
Kritik
Liefern oder sterben? «Deliver at All Costs» und der Wahnsinn auf Rädern
von Kim Muntinga

Der spirituelle «Burnout»-Nachfolger lässt mich meine eigene Open World mit Rampen und Hindernissen umgestalten – und verwandelt das Rennspiel in einen Baukasten für Chaos und Kreativität.
Ich stehe mit meinem roten Flitzer auf einer breiten Küstenstraße, irgendwo zwischen Stadt, Hügeln und völliger Freiheit. Der Asphalt glitzert im Sonnenlicht, die Luft flimmert vor Hitze und in der Ferne rauscht der Verkehr. Vor mir: eine frisch platzierte Rampe, die so gar nicht dorthin gehört. Ich schalte in den dritten Gang, drücke aufs Gas – und fliege.
Das Auto hebt ab, der Himmel kippt, die Straße wird zu einem grauen Streifen weit unter mir. Für einen kurzen Moment scheint die Welt stillzustehen. Dann: Aufprall, Explosion, Neustart. «Wreckreation» nennt das Spaß. Und ich? Ich nenne es eine Einladung, die Gesetze der Vernunft an der Garageneinfahrt abzugeben.
Dieses Spiel will nicht, dass ich mich an die Regeln halte. Es will, dass ich sie umbaue. Im wahrsten Sinne. Ich kann überall Rampen, Loopings oder Hindernisse platzieren: direkt in die bestehende Open World hinein. Keine Editor-Menüs, keine Ladezeiten. Ich halte kurz an, setze ein Objekt, und schon hat sich die Straße verändert. Es ist, als würde ich live in meiner eigenen Spielwiese herumwerkeln. Während ich Vollgas gebe.
«Wreckreation» stammt von Three Fields Entertainment, jenen Entwicklern, die früher «Burnout» gemacht haben. Und ich spüre diese Handschrift in jeder Kurve: hohe Geschwindigkeiten, heftige Crashes, wenig Realismus. Doch statt einfach an alte Zeiten anzuknüpfen, versucht das Team, das Prinzip weiterzudenken.
Der Kern ist schnell erklärt: Fahren und Gestalten gehen ineinander über. Ich fahre, baue, probiere, und manchmal scheitere ich grandios. Diese Freiheit ist reizvoll, kann aber auch ratlos machen. Denn «Wreckreation» gibt mir kaum Richtung vor: keine klassische Karriere, keine feste Reihenfolge von Rennen.
Stattdessen steige ich langsam im Level auf, indem ich Herausforderungen abschließe oder Bestzeiten knacke. Dabei schalte ich ab und zu neue Fahrzeuge frei, kann deren Lackierungen und Bauteile anpassen oder eigene Events erstellen – vom simplen Sprint bis zum verrückten Stunt-Parcours. Diese Aktivitäten tauchen überall in der Open World auf und fügen sich nahtlos ins freie Fahren ein. Es ist Struktur im Hintergrund, eher leise als fordernd.
Das funktioniert besser als es klingt. Nach kurzer Zeit begreife ich, dass die Welt weniger Kulisse als Bühne ist. Sie reagiert auf jeden Eingriff, jedes neue Objekt. Und weil das so unmittelbar passiert, entsteht ein seltsam meditativer Spielfluss: Fahren, anhalten, umbauen, weiterfahren.
Was mir gefällt: Trotz dieser Offenheit wirkt das Spiel nicht beliebig. Die Welt ist schlicht, aber klar aufgebaut. Groß genug für Experimente und leer genug, um eigene Ideen auszuprobieren.
Beim ersten Losfahren fällt mir auf, wie vertraut sich alles anfühlt – und doch anders. Die Steuerung ist direkt, fast altmodisch unkompliziert. Kein realistisches Gewicht, keine feine Physik, sondern ein Fahrgefühl, das nach Arcade schreit. Autos brechen leicht aus, Drifts sind mehr Show als Technik und jeder Crash wird zur kleinen Explosion aus Funken und Metall. Ich merke: Hier geht es um Rhythmus, nicht um Präzision.
Gleichzeitig gibt es Momente, in denen das Tempo fast zu hoch wirkt. Wenn ich bei 250 km/h über eine Hügelkuppe jage, fühlt sich das Auto mehr nach Flipperkugel als nach Fahrzeug an. Und doch hat das etwas Befreiendes: Ich muss mich nicht mit Traktionskontrolle oder Ideallinien beschäftigen. «Wreckreation» will, dass ich fahre, nicht dass ich fahre, wie es «richtig» ist.
Das Spiel verzichtet bewusst auf Assistenzsysteme oder Ideallinien. Ich kann Fehler machen, ich soll sogar. Jeder Crash ist spektakulär inszeniert, jedes Überschlagen ein kleines Feuerwerk. Das erinnert an «Burnout», aber ohne dessen aggressivem Wettkampfcharakter. Hier fühlt sich ein Unfall weniger nach Scheitern an, sondern eher nach: «Na gut, versuchen wir’s nochmal.»
Spannend wird es, wenn das Fahren und das Bauen ineinandergreifen. Ich platziere eine Rampe, fahre sie an, korrigiere ihren Winkel, probiere es erneut. Dieser ständige Wechsel hat etwas Befriedigendes – fast wie ein physikalisches Puzzlespiel. Man testet, scheitert, optimiert. Doch wer präzise Steuerung oder definierte Regeln erwartet, wird hier kaum glücklich. «Wreckreation» lebt vom Improvisieren, nicht vom Perfektionieren.
Manchmal gerät dieser Spielfluss ins Stocken. Die Kamera verliert bei großen Sprüngen gern den Überblick, die Physik entscheidet spontan, was «realistisch» ist, und das Landen fühlt sich mehr nach Glück als nach Timing an. Aber solange das Ergebnis spektakulär aussieht, verzeihe ich es. «Wreckreation» will kein sauberer Racer sein. Das Spiel will, dass ich mich dabei ertappe, wie ich lache, während das Auto brennt.
Optisch wirkt «Wreckreation» wie ein Spiel, das genau weiß, wo seine Prioritäten liegen – und Realismus steht nicht ganz oben. Die Welt ist groß, aber schlicht. Straßen ziehen sich durch grüne Hügel, vorbei an Industriegebieten, Stränden und Städten, ohne dass einer dieser Orte wirklich detailliert wäre. Es sieht gut genug aus, um glaubwürdig zu wirken, aber nie so, als wolle es beeindrucken.
Das hat einen Vorteil: Das Spiel läuft stabil, selbst bei hohem Tempo und wilden Explosionen. Egal, wie viele Objekte ich platziere, die Performance bleibt konstant. Das ist keine Selbstverständlichkeit für ein Spiel, das live Objekte in die Welt einfügt, während ich durch diese Welt rase. Nur die Ladezeiten zwischen den Spielabschnitten wirken etwas altbacken: Als würde das Spiel kurz Luft holen, bevor es mir wieder die volle Kontrolle gibt.
Das Spiel erlaubt es mir, Wetter und Tageszeit frei zu verändern. Ein Knopfdruck und aus strahlendem Sonnenschein wird ein regennasser Nachmittag. Das klingt banal, sorgt aber für Abwechslung: Die gleichen Strecken sehen plötzlich anders aus, die Stimmung kippt von entspannt zu bedrohlich. Es sind kleine visuelle Nuancen, die das Fahren lebendiger machen.
Auch die Benutzeroberfläche folgt diesem Prinzip: funktional, aber eigenwillig. Das kleine Auswahlfenster links wirkt zunächst ungewohnt, fast wie ein Relikt aus einer anderen Design-Ära, doch gerade das hat seinen Reiz. Ich kann während der Fahrt Radiosender wechseln, Events starten oder Einstellungen anpassen, ohne das Spiel zu unterbrechen – praktisch, wenn auch manchmal etwas fummelig.
Was «Wreckreation» gelingt, ist Atmosphäre durch Einfachheit. Es braucht keine Hochglanzgrafik oder orchestralen Soundtrack, um Wirkung zu erzielen. Wenn ich über nasse Straßen fahre, das Wasser hinter mir aufwirbelt und im Radio ein unaufdringlicher Gitarrenriff läuft, entsteht dieser kleine Moment von Flow: leise, unspektakulär, aber genau richtig.
«Wreckreation» wurde mir von THQ Nordic für den PC zur Verfügung gestellt. Das Spiel ist seit dem 28. Oktober für Playstation 5, Xbox Series X|S und PC verfügbar.
Am Ende bleibe ich mit einem Gefühl von Freiheit zurück. Und ein bisschen Leere. «Wreckreation» ist kein Spiel, das mich festhält. Es lässt mich los, in eine Welt aus Asphalt und Fantasie, und schaut dann einfach zu. Das ist erfrischend, manchmal auch ernüchternd.
Ich baue Rampen, jage über sie hinweg, fliege, stürze, lache. Und vielleicht ist genau das der Punkt: «Wreckreation» braucht keine großen Ziele, um Spaß zu machen. Es lebt von Momenten. Von der Sekunde, in der ich den perfekten Sprung lande oder grandios scheitere.
Ob das reicht, hängt vom eigenen Spieltrieb ab. Wer Struktur, Fortschritt oder Wettbewerb sucht, wird sich schnell fragen, was er hier eigentlich tut. Wer einfach nur fahren, bauen und ein bisschen Chaos anrichten will, findet hier einen der ehrlichsten Sandkästen, die das Rennspielgenre seit Langem gesehen hat.
Was ich bisher nicht ausprobieren konnte, ist der Multiplayer. Und genau dort dürfte «Wreckreation» sein volles Potenzial entfalten. Wenn mehrere Spieler gleichzeitig Rampen bauen, Strecken verändern oder sich gegenseitig in den Wahnsinn treiben, könnte aus der ruhigen Sandbox plötzlich eine kreative Party werden. Vielleicht ist das der Punkt, an dem das Spiel wirklich lebendig wird – wenn das Chaos geteilt wird.
Pro
Contra
Die Interessen sind vielfältig, gerne genieße ich einfach nur das Leben. Immer auf der Suche nach News aus den Bereichen Darts, Gaming, Filme und Serien.
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Akustisch liefert «Wreckreation» genau das, was ich erwarte: dröhnende Motoren, aufheulende Reifen, ein dumpfes Krachen bei jedem Einschlag. Die Radiosender decken unterschiedliche Genres ab, von Rock über Country bis Pop, wobei ich noch nicht jeden Sender genau angehört habe. Sie sorgen für eine angenehme Hintergrundbeschallung, bleiben selten im Ohr, aber sie stören auch nie. Insgesamt ergibt das eine Klangkulisse, die unaufgeregt, aber passend ist. So wie das Spiel selbst.



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