Unsere neuen Päckli-Formate sind eine Döner-Idee
Hinter den Kulissen

Unsere neuen Päckli-Formate sind eine Döner-Idee

Norina Brun
12.12.2022

Seit November gibt es bei Digitec Galaxus neue Kartongrössen. Tönt simpel, die Entwicklung war aber eine mathematische Höchstleistung. Supply Chain Process Engineer Aurel Gautschi hat den Prozess geleitet und gibt Einblick in seine Arbeit.

Im November 2022 kam es in den Schweizer Lagerhallen von Digitec Galaxus zu einer grossen Umstellung: Über Nacht führten wir neun neue Kartongrössen ein. Die neuen Grössen sind aufs Schweizer Sortiment optimiert und sollen dafür sorgen, dass die Päckli mit weniger Luftschlangen auskommen. Die Entwicklung der neuen Päckligrössen hingegen war nicht über Nacht erledigt: Unser Päckli-Chef Aurel Gautschi hatte drei Lösungen für die Optimierung auf dem Tisch – zwei interne Vorschläge und eine externe Idee. Für welchen Ansatz er sich entschieden hat und was ein türkischer Imbiss damit zu tun hat, erzählt Aurel im Interview.

Wir haben nach optimalen Paketgrössen für zigtausend Produkte gesucht. Wenn ich das höre, denke ich an eine Textaufgabe aus dem Matheunterricht. Einfach viel komplizierter. Passt dieser Vergleich?
Aurel: Bei mir war es weniger der Mathematikunterricht. Mich hat die Aufgabenstellung an die Vorlesung ‹Datenstrukturen und Algorithmen› aus meinem Studium erinnert. Die Inhalte an der Universität jedoch sind easy im Vergleich zur Komplexität bei den Kartongrössen.

Was war an der Aufgabe so komplex?
Die riesige Menge an Daten: Wir haben von einem Lösungsraum von rund 250'000 Kartongrössen ein Set von 7 bis 9 Kartons ausgewählt, die unser Sortiment ideal verpacken. Das lässt eine 21-stellige Anzahl möglicher Kombinationen zu. Wobei wir hier zur Vereinfachung die schier unendlichen Positionierungs-Optionen der Höhenrillen ignorieren. Im Endeffekt ging es darum, durch Annahmen und ‹divide and conquer› das grosse Problem in kleinere Sub-Probleme aufzuteilen, die wir dann lösen.

Du steckst noch mitten im Bachelorstudium. Wie bist du mit der Verantwortung umgegangen? Hattest du nie Muffensausen?
Mein Wissen hat gereicht, um die Anforderungen an die Lösung zu formulieren und die Teams von der Seite der Business-Anforderungen zu betreuen. Die finale Lösung hätte ich aber nicht allein umsetzen können. Dafür habe ich mir Profis ins Boot geholt. Diese Leute verstehen von ihrem Fachbereich mehr als ich. Bei mir sind alle Fäden zusammengekommen.

Und wie bist du da vorgegangen?
Bei einem so komplexen Projekt war mir wichtig, dass wir mehrere Lösungsvorschläge haben. Ich wollte verhindern, dass wir in eine Richtung laufen und wichtige Aspekte ausser Acht lassen. Ins Rennen gingen drei Ansätze. Hakim von unserem internen Business Intelligence Team ‹Cyclops› reichte eine Lösung ein. Eine weitere Lösung kam von Raphael Renaud, unserem Head of Engineering, und den dritten Vorschlag gab die externe Softwarebude Ergon ein. Damit sich die drei Gruppen nicht gegenseitig beeinflussen konnten, habe ich sie konsequent voneinander getrennt betreut.

Wie kam es dazu, dass Raphael als Einzelperson eine Lösung entwickelt hat?
Das war eine Döner-Idee. Über den Mittag holte ich mir einen Döner und traf in der Imbissbude zufällig auf Raphael. Aus dem anfänglichen Smalltalk über aktuelle Projekte wurde schnell ein intensives Gespräch. Zwischen Cocktail-Sauce, Taschenbrot und Zwiebeln erzählte ich ihm von den Paketgrössen. Raphael fand das Projekt so interessant, dass wir bereits im Restaurant erste Lösungen diskutierten. Zurück im Homeoffice setzten wir das Gespräch in einem virtuellen Meeting fort. Während ich Raphael die Anforderungen aus dem operativen Geschäft durchgab, schrieb er die ersten Zeilen Code. Anschliessend liess er alles auf dem Rechner laufen und 42 Stunden später waren die ersten Resultate da.

Da musst du aber einiges vom Programmieren verstehen, um bei diesem Tempo mitzukommen.
Vor meinem aktuellen Studium habe ich zwei Jahre Rechnergestützte Wissenschaften an der ETH Zürich studiert. Das Wissen von damals hilft mir heute sehr, zumal ich als Process Engineer schon ein gewisses Verständnis haben muss.

Dann hat dich der Code doch eingeholt.
Ganz vom Code komme ich wahrscheinlich nicht mehr los und das will ich auch nicht. Als Process Engineers stehen wir zwischen der Softwareentwicklung und dem Tagesgeschäft in der Logistik. In dieser Rolle haben wir die Möglichkeit, Business-Probleme wie das der Paketgrössen mit smarter Software zu lösen. Das reizt mich mehr als die rein technische Umsetzung.

Päckli-Chef Aurel in seinem Reich
Päckli-Chef Aurel in seinem Reich

Wieso wolltest du drei Lösungen auf dem Tisch haben?
Am Anfang wussten wir ungefähr, in welche Richtung die Lösung gehen könnte. Es wäre aber fatal gewesen, wenn wir basierend auf einem falschen Algorithmus eine Lösung getroffen hätten. Deshalb haben wir die drei Lösungen in verschiedenen Situationen auf Herz und Nieren getestet. Nur wenn alle Vorschläge in dieselbe Richtung gehen, wissen wir, dass wir richtig sind. Bei unseren drei Ansätzen war dies tatsächlich der Fall. Alle drei lagen sehr nahe beieinander.

Und warum haben wir zusätzlich eine externe Lösung geprüft? Wir entwickeln unsere Software doch in der Regel selbst.
Ergon hat bereits viele Erfahrungen im Bereich der Optimierungen sammeln können. Zum Beispiel haben sie für einen Kunden die Lagerbestände mithilfe von Machine Learning optimiert. Das kam dem Team sicherlich zugute. Alain und Willi, die bei Ergon für uns zuständig waren, sind absolute Profis in ihrem Bereich. Beide haben an der ETH in Informatik doktoriert und uns die komplexeste Lösung präsentiert. In der Tat: Normalerweise setzen wir auf interne Lösungen. Es war aber auch sehr bereichernd, mal mit einem externen Software-Provider zusammenzuarbeiten.

Am Schluss habt ihr euch für die Lösung von Ergon entschieden. Was war besser an dieser Lösung?
Die drei Lösungen haben in den Kategorien Luftgehalt, Ergonomie und Rohstoffverbrauch sehr vergleichbare Ergebnisse geliefert. Alle drei Teams haben super Arbeit geleistet. Ich habe die einzelnen Lösungen mit einem kleinen Python-Skript nach verschiedenen weiteren Kriterien beurteilt. Zum Beispiel habe ich errechnet, mit welchen Kartongrössen unsere Mitarbeitenden schneller verpacken können. Da haben sich kleinere Unterschiede bemerkbar gemacht. Anhand dieser Kriterien hat der Algorithmus von Ergon bessere Lösungen geliefert und dies war entscheidend.

Was sprach für die neun unterschiedlichen Lösungen?
Von allen Teams habe ich drei Lösungen erhalten; jeweils mit sieben, acht oder neun unterschiedliche Paketgrössen. Ich habe alle involvierten Teams zusammengetrommelt und wir haben uns auf neun Grössen geeinigt. Ursprünglich wollte die Logistikcrew möglichst wenig verschiedene Kartongrössen. Der Gewinn durch den Optimierungsschritt zwischen acht und neun Grössen war aber grösser als der zusätzliche logistische Aufwand.

Wie ging es dann weiter?
Wir mussten Gas geben, schliesslich sollten die neuen Paketgrössen im Weihnachtsgeschäft zum Einsatz kommen. Unser Kartonlieferant musste die neuen Grössen rechtzeitig und in ausreichender Stückzahl produzieren. Unsere Grafikabteilung musste zudem unter Hochdruck die neuen Designs liefern. Mitte Oktober war es dann so weit: Die ersten Kartongrössen kamen bei uns an. Gleichzeitig mussten wir den Vorrat an alten Kartons abbauen. Der 9. November 2022 war nämlich der Stichtag: Ab diesem Zeitpunkt wollten wir die Bestellungen nur noch mit den neuen Grössen verpacken. Deshalb haben wir am Abend vorher überall den alten Karton entfernt und die Arbeitsplätze mit den neuen Formaten ausgerüstet.

Aurel und Geri verteilen die neuen Kartongrössen in der Logistik.
Aurel und Geri verteilen die neuen Kartongrössen in der Logistik.

Was passierte mit dem alten Karton?
Die Restposten nutzen wir noch für unsere grossen Pakete. Da stellen wir erst später auf die neuen Grössen um.

Wie funktionierte die Umstellung?
Ohne grössere Zwischenfälle. Die Mitarbeitenden waren ebenfalls sehr erfreut, weil wir ihren Bedürfnissen Rechnung getragen haben. Dank den neuen Kartongrössen können sie ergonomischer arbeiten: Sie müssen sich nicht mehr so viel bücken und können die Kartons viel praktischer auf dem Arbeitstisch aufbauen.

Ist das Projekt «Kartongrössen» damit abgeschlossen?
Nein, mit den neun Grössen ist es nicht getan. Wir werden regelmässig überprüfen, ob die Kartongrössen immer noch zu unserem Sortiment passen. Und für die Algorithmen selbst haben wir schon Ideen, wie wir sie weiter verbessern können.

Was packst du als nächstes an?
Zuerst will ich meine Semesterprüfungen hinter mich bringen. Danach kümmere ich mich um ein Projekt, das sowohl die Ergonomie am Arbeitsplatz als auch die Prozessgeschwindigkeit verbessern soll. Mehr kann ich noch nicht verraten.

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Norina Brun
Senior Communications Manager
norina.brun@digitecgalaxus.ch

Mit Nachrichten finde ich mich nicht ab – mich interessieren die Geschichten dahinter. Die Neugierde ist meine ständige Wegbegleiterin: Dank ihr verbringe ich den Samstagnachmittag in meinem Lieblingskafi, lausche Stadtgeschichten, plane gleichzeitig meine Reiseabenteuer und kreiere neue Eventideen. Die Zen-Meditation muss warten. 


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