Luca Fontana
Hintergrund

«Streaming ist wie ein zweiter Job» – Sky-Schweiz-Chef über Serienfrust, Algorithmen und die neue Ordnung

Luca Fontana
30.5.2025

Sky-Chef Eric Grignon erklärt, warum Streaming heute eher überfordert als begeistert – und was sich ändern muss. Ein Gespräch über Serienabbrüche, Algorithmen und die Frage, wie Sky bald mehr als nur Fernsehen bieten will.

Zu viele Apps, zu viele Serien, zu wenig Übersicht: Streaming fühlt sich heute oft an wie ein zweiter Job. Eric Grignon kennt dieses Gefühl. Der CEO von Sky Switzerland beobachtet den Markt seit Jahren – und sieht Parallelen zur TV-Revolution der 1980er-Jahre. Damals verloren sich Zuschauerinnen und Zuschauer in einer Flut neuer Sender. Heute sind es Plattformen.

Grignons Antwort? Aggregation statt Isolation.

Mit Sky will er nicht nur Sportfans eine zentrale Anlaufstelle bieten, sondern auch Serienjunkies. Im Interview spricht der CEO offen über Sky Originals, HBO-Inhalte, die Herausforderung der Personalisierung – und warum die Absetzung beliebter Serien manchmal trotzdem Sinn ergibt. Am Ende verrät er sogar: Sky will in der Schweiz nicht nur Inhalte liefern, sondern bald auch Internet.

Und heute ist Streaming quasi das neue Satellitenfernsehen?
Genau. Wir sind also wieder am Anfang eines Zyklus. Erst kamen die Pioniere wie Netflix, dann sprangen alle auf den Streaming-Zug auf. Jetzt haben wir das Chaos. Die logische nächste Phase ist: Aggregation. Also Inhalte bündeln und Orientierung schaffen.

«Ich glaube fest, dass die Zukunft den Aggregatoren gehört.»

Gilt das auch für Serien und Filme?
Noch nicht. Aber wir arbeiten daran. Ich bin überzeugt: Auch hier wird es irgendwann Plattformen geben, die Inhalte verschiedener Anbieter bündeln – kuratiert, thematisch sortiert und idealerweise personalisiert. Was ich meine ist: Wenn jemand Krimiserien liebt, soll er alle Krimiserien an einem Ort finden, auch wenn sie eigentlich auf mehrere Dienste verteilt sind.

«Ich kann einen etwaigen Launch von HBO Max in der Schweiz nicht kommentieren. Wir führen allerdings Gespräche mit Warner Bros. Wir hoffen sehr, die Partnerschaft fortzusetzen.»

Ohne HBO wäre Sky Show also nicht das, was es heute ist?
Nicht ganz. Wir haben viele andere exklusive Produktionen von unserem Partner NBC Universal wie auch unsere eigenen Sky Produktionen. Aber HBO-Inhalte sind definitiv ein wichtiger Teil unseres Angebots. «The Last of Us», «Succession», «House of the Dragon», «The White Lotus» – das sind alles Serien, die unsere Markenidentität ebenfalls mitprägen.

«Falls HBO eines Tages abspringt, müssen wir uns anpassen.»

Und wenn HBO irgendwann doch abspringt?
Dann müssen wir uns anpassen. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir gemeinsam eine Lösung finden. Der Markt in der Schweiz ist zu klein für zehn Einzel-Apps. Kooperationen lohnen sich für beide Seiten.

Das heisst: Dank HBO, eurem Mutterkonzern NBC Universal und euren Co-Produktionen seid ihr rein vom Datenvolumen her stärker als Disney+?
Es scheint so. Und das liegt nicht nur an den grossen Serien, sondern auch daran, dass wir die Inhalte lokal gut positionieren. Wenn du kürzlich in Zürich warst: Überall war «The Last of Us» plakatiert. Wir zeigen nicht einfach nur Inhalte. Wir bauen eine Marke auf.

Also ist Engagement wichtiger als Reichweite.
Gleich wichtig, würde ich sagen. Eine Serie kann super gestartet sein, aber wenn die Leute abspringen, bevor sie durch sind, ist das ein schlechtes Zeichen. Dann war vielleicht das Marketing stark, aber der Inhalt hat nicht getragen. Wir analysieren das sehr genau – bis hin zur Frage, ob jemand die letzte Minute der letzten Folge gesehen hat. Das sind Daten, die es vor zehn Jahren so gar nicht gab.

«Früher mussten wir raten, welche Serien funktionieren könnten. Heute können wir es ziemlich genau vorhersagen.»

Das klingt brutal.
Ist es auch. Und manchmal kommt noch mehr dazu: Streiks, Schauspielende, die nicht mehr weitermachen wollen, Terminprobleme, politische Rahmenbedingungen. All das kann dazu führen, dass eine Serie trotz Erfolg nicht weitergeht.

Also keine reine Algorithmus-Entscheidung?
Nicht nur. Aber klar: Die Algorithmen geben uns Tools, die früher reine Bauchentscheide waren. Ob man das als Segen oder Fluch sieht, ist Ansichtssache. Früher mussten wir erraten, was den Leuten gefallen könnte. Heute haben wir eine Datenanalyse, die uns das ziemlich genau sagen kann. Ich würde sogar behaupten, dass es heute mehr hervorragende Serien pro Jahr gibt als je zuvor. Das ist kein Zufall.

«Letztlich sind wir immer noch Geschichtenerzähler. Kreativität bleibt zentral. Ich sehe Daten als Werkzeug, die uns helfen, zu verstehen, was funktioniert und was nicht.»

Aber ersetzt das nicht irgendwann die künstlerische Intuition? Die «happy little accidents», wenn zufällig etwas total Einzigartiges und Geniales entsteht?
Ich hoffe nicht. Denn letztlich sind wir immer noch Geschichtenerzähler. Kreativität bleibt zentral. Ich sehe Daten als Werkzeug, die uns helfen, zu verstehen, was funktioniert, warum etwas funktioniert und für wen. Aber entscheiden müssen am Ende immer noch Menschen.

«Sky wird in der Schweiz künftig nicht nur Inhalte liefern, sondern auch Internet und Mobile.»

Eric, zum Abschluss hast du mir noch etwas angedeutet, das über Streaming weit hinausgeht. Ein kleiner Spoiler fürs Jahr 2025?
(lacht) Ja, ganz am Ende noch eine kleine Premiere: Sky wird in der Schweiz künftig nicht mehr nur Inhalte liefern, sondern auch Internet und Mobile. So wie wir das bereits in Ländern wie Grossbritannien, Irland oder Italien machen.

Also: Sky als Telekom-Anbieter, nicht nur als Streaming-Plattform?
Genau. Das heisst konkret: Internetzugang, mobile Angebote, vielleicht sogar Bundles mit Streamingdiensten. Mehr kann ich heute noch nicht sagen – es ist noch zu früh. Aber ja: Sky wird 2025 in der Schweiz mehr sein als nur Sky Show und Sky Sport.

Und ich war der Erste, der das erfahren durfte?
(lacht) Offiziell ist noch nichts angekündigt – aber du hast’s gehört. Lass uns einfach sagen: Stay tuned.

Perfekt, das war’s! Vielen Dank für das Gespräch.


Eric Grignon ist seit 2017 CEO von Sky Switzerland. Der gebürtige Franzose hat den Streamingmarkt hierzulande von Anfang an mitgeprägt – erst als Chef von Homedia, wo er den DVD-Versanddienst Hollystar zur grössten unabhängigen Streamingplattform der Schweiz umbaute. Davor war er unter anderem bei Orange und Nokia tätig. Heute steht Grignon an der Spitze von Sky Schweiz.

Titelbild: Luca Fontana

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Ich schreibe über Technik, als wäre sie Kino, und über Filme, als wären sie Realität. Zwischen Bits und Blockbustern suche ich die Geschichten, die Emotionen wecken, nicht nur Klicks. Und ja – manchmal höre ich Filmmusik lauter, als mir guttut.


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