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Wie spielen Menschen mit Behinderungen?

Gamepad, Maus oder Tastatur sind grossartige Werkzeuge zum Zocken. Sie verlangen aber auch viel Geschick. Was ist, wenn man nur eine Hand gebrauchen kann oder nur die Füsse? Menschen mit Behinderungen sind auf Spezialcontroller und die richtige Software angewiesen. Lösungen der Game-Industrie sind vorhanden, meist sind Betroffene aber selbst gefordert.

Games bieten in der Regel Einstellungsmöglichkeiten für Farbenblinde oder Untertitel für Gehörlose. Damit ist längst nicht jedem gedient. Menschen mit Behinderungen haben komplexe Bedürfnisse – besonders an den Controller. Ein typisches Modell hat bis zu 17 Knöpfe. Das mag die grosse Masse an Spielern zufrieden stellen, aber wer beispielsweise nur eine Hand gebrauchen kann, dem sind vermutlich schon die Hälfte der Tasten zu viel.

Glücklicherweise gibt es zahlreiche Tüftler, die in die Bresche springen. Sie designen spezielle Game-Controller, um Spiele mehr Menschen zugänglich zu machen. Oft sind es Nonprofit-Organisationen, die hinter diesen Projekten stehen. Mit Microsoft hat sich im letzten Jahr auch ein grosser Hersteller dem Thema angenommen. Am verbreitetsten sind aber Softwarelösungen.

Software-Tricks

Optionen für Farbenblinde oder Gehörlose sind das eine. Solche Einstellungen sind fast zum Industriestandard geworden. Activision hat zwar kürzlich das Gegenteil behauptet, um zu rechtfertigen, warum sie es verpasst haben, die «Spyro»-Remakes zu Untertiteln. Aber das ist zum Glück die Ausnahme.

«Spiderman» hat zahlreiche Accessibility-Optionen.
«Spiderman» hat zahlreiche Accessibility-Optionen.

Es gibt aber noch deutlich mehr Stützen, die Game-Hersteller in ihre Produkte implementieren könnten. Eines der positivsten Beispiele aus jüngster Zeit ist «Marvel’s Spider-Man» für die PS4. Entwickler Insomniac liefert eine überraschend breite Palette an Optionen. So lassen sich beispielsweise Quick Time Events deaktivieren, was unter anderem Menschen, die unter Panikattacken leiden, zu schätzen wissen. Man kann auch das Antippen der Knöpfe durch Knopfhalten ersetzen, was wiederum beim Karpaltunnelsyndrom hilft.

Eine weitere wichtige Option, die für PC-Spieler selbstverständlich, bei Konsolen aber noch viel zu selten zu finden ist, sind individuelle Tastenbelegungen. Besonders, wenn man sein Setup auch noch speichern möchte und nicht bei jedem Neustart neu konfigurieren will. Wünschenswert wäre eine Norm, damit Spiele solche Optionen direkt anbieten. Immerhin scheint der Trend bei Blockbuster-Spielen in die richtige Richtung zu gehen.

Spezial-Controller

Der Adaptive Controller von Microsoft kann nach Belieben erweitert werden.
Der Adaptive Controller von Microsoft kann nach Belieben erweitert werden.

Mit dem Xbox Elite hat Microsoft 2015 einen Luxus-Controller vorgestellt. Was in erster Linie für Hardcore-Gamer gedacht war, fand bei Menschen mit eingeschränkter Mobilität grossen Anklang. Er besitzt Pedale auf der Rückseite, die sich austauschen lassen und jede Taste kann umprogrammiert und in verschiedenen Profilen gespeichert werden. Die unverhoffte Kundengruppe führte dazu, dass Microsoft seine Bemühungen in diesem Bereich verstärkte. Herausgekommen ist der Xbox Adaptive Controller. Er sieht aus wie ein DJ-Pult mit digitalen Plattenspielern. Und das ist gar nicht mal so weit daneben. Die Platten reagieren auf Berührung und können auch ohne Feinmotorik eines Daumens bedient werden. Auf der Rückseite befinden sich Anschlüsse für jede einzelne Taste des Xbox-Controllers. Daran lassen sich verschiedenste Geräte wie Druckschalter, Ruder oder Mundsteuerungen anschliessen. So lässt sich der Controller mit einer Hand und einem Fuss, oder einer Hand und der Schulter oder einem Fuss und dem Kinn steuern.

Microsofts Adaptive Controller bleibt eine Ausnahme. Normalerweise müssen sich Betroffene mit DIY-Lösungen zufrieden geben. Wie dieser einhändige Joycon-Adapter, der mit einem 3D-Drucker hergestellt wurde.

Der Quadstick wird mit dem Mund bedient.
Der Quadstick wird mit dem Mund bedient.

Wie effizient Spieler mit Spezialcontrollern sein können, beweist der «PUBG»-Streamer Rocky NoHands. Rocky Stoutenburgh ist vom Nacken abwärts gelähmt. Das hält ihn aber nicht vom Spielen ab. Mit dem Quadstick-Adapter steuert er den Online-Shooter mit dem Mund, indem er in die verschiedenen Öffnungen bläst. «PUBG war vermutlich eines der schwierigsten Games. Es hat mich etwa drei Tage gekostet, um ein Layout zu machen», sagte er gegenüber dem Game-Magazin PC Gamer. Kommandos wie den Platz im Fahrzeug zu wechseln, musste er weglassen, weil ihm die Optionen ausgingen. Für ihn wohl noch das kleinste Handicap.

Noch ein Nischendasein

Die Veteranen-Organisation Warfighter Engaged entwickelt eigene Controller-Lösungen.
Die Veteranen-Organisation Warfighter Engaged entwickelt eigene Controller-Lösungen.
Quelle: Warfighter Engaged

Da die Bedürfnisse sehr individuell sind, gibt es kaum Universal-Lösungen. Non-Profit-Organisationen wie Able Gamers oder Warfighter Engaged setzen sich dafür ein, dass auch Menschen mit Behinderungen spielen können. Einerseits in dem sie sich für bessere Unterstützung seitens der Hersteller einsetzen, ein soziales Netzwerk für Betroffene etablieren, aber auch, indem sie selber Eingabe-Lösungen entwickeln. Die Veteranen-Organisation Warfighter Engaged hat zahlreiche Projekte verwirklicht, die in enger Zusammenarbeit mit den Betroffenen entstanden sind. Sie sind auf spezifische Bedürfnisse zugeschnitten und sind darum meistens Unikate.

Game-Hersteller machen noch zu wenig

Wo kein Gewinn rausspringt, da wird auch nicht viel investiert. Gemäss diesem Motto sind die meisten Spieleentwickler eher sparsam, was die Implementierung von Spezial-Optionen anbelangt. Da es keine gesetzliche Verpflichtung gibt und Menschen mit Behinderungen nur einen Bruchteil der Käuferschaft ausmachen, rechnet sich der Aufwand nicht. Dass es dennoch immer wieder erwähnenswerte Ausnahmen wie «Spiderman» gibt, liegt nicht selten daran, dass Betroffene aus den eigenen Reihen ihr Bedürfnis äussern. Sonst ist man weiterhin auf den Goodwill der Spielehersteller angewiesen.

Microsofts Controller bildet die Ausnahme, was solche Projekte von grossen Spielfirmen anbelangt.
Microsofts Controller bildet die Ausnahme, was solche Projekte von grossen Spielfirmen anbelangt.

Das gleiche Problem besteht bei Controllern. Es macht finanziell für Hardware-Hersteller wohl wenig Sinn, solche Nischenprodukte zu produzieren. Darum darf man sich über Projekte wie den Adaptive Controller freuen, auch wenn es für Microsoft primär ein Publicity-Stunt gewesen sein dürfte. Damit und dank den Bemühungen zahlreicher Non-Profit-Organisationen können Menschen mit eingeschränkter Mobilität, Sehschwächen etc. weiterhin ihr digitales Hobby ausleben. Und dort gibt es schliesslich gar keine Grenzen.

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Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken. 


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