
Kritik
«Two Point Museum» zelebriert die kreative Monotonie
von Debora Pape
«Rise of Industry 2» ist ein Wirtschafts-Tycoon-Spiel. Neben dem Aufbau von effizienten Produktionsketten soll ich auch Geschäftsbeziehungen pflegen. Leider patzt das Spiel bei der Bedienung.
Meine elendigen Fabriken brauchen Unmengen an Wasser. Theoretisch könnte ich meine eigenen Wasserquellen nutzen, um ihren Durst zu stillen. Aber ich finde einfach nicht heraus, was ich tun muss, um das Wasser zu fördern. Laut Handbuch erfordert das keine spezielle Forschung. Aber im Baumenü finde ich nichts. Was fehlt also? Ich google, ich schaue Videos, ich starte ein freies Spiel. Nichts hilft.
Dabei ist «Rise of Industry 2» auf den ersten Blick nicht sonderlich kompliziert. Ich baue Produktionsketten auf, verkaufe eine Vielzahl an Erzeugnissen und schicke meine Führungskräfte auf Missionen zur Verbesserung der Geschäftsbeziehungen oder zum Auftreiben lukrativer Grundstücksoptionen.
Trotzdem war ich kurz davor, den Test abzubrechen. Denn nach dem Absolvieren des kurzen Tutorials stehe ich in der Kampagne vor der Aufgabe, mir das Spiel per Learning-by-Doing selbst beizubringen. Zu versteckt sind wichtige Informationen, zu viel Mikromanagement erfordert meine Aufmerksamkeit, zu viele Funktionen erschließen sich mir einfach nicht. Das Wasserproblem hat mich fast in den Wahnsinn getrieben.
Doch das Durchbeißen hat sich gelohnt. Nachdem ich mit dem Spiel etwas wärmer geworden bin, merke ich, wie viele Möglichkeiten sich mir bieten. Ich würde das Game wegen der wichtigen Rolle meiner Führungsriege als das «Crusader Kings» der Wirtschaftssimulationen bezeichnen. Neben der steilen Lernkurve bleiben aber viele Quality-of-Life-Probleme. Den ersten Teil habe ich übrigens nie gespielt, ich bin also neu in diesem Industrie-Business.
«Rise of Industry 2» spielt in den USA der 1980er Jahre. Das merke ich nicht nur am poppigen Soundtrack und dem Intro im VHS-Stil, sondern auch an den Produkten. Gleich im Tutorial lässt mich mein Berater Frank Wilson Kassetten herstellen. Dazu benötige ich Kunststoff und Papier. Kunststoff stelle ich aus Öl her, für Papier benötige ich Zellstoff und Farbstoff. Zellstoff gewinne ich wiederum aus Rundholz und Chemikalien.
Zum Glück lehrt mich Mr. Wilson, dass ich nicht alles selbst herstellen muss, sondern fertiges Papier bei anderen Unternehmen einkaufen kann. Die richtigen Business-Kontakte dafür habe ich schon. Also muss ich nur für die Ölproduktion sorgen, eine Medienproduktionsanlage mit Kassettenbandfabrik bauen, Laderampen, Lager, Straßenzugänge sowie Strom- und Wasserversorgung bereitstellen und einen Vertrag über die Papierlieferung abschließen. Easy, oder? Tatsächlich habe ich den Prozess schnell verinnerlicht.
Danach ist das Tutorial auch schon beendet. Wie ich mit Fabrikbränden und streikenden Arbeitern umgehe oder Investoren finde, sowie geschäftliche Kontakte nutze – damit lässt Wilson mich allein.
Gerade das Networken ist ein wichtiger Teil des Games. Ganz blicke ich noch nicht durch. Ich kann meine Führungskräfte dafür auf Messen und Golfplätze schicken oder meine Kontakte fragen, ob sie mich ihren Kontakten vorstellen können. Auf diese Weise kann ich offenbar auch freie Stellen in meiner Führungsetage besetzen – aber wie, das erschließt sich mir bisher nicht.
Zurück zu den Achtzigern. Bei manchen Soundeffekten, etwa beim Öffnen und Schließen von Fenstern oder beim Abreißen von Gebäuden haben die Sounddesigner das Retro-Feeling deutlich übertrieben: Sie erinnern mich an Mainboard-Speaker-Sounds aus halb vergessenen Gaming-Zeiten, als Computer noch keine Soundkarten hatten – und klingen unnötig grausam.
Die Grafik ist einfach, für mich aber ausreichend. Es gibt zudem Tag- und Nacht- sowie Jahreszeitenwechsel. Das sorgt für Abwechslung.
Im Gegensatz zu anderen Wirtschafts-Tycoon-Games pflanze ich nicht einfach eine fertige Fabrik in die Landschaft. Ich stückle mir die Fabrik selbst zusammen. Dazu lege ich einen großen, quadratischen Bereich auf der Karte fest, in dem die neue Fabrikanlage entstehen soll. Darin positioniere ich das Verwaltungsgebäude, die Fabrikhallen und alles andere, was zum Betrieb der Fabrik gehört.
Zu Beginn erschien mir der Anlagenbereich deutlich zu groß. Doch nach und nach merke ich, dass der Platz bei wachsendem Produktionsbedarf tatsächlich notwendig ist und ich die Zufahrten für LKW gut planen muss, um Platz zu sparen. Die Idee gefällt mir – allerdings gibt es nicht viel Abwechslung. Jede Anlage, die ich baue, erfordert im Grunde die gleichen Einzelteile – auch wenn Fabrik-, Lager- und Verwaltungsgebäude sich optisch unterscheiden.
Ungewöhnlich finde ich auch, dass der festgelegte Anlagenbereich nicht für andere Bauten gesperrt ist. Ich kann problemlos eine öffentliche Straße hindurchbauen. Zwei Anlagenbereiche können sich sogar überlappen – dadurch verringert sich aber der verfügbare Platz und Gebäude im überlappenden Bereich arbeiten nur für eine der beiden Anlagen.
Dieses Anlagensystem bietet interessante Möglichkeiten zur Gestaltung meiner Industriegebiete. Mit Dekoelementen kann ich sie weiter verfeinern. Leider stehen meine Industrien ganz für sich allein auf der grünen Wiese. Sie sind nicht an eine Stadt angeschlossen. Zwar gibt es Städte auf den Karten, aber die dienen einzig und allein als Unterkunft für meine Belegschaften – und ich muss auch noch für den Häuserbau in der Stadt bezahlen!
Mit jeder neuen Industrieanlage kommt neues Leben auf meine Karte. LKW fahren über die Straßen und in den Anlagen selbst sind Menschen und Maschinen unterwegs.
In der Kampagne ist vorgegeben, was ich herstelle. Der Sandbox-Modus ist freier, meine Branche wird aber trotzdem von der ausgewählten Karte vorherbestimmt. Aktuell stehen 15 Regionen in den USA zur Auswahl. In texanischen Gebieten kann ich eher mit Ölvorkommen rechnen als in Kalifornien, wo stattdessen gute Böden für die Obst- und Alkoholproduktion vorherrschen.
Ob ich in einer Texas-Karte auch Wein herstellen könnte, habe ich bisher nicht herausgefunden: Falls ich die notwendigen Ressourcen nicht selbst fördern oder herstellen kann, hängt das davon ab, ob ich entsprechende Geschäftskontakte auftreiben kann. Ich weiß nicht, ob die pro Region fest vorgegeben sind oder ob ich zufällig jemanden kennenlernen könnte, der mir Flaschen verkauft.
Hilfreich ist auch, dass es für viele Produkte mehrere Herstellungsverfahren gibt. Bietet meine Karte kein Rohöl, stelle ich Kunststoff eben aus Pflanzenöl, Erdgas oder Fasern her. Zusätzlich zu der großen Menge an Endprodukten bietet «Rise of Industry 2» auch eine riesige Fülle an Zwischenprodukten – und alle kann ich verkaufen, wenn sich ein Käufer dafür auftreiben lässt. Ich muss also nicht die gesamte Produktionskette bis hin zu Möbeln oder Schallplatten durchexerzieren, sondern kann auch mit Zwischenerzeugnissen Geld verdienen.
Zusammen mit der Möglichkeit, fehlende Materialien einzukaufen, bieten sich mir viele Wege, um meine Ziele zu erreichen. Das gefällt mir gut.
Für den Kauf und Verkauf von Erzeugnissen sowie den Transport zwischen meinen Fabrikanlagen benötige ich in den beteiligten Anlagen passende Laderampen und jeweils zugehörige Lagertypen. Und das kann aufwändig werden.
Je nach Produkt sind unterschiedliche Rampen und Lager notwendig. Für die Weinproduktion benötige ich Weintrauben, die als Agrarprodukte in einem Silo gelagert werden. Flaschen gelten als Industrieprodukte und erfordern entsprechende Rampen und Lager. Das Endprodukt Wein ist ein Lebensmittel. Um ihn zu lagern und zu verkaufen, benötige ich eine Lebensmittel-Rampe und ein passendes Lager.
Und weil all das noch nicht genug ist, entstehen bei der Herstellung – je nach Produkt – feste, flüssige oder landwirtschaftliche Nebenerzeugnisse, die als Abfall abtransportiert werden müssen. Damit erfordert eine einzige Anlage vier verschiedene Lager, Zufahrten und Laderampen sowie Transportlinien. Wenn ich meine Produktion steigere, reicht eine einzige Rampe nicht aus, um alle zugehörigen Erzeugnisse anzuliefern oder abzuholen. Bedeutet: Ich brauche weitere Rampen.
Zu viel Realismus gibt es auch bei Verträgen für An- und Verkäufe. Meine Fabriken zeigen mir ihren täglichen Materialbedarf und ihren täglichen Output an. Wäre doch toll, wenn ich diese Zahl beim Abschließen von Verträgen nutzen könnte. Ist aber nicht so. Stattdessen muss ich eine Abnahme von zum Beispiel 36 Kisten alle neun Tage vereinbaren.
Das macht den Vergleich mehrerer Verträge und Konditionen schwierig, weil ich immer erst umrechnen muss. Per Klick auf ein Angebot erfahre ich zwar auch den Tageswert, aber diese relevante Zahl wird leider zu versteckt angezeigt. Und wie gehe ich damit um, wenn jeden Tag eine halbe Kiste im Lager stehen bleibt? Irgendwann summiert sich das. Für solche Fälle kann ich einen zusätzlichen Vertrag mit kleinerem Volumen abschließen. Aber du siehst: Das ist eine nervige Rechnerei.
Erschwerend kommt hinzu, dass meine Lieferanten und Kunden mit Vertragsstrafen drohen, wenn eine Lieferung nicht zustande kommt. Egal, ob ich zu wenig Produkte zum vereinbarten Termin auf Lager habe oder mein Konto nicht genügend Deckung für die Bezahlung von bestellten Waren hat: Ich muss mit einer bösen Mitteilung rechnen. Zunächst kann ich Rufpunkte einsetzen, um meine Geschäftspartnerin zu besänftigen, aber irgendwann kostet mich das Geld.
Dass Produktionen wegen Nachschubschwierigkeiten, Protesten oder einfach zufälligen Ereignissen hin und wieder ausfallen, versteht sich von selbst. Und schwupps, kann ich meinen Vertrag nicht erfüllen. Eine zusätzliche Schwierigkeit, die aber sicher gewollt ist, ist die saisonale Produktion. Weintrauben ernte ich nicht ganzjährig. Trotzdem muss ich meinen Wein-Vertrag jederzeit erfüllen. Ich muss also ausrechnen, wie viele Kisten Wein ich über das ganze Jahr herstelle und die Abnahmen entsprechend planen.
Grundsätzlich mag ich hohen Realismus – aber alles in allem müssen Spiele auch Spaß machen. «Rise of Industry 2» könnte gern mehr hilfreiche Anzeigen bieten, damit ich genauer planen kann, ohne immer den Rechenschieber auszupacken. Auch die verschiedenen Lager und Laderampen sind etwas übertrieben. Ich sehe nicht, warum ich für Paletten mit Flaschen eine andere Laderampe benötige als für Paletten mit Schallplatten.
Leider hilft mir auch das Interface nicht viel weiter. Es gibt kein Overlay, das mir auf einen Blick die In- und Outputs sowie Lagerbestände in den Fabriken anzeigt. Diese Infos muss ich mir mühsam per Klick auf die einzelnen Anlagen zusammensuchen. Auch eine Anzeige der angelegten Transportlinien direkt auf der Karte wäre hilfreich. Am besten mit einer Info, wie viel wovon wohin geliefert wird. Das fände ich hilfreicher als eine reine Auflistung von Linien im Übersichtsfenster.
Nach einiger Zeit und mehreren Recherche-Anläufen fand ich vor meinen Noob-Augen verborgen auch die Forschung zur eingangs beschriebenen Wasserförderung. Laut Gebäudebeschreibung hätte ein «kleiner Wasserbrunnen» zum Einstieg ausgereicht. Doch das Ding war im Baumenü nicht auffindbar. Nach viel Herumsuchen finde ich heraus, dass ich einen «großen Wasserbrunnen» benötige. Das Handbuch ist hier widersprüchlich.
Und die Forschung zur Wasserförderung versteckt sich im Bereich «großer Wasserbrunnen» unter «Abwasserbehandlung». Damit kann ich dann eine Wasserversorgungsanlage mit einem großen Brunnen zur Wasserförderung bauen. Wie soll man als neue Spielerin darauf kommen?
Möglicherweise liegen hier auch Übersetzungsfehler vor. Bei anderen Forschungen und Anlagen ist das Handbuch informativ und hilfreich.
Doch auch beim Laden eines Savegames bauen sich Aggressionen in mir auf. Ich muss dazu erst die Karte auswählen, auf der ich spiele und mich dabei durch mehrere Fenster klicken. Das könnte deutlich einfacher sein. Einfach mal bei quasi allen anderen Spielen nachschauen, liebes Entwicklungsteam!
«Rise of Industry 2» ist seit dem 3. Juni erhältlich für den PC. Das Spiel wurde mir zu Testzwecken von Kasedo Games zur Verfügung gestellt.
Der Mensch gewöhnt sich an alles, heißt es. Auch an komplizierte Gameplay-Mechaniken. Diese Einstiegsprobleme sollen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass «Rise of Industry 2» eine solide Spielerfahrung bietet. Nach der Eingewöhnung kann ich mich auf das Wesentliche konzentrieren: den Aufbau meines eigenen Industrieimperiums. Da gehören Vertragsstrafen, ungerade Handelsvolumina und Lieferkettenschwierigkeiten einfach dazu.
Mir gefallen die «offenen» Anlagenbereiche und deren individueller Aufbau genauso gut wie die Möglichkeit, mal eben fehlende Zwischenerzeugnisse einzukaufen. Das Ausmachen und die Pflege neuer Geschäftsbeziehungen ist daher ein wichtiger Bestandteil des Spiels, den ich mir allerdings größtenteils selbst beibringen muss.
Ich mag höhere Schwierigkeitsgrade, die mich zum Schwitzen bringen. Daher finde ich das Thema Vertragsstrafen auch okay. Das spornt mich an, meine Produktionen im Blick zu behalten. Ich muss auch gut mit meinem Geld haushalten, um ein Polster für anfallende Strafen anzulegen. Trotzdem ist die Vorplanung in diesem Spiel nicht einfach.
Schade finde ich, dass ich kaum mit den Städten meiner Region interagieren kann. Das war in «Rise of Industry 1» noch anders. Ich baue meine Fabriken rein für den Export an andere Unternehmen auf, die nicht auf meiner Karte angesiedelt sind.
Pro
Contra
Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.