Hintergrund

Wann ist ein Foto echt?

Bis anhin hatte ich klare Erwartungen, was passiert, wenn ich auf den Auslöser einer Kamera drücke. Die Kontroverse um die Mondbilder des Samsung Galaxy S23 zeigt: Ich muss umdenken.

«Samsung beim Fälschen von Mondfotos erwischt», las ich kürzlich als Schlagzeile. Bei genauerer Betrachtung ist die Aussage weder richtig noch falsch. Vielmehr wirft sie die Frage auf: Wann ist ein Foto echt? Und ist das überhaupt wichtig?

Der zu scharfe Mond

Das Galaxy S23 Ultra tauscht Mondbilder nicht komplett aus, ergänzt aber Dinge, welche die Kamera nicht aufnehmen kann.

Eine arbiträre Grenze

Macht das Smartphone nun also ein Bild der Realität oder ist das Foto gefälscht? Die gleiche Frage stellt sich auch bei anderen Gelegenheiten: Was ist mit Soft-Skin-Modi von gewissen Handys? Oder mit TikTok, wo die KI neuerdings mein gesamtes Gesicht mit einer «schöneren» Version von mir selbst ersetzen kann, inklusive digitaler Kiefer-OP? Und ist das etwas anderes, als wenn ich in Photoshop einen Pickel retuschiere?

Dabei gibt es kein «richtig» oder «falsch». Drei Fragen stelle ich aber jedem Bild:

  1. Welchen Anspruch hat das Bild?
  2. Passt die Bildbearbeitung zum Anspruch?
  3. Ist das Bild ehrlich?

Der Anspruch: Dokumentation, Erinnerung oder Kunst?

Ein Foto kann verschiedene Ansprüche haben. Am einen Ende des Spektrums steht das dokumentarische Bild – zum Beispiel Reportage- oder Pressefotografie. Das Ziel: Ein Bild, auf das ich möglichst wenig Einfluss nehme und das der menschlichen Wahrnehmung möglichst nahe kommt. Am anderen Ende steht die Kunst, wo alles erlaubt ist. Hier muss ein Bild überhaupt nicht aussehen wie die reale Welt. Es ist nur der Ausdruck einer kreativen Vision.

Zwischen diesen beiden Extremen befindet sich der Rest: Erinnerungsfotos aus den Ferien, Portraits von Prominenten, Produktfotos einer Biermarke. Sie alle sind zwar in der Realität verankert, können aber mehr oder weniger stark davon abweichen. Mir doch egal, ob der Sonnenuntergang auf dem Handy genau so aussieht wie in echt. Hauptsache, das Bild weckt später Erinnerungen an den Aufnahmeort.

Die Bildbearbeitung: Optimierung vs. Manipulation

Ist der Anspruch geklärt, habe ich unterschiedliche Erwartungen daran, wie ein Bild aufbereitet oder verändert wird.

Die Ehrlichkeit: Weiss ich, was passiert ist?

Dieses Unwissen illustriert die tatsächliche Herausforderung in der heutigen Fotografie: die fehlende Transparenz. «Ist das Bild echt?», ist die falsche Frage. Die richtige lautet: Weiss ich, wie das Bild entstanden ist?

Ist meine dokumentarische Erwartung an Fotos in Dating-Apps naiv, oder liegt der Fehler beim Gegenüber mit geschönten Bildern?

Kontrollverlust

Die Geschichte der Fotografie war schon immer eine Geschichte voller Unklarheit, Täuschungen und Missverständnisse – zwischen Menschen. Und jetzt kommt Samsungs scharfer Mond. Er ändert nochmal alles.

Nicht nur als Betrachter weiss ich nicht, wie ein Bild entstanden ist, sondern neu auch als Fotograf.

Der scharfe Mond ist nur die Spitze des Eisbergs. Youtuber Marques Brownlee fasst verschiedene Beispiele von KI-Bildoptimierung im Video unten zusammen. Ein Handy von Xiaomi zeichnet etwa die Haut weich oder kann Lippen voller machen. Apples iPhone verändert noch keine Strukturen. Es hat aber längst entschieden, dass Schatten etwas Schlechtes sind und greift auf mehrere Belichtungen zurück, wenn der Kontrast zu gross wird. Wann es das tut, kann ich nicht steuern.

Ich denke um

Über diesen Kontrollverlust könnte ich mich aufregen. Doch damit würde ich mich lediglich an eine Ära klammern, die zu Ende geht. Stattdessen denke ich um: Bisher hatte ich eine bestimmte Erwartung, was eine Kamera macht, wenn ich den Auslöser drücke. Das ändert sich gerade. Je besser die Algorithmen von automatischen Bildverarbeitungen werden, desto stärker greifen sie selbstständig ein.

In Zukunft mache ich kein Foto mehr – ich frage mein Gerät nach seinem Interpretationsvorschlag der Szene.

In Zukunft mache ich kein Foto mehr – ich frage mein Gerät nach seinem Interpretationsvorschlag der Szene. Je nach Modell fällt dieser Vorschlag anders aus. Wie viel KI-Eingriffe ich dabei gut finde, ist reine Geschmacksache. Das muss nicht zwingend schlecht sein, sondern bietet auch neue Möglichkeiten. Und was wir als gesellschaftliches Kollektiv im Durchschnitt bevorzugen, wird die neue Norm.

Sind das dann echte Fotos oder nicht? Das ist mir egal. Mein einziger Wunsch wäre Transparenz – von Fotografinnen und Smartphone-Herstellern gleichermassen.

Titelbild: Fabio Antenore

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Mein Fingerabdruck verändert sich regelmässig so stark, dass mein MacBook ihn nicht mehr erkennt. Der Grund: Wenn ich nicht gerade vor einem Bildschirm oder hinter einer Kamera hänge, dann an meinen Fingerspitzen in einer Felswand.


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