David Lee
Hintergrund

Tech-Rückblick: Wie mein Alltag vor 25 Jahren aussah

David Lee
26.12.2025

Vor 25 Jahren besass ich als erwachsener Mensch weder ein Handy noch ein Notebook. Anhand der Erinnerungen an das Jahr 2000 merke ich, wie sehr die technische Entwicklung mein Leben verändert hat.

Das 21. Jahrhundert ist bereits zu einem Viertel vorbei. Es gab einige Momente, in denen mir der technische Fortschritt schlagartig klar wurde – etwa bei meiner ersten SSD. Unglaublich, wie schnell der Computer plötzlich aufstartete! Oder als ich das erste Mal Fussball in HD-Qualität sah: Wow, da erkennt man ja die einzelnen Spieler, auch wenn sie nicht Carlos Valderrama heissen! Die meisten Veränderungen geschahen aber in kleinen Schritten, so dass ich sie kaum wahrnahm. Erst im Rückblick wird deutlich, wie anders damals alles war.

Computerverweigerer am Arbeitsplatz

Zu Beginn dieses Jahrhunderts arbeitete ich als Student zwei Tage die Woche bei einer Bank. Meine Aufgabe bestand darin, Papier-Rechnungen im SAP-System zu erfassen. Oder einfacher ausgedrückt: Zahlen abzutippen. PCs waren natürlich auf Banken längst etabliert. Doch eine ältere Mitarbeiterin, die kurz vor der Pensionierung stand, hatte sich ihr ganzes Berufsleben lang erfolgreich geweigert, Arbeiten am Computer zu machen. Für sie gab es nichts mehr zu tun, ausser die Papierrechnungen zu kontrollieren und abzustempeln. Wenn sie das Telefon abnahm, sprach sie ihren eigenen Namen falsch aus. Nicht, weil sie es nicht besser wusste, sondern weil sie am Telefon in eine andere Rolle schlüpfte, ähnlich wie sich viele Menschen heute auf Social Media komplett anders verhalten als «in echt». Die Computer waren untereinander vernetzt, Web und E-Mail gab es aber nicht. Auch unter den jüngeren Leuten hatten viele noch keine E-Mail-Adresse.

Ein Büro der Swissair, 1999. So ähnlich sah das auch bei uns auf der Bank aus. Ausser, dass bei uns niemand vor einem schwarzen Bildschirm tippte und so tat, als würde er arbeiten.
Ein Büro der Swissair, 1999. So ähnlich sah das auch bei uns auf der Bank aus. Ausser, dass bei uns niemand vor einem schwarzen Bildschirm tippte und so tat, als würde er arbeiten.
Quelle: Michael Sieber/ETH Bibliothek

Mein Einstieg ins Handy-Zeitalter

Bei meinem Versuch, einen interessanteren Job zu finden, stiess ich auf eine Anzeige. Im Jahr 2000 bedeutete das: Ich riss eine Telefonnummer von einem Zettel an einer Pinnwand der Uni ab und rief an. Von einem öffentlichen Telefon aus, das aber nicht in einer Kabine stand, sondern im Gang vor der Uni-Kantine. Der Lärm hallte im Gang und ich verstand kaum, was mein zukünftiger Chef am anderen Ende der Leitung sagte. Nachdem ich unzählige Male nachfragen musste, wurde es mir langsam peinlich und ich tat einfach, als hätte ich alles verstanden.

Irgendwie schaffte ich es trotz der Kommunikationspanne ans Vorstellungsgespräch und konnte wenig später mit kleinen Aufträgen unter Anleitung in den Tech-Journalismus einsteigen. Erstaunlich, was man mich dort alles machen liess: Zum Beispiel rezensierte ich Fachbücher, von deren Materie ich wenig Ahnung hatte. Die dafür nötige Arroganz eignete ich mir innert kürzester Zeit an und brauchte danach viele Jahre, um sie wieder abzulegen.

Meine Ahnungslosigkeit hinderte mich keineswegs daran, Fachbücher zu rezensieren.
Meine Ahnungslosigkeit hinderte mich keineswegs daran, Fachbücher zu rezensieren.
Quelle: David Lee

Ein Mobiltelefon hatte ich damals noch nicht. Das änderte sich wenig später, nachdem ich drei Stunden am Bahnhof auf jemanden gewartet hatte. Dieser Jemand erklärte mir später, er hätte alles versucht, mich zu erreichen, aber leider sei es unmöglich, Personen über die Bahnhofslautsprecher ausrufen zu lassen. Da dachte ich: Hm, ein Handy ist vielleicht doch nicht nur etwas für Börsenmakler und Wichtigtuer.

Als Student brauchte ich nicht lange zu überlegen, welches Handy ich kaufe: Ich ging in den nächsten Melectronics-Laden (R.I.P.) und nahm das billigste. Der Motorola-Knochen konnte nicht mehr als 10 SMS speichern. Um neue Nachrichten überhaupt empfangen zu können, musste ich laufend die alten löschen. Aber hey: Ich war jetzt erreichbar! Manchmal jedenfalls. Oft liess ich das Mobiltelefon auch zu Hause oder vergass zwei Tage lang, drauf zu schauen.

Der Computer war das neue Telefon

Das mit der Erreichbarkeit war auch zu Hause so eine Sache. Entweder Internet oder Telefon, beides gleichzeitig ging nicht. Da ich gerne stundenlang chattete, war meine Leitung oft besetzt. Mein Telefon hatte übrigens eine Wählscheibe, was aber schon für die damalige Zeit «Retro» war.

Die Computer waren aus heutiger Sicht weder leise noch sparsam. Trotzdem war es – zumindest in meinem Umfeld – völlig normal, sie nie herunterzufahren. Einfach weil sie lange benötigten, um aufzustarten. Auf Röhrenbildschirmen lief nach kurzer Zeit immer ein Bildschirmschoner, damit sich das Bild nicht einbrannte.

Meine Kiste war ein Macintosh im Tower-Gehäuse. Er hatte ein Iomega-ZIP-Laufwerk, das ich vermeintlich haben musste, dann aber nicht brauchte. Wahrscheinlich handelte es sich um den Power Macintosh 6500 – jedenfalls war es ein uninspiriertes Teil aus der uninspirierten Apple-Zeit während der Abwesenheit von Steve Jobs. Gut erinnere ich mich noch an ICQ. Das gab es auch für den Mac, es lief dort aber eher schlecht als recht. Die IP-Nummer war standardmässig sichtbar. Es gab Leute, die es lustig fanden, meinen Computer damit zum Absturz zu bringen. Mir war das ziemlich egal, Abstürze gehörten sowieso zum Computer-Alltag.

Der Power Macintosh 6500. Nichts, was einem gross in Erinnerung bleibt.
Der Power Macintosh 6500. Nichts, was einem gross in Erinnerung bleibt.
Quelle: Public Domain

Das Internet war mit der Hoffnung verbunden, Menschen näher zusammenzubringen. Dieser Wunsch schien sich anfänglich zu erfüllen. Der deutlichste Ausdruck davon war Chatten mit anschliessendem Blind Date. Bei mir lief das so: In einem Textchat mit einer völlig unbekannten Person ein Gespräch beginnen. Die ganze Nacht durchchatten und irgendwann überrascht feststellen, dass es schon 6 Uhr ist und es draussen langsam hell wird. Sich klar machen, dass das Quatsch ist und man bei einem physischen Treffen nur enttäuscht sein würde. Sich aber auch klar machen, dass man nichts zu verlieren hat und sich dann trotzdem treffen. Enttäuscht sein. Aus Enttäuschung wieder mit einer unbekannten Person bis morgens um 6 Uhr chatten. Und so weiter.

Kaum jemand hatte auf dem eigenen Computer Fotos. Und wenn doch, dann gab es diese Fotos physisch in besserer Qualität. Auch bei Dokumenten war das wichtige Zeug auf Papier vorhanden. Es hätte mir überhaupt nichts ausgemacht, wenn mein Computer gehackt und meine Daten gestohlen worden wären. Ich habe heute kein einziges Dokument mehr aus dem Jahr 2000, denn im folgenden Jahr kaufte ich mir ein Notebook und fing dort bei Null an. Es gab nichts, was es wert gewesen wäre, auf die neue Maschine zu übertragen.

Was erstaunlicherweise bis heute überlebt hat, ist das Browser-Game mit George W. Bush im freien Fall.

Die langfristige Essenz des Internets: Bush fällt vom Himmel und schlägt sich an Kugeln den Kopf an.
Die langfristige Essenz des Internets: Bush fällt vom Himmel und schlägt sich an Kugeln den Kopf an.
Quelle: David Lee

Mein erster Fernseher

Um vollends zu verblöden über den Stand der Verblödung auf dem Laufenden zu sein, kaufte ich mir einen Fernseher. Auch da schnappte ich mir einfach das Billigste aus Melectronics – der United-TV kostete 199 Franken minus 10 Prozent Rabatt, weil es das Ausstellungsmodell war. Sein Bildschirm war kaum grösser als der eines heutigen Tablets, aber mit wesentlich weniger Auflösung. Selbstverständlich war er auch schon «curved», bloss auf die umgekehrte Seite. Ich war zufrieden.

Weil er so schön ist, zeige ich ihn gern noch einmal: Meinen Curved-Fernseher.
Weil er so schön ist, zeige ich ihn gern noch einmal: Meinen Curved-Fernseher.
Quelle: David Lee

Dazu lieh ich mir den alten VHS-Rekorder meiner Eltern aus und schaute an einem Nachmittag drei Mal hintereinander «The Big Lebowski». Eigentlich benötigte ich den Videorekorder aber, weil ich fürs Studium die Sprache der News-Sendungen privater und öffentlich-rechtlicher Stationen verglich. Weil es auch um den Zusammenhang zum Bild ging, fotografierte ich mit meiner Analogkamera flimmernde und wackelnde Standbilder auf dem TV ab und erstellte von diesen Abzügen Fotokopien für die Seminararbeit. Darauf erkannte man praktisch nichts, es sah aus wie hingeschissen. Aber der Professor nahm mir das nicht übel – es ging halt nicht besser. Auch dass die untersuchte Sendung bei der Abgabe meiner Arbeit bereits wieder aus dem Programm geflogen war, trug er mit Fassung. Im Jahr darauf verschwand der Sender (TV3) komplett von der Bildfläche.

Am Vorabend der Musik-Revolution

Musik nahm ich zu der Zeit immer noch auf Kassette auf. Zusätzlich kaufte ich mir einen tragbaren MiniDisc-Rekorder. Der Computer war für Musik noch nicht zu gebrauchen. Er konnte CDs abspielen, aber nicht brennen. MP3s erstellen wäre sicher auch möglich gewesen – aber wozu? Ich konnte sie nirgendwo sonst abspielen. Darum war Musik herunterladen auch keine sinnvolle Option – ausserdem konnte ich bei der langsamen und teuren Internetverbindung gerade so gut eine CD kaufen. Bereits zwei oder drei Jahre später sah das komplett anders aus – ich befand mich im Jahr 2000 am Vorabend einer technischen Revolution. Durch CD-Brenner, Tauschbörsen, MP3-Player und digitale Aufnahmestudios wurde für mich der MiniDisc-Rekorder überflüssig.

Der CD-Player schluckte fünf CDs gleichzeitig. Eat this.
Der CD-Player schluckte fünf CDs gleichzeitig. Eat this.
Quelle: David Lee

Messe-Schaumschlägerei

Im Jahr 2000 gab es weder Youtube noch Social Media, das Internet war weit davon entfernt, persönlichen Kontakt zu ersetzen. Messen und Ausstellungen waren eine grosse und wichtige Sache. Gerade auch im Tech-Bereich.

Die Orbit war die grösste Computermesse der Schweiz. 2000 war sie sowohl für Geschäftsleute als auch für Consumer gedacht. Die Dotcom-Blase war auf dem Höhepunkt, aber noch nicht geplatzt. Obwohl ich später an der wesentlich grösseren IFA und an der absurd grossen CES war, empfand ich die Orbit 2000 als die verrückteste Tech-Messe, die ich je besuchte. Ich konnte an keinem Stand vorbeigehen, ohne angequatscht und in ein Business-Beratungsgespräch verwickelt zu werden. Und das, obwohl ich nicht aussah wie jemand, mit dem man Business-Gespräche führen sollte. Ein Stand umfasste eine komplette Geisterbahn, an deren Ende mir ein frisch gepresster Frucht-Cocktail überreicht wurde. Warum? Keine Ahnung. Mein einziger Job an der Messe bestand darin, beim Leeren des Bierfasses zu helfen, das mein Chef am Adobe-Stand angezapft hatte. Es kam allerdings nur Schaum heraus. Ein passendes Bild für die damalige Messe.

Titelbild: David Lee

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Durch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere. 


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