystem ist rudimentär und wird erst nach vielen Spielstunden interessanter.
Das Bausystem ist rudimentär und wird erst nach vielen Spielstunden interessanter.

Das Menü macht es nicht besser. Um mein Dorf zu bevölkern, suche ich in der Spielwelt nach neuen Bewohnern. Manche schliessen sich mir sofort an, andere stellen Bedingungen. Doch selbst nach erfüllten Quests muss ich sie manuell im Baumenü einem Gebäude zuweisen – ein unnötig umständlicher Prozess. Auch an anderer Stelle nervt die Menüführung, etwa wenn ich im Shop keine Übersicht über meine aktuelle Ausrüstung habe.

Neue Bewohner von Wishvale muss ich erst noch manuell in den Häusern platzieren.
Neue Bewohner von Wishvale muss ich erst noch manuell in den Häusern platzieren.

Die umständliche Menüführung zieht sich noch weiter. So kann ich neben dem normalen Sprechen mit gewissen NPCs zusätzlich ein Kontextmenü aufrufen. Hier kann ich mich näher zu ihrer Befindlichkeit erkundigen, sie zum Kampf auffordern, Gegenstände kaufen oder erbitten. Ebenso kann ich gewisse NPCs als Supportcharaktere im Kampf anheuern. Sie helfen mir dann mit ihren speziellen Fähigkeiten.

Das ist alles schön und gut, aber nicht in jedem Fall selbsterklärend. In einer Nebenquest sucht ein NPC nach einem gewissen Gegenstand. Es reicht nicht aus, dass ich diese Information habe und ihm im Dialog verspreche, ihn zu besagtem Gegenstand zu führen. Ich muss ihn erst noch anheuern, damit er mich begleitet und ich die Quest abschliessen kann. Das ist umständlich.

Die Kämpfe sind das Highlight

Im Gegensatz dazu glänzt «Octopath Traveler 0» mit seinem Kampfsystem. Die rundenbasierten Kämpfe sind dynamisch und setzen auf das bewährte Break-Boost-System: Gegner haben Schilde, die ich durch Angriffe auf ihre Schwachstellen breche. Ein gebrochener Feind ist für eine Runde handlungsunfähig und meine Angriffe werden stärker. Boost-Punkte erhöhen die Kraft von Fertigkeiten, die Anzahl der Angriffe oder die Dauer von Effekten.

Die Kämpfe machen richtig Laune.
Die Kämpfe machen richtig Laune.

Ich greife mit Waffen, Magie, Spezialangriffen oder Gegenständen an. Acht Standard-Jobs stehen zur Auswahl, die meine Heldin alle erlernen kann. Die Support-Charaktere haben hingegen feste Berufe. Ich stelle eine ausgewogene Party zusammen, die ich an die Schwächen der Gegner anpasse.

Neu ist, dass ich bis zu acht Charaktere gleichzeitig einsetze – vier in der vorderen und vier in der hinteren Reihe. Während des Kampfes kann ich sie austauschen, um andere Fertigkeiten einzusetzen oder Schwächen gezielt auszunutzen. Ist mein Gegner etwa gegen Fächerangriffe schwach und ich habe eine Tänzerin in der hinteren Reihe, kommt sie zum Zug. Oder ich lasse einen Charakter mit starker Spezialattacke bewusst in der hinteren Reihe, damit sich seine Boost-Punkte füllen und bringe ihn dann für einen vernichtenden Angriff nach vorne, wenn der Gegner gebrochen ist.

Wunderschöne Animationen bei desaströsen Angriffen gehören dazu.
Wunderschöne Animationen bei desaströsen Angriffen gehören dazu.

Das Highlight sind die Bosse. Die sind im Gegensatz zu meinen zusammengestauchten Charakteren meist riesig und sehen furchteinflössend aus. So ein Kampf kann sich gut und gerne zehn Minuten oder länger hinziehen. Und obwohl der empfohlene Level jeweils vor Antreten einer Mission angegeben ist, muss ich ab und zu grinden, damit ich siegreich aus den Begegnungen hervorgehe.

Die Bosse sind im Vergleich zu meinen Charakteren riesig.
Die Bosse sind im Vergleich zu meinen Charakteren riesig.

Das System lädt zum Experimentieren ein und bleibt auch nach vielen Stunden spannend. Einziger Wermutstropfen für langjährige Fans der Reihe: Es bietet kaum Innovation gegenüber den Vorgängern und es wirkt wie eine Erweiterung des Bekannten.

Präsentation: Stark, aber nicht makellos

Die Präsentation überzeugt, vor allem der Soundtrack. Die Musik passt perfekt zu den jeweiligen Schauplätzen. Besonders das Thema der Stadt Sunshade hat es mir angetan – ich kehre immer wieder dorthin zurück, nur um das Lied zu hören.

Auch die HD-2D-Optik beeindruckt mit abwechslungsreichen Szenerien: verschneite Bergdörfer, düstere Kanalisationen, lebendige Wüstenstädte. Doch nicht alles ist perfekt. Manche Umgebungstexturen wirken matschig und die Charakter-Sprites erreichen nicht das Niveau der Vorgänger oder der «Dragon Quest»-HD-2D-Remakes. Ob das an der Handyspiel-Vorlage liegt?

Grafisch überzeugt das Spiel nicht in allen Belangen.
Grafisch überzeugt das Spiel nicht in allen Belangen.

Nicht warm werde ich mit der englischen Sprachausgabe. Einige Charaktere, wie der Bösewicht Auguste oder der Freund der Heldin Phenn, klingen gut. Viele andere hingegen sprechen wie Roboter. Wiederum andere, wie etwa Prinzessin Elrica, gehen mir auf die Nerven. Das geht so weit, dass ich häufig weiterklicke, sobald ich die Sprechblase gelesen habe und die Synchronsprechenden nicht ausreden lasse.

«Octopath Traveler 0» erscheint am 4. Dezember 2025 für PS5, Switch 1/2, Xbox Series X/S und PC. Square Enix hat mir die PC-Version zu Testzwecken zur Verfügung gestellt.

Fazit

Ein solides JRPG für Fans

Magst du die «Octopath Traveler»-Reihe, wirst du auch «Octopath Traveler 0» geniessen. Es beleuchtet die Vorgeschichte der Welt von Orsterra und bietet ein gewohnt starkes Kampfsystem. Doch die Erzählung verliert nach einem starken Start an Spannung und das Städtebau-System schöpft sein Potenzial nicht aus.

Die Kämpfe bleiben das Highlight, unterstützt von einem grossartigen Soundtrack und einer stimmungsvollen Präsentation. Wenn du JRPGs und den HD-2D-Stil liebst, ist «Octopath Traveler 0» einen Blick wert – vorausgesetzt, du bringst genug Zeit mit. Ich empfehle das Spiel auch allen, die taktische Kämpfe mögen.

Pro

  • tolles Kampfsystem
  • coole Präsentation
  • ideal für Neulinge sowie Veteranen der Serie
  • Charakteranpassung und Jobsystem
  • gute Story zu Beginn mit spannenden Antagonisten

Contra

  • Story ist zu langfädig
  • Städtebau-System kommt nie richtig in Fahrt
  • umständliche Menüführung
  • gemischte Qualität bei der Sprachausgabe

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