
Hintergrund
Der Rotzbengel unter den Kinofilmen wird 50
von David Lee
Meine Erwartungen an das fast 20 Jahre alte «Max Payne» waren damals riesig. Das Spiel hatte sie alle übertroffen – und nicht nur wegen der Bullet Time.
«They were are all dead. The final gunshot was an exclamation mark for everything, that had lead to this point. I released my finger from the trigger and then it was over.»
Max Payne, Witwer und trauernder Vater, ist kein eindimensionaler Actionheld. Max Payne ist ein Poet. Mit seinen blumigen inneren Monologen hat der toughe Cop dafür gesorgt, dass «Max Payne» für immer eines meiner absoluten Lieblingsspiele sein wird. Zusammen mit dem Film-Noir-Setting im verschneiten New York und den ungewöhnlichen Zwischensequenzen in Comic-Form.
2001, das gleiche Jahr, in dem das Spiel veröffentlicht wurde, sah ich den ersten Trailer. Zwei Minuten und 40 Sekunden für die Ewigkeit. Die Zeitlupen-Action, die «Matrix» populär gemacht hat, haute mich und meine Freunde vom Hocker. Es gab sogar eine Bulletcam – eine Kamera, die der Patrone folgte. Wie krass ist das denn?
Der Hype für das Spiel ist so gross gewesen, dass es eigentlich nur eine Enttäuschung werden konnte. Aber «Max Payne» lieferte. Mehr sogar als ich mir je erträumt hätte. Das Spiel beginnt unheilvoll mit dem Mord an Max’ Frau und seiner Tochter durch Junkies, die unter Einfluss der Droge Valkyr standen. Als Polizist verbringt Max die nächsten Jahre mit Undercover-Ermittlungen über die geheimnisvolle Droge. Dabei gerät sein Partner ins Kreuzfeuer und Max landet selbst auf der Fahndungsliste. Davon lässt sich Max nicht aufhalten. Im Alleingang taucht er immer tiefer in den Verbrechersumpf aus Gewalt und Drogen ab.
Unzählige Schergen stellen sich ihm in den Weg. Ein Fehler. Dank Bullet Time kann Max in Zeitlupe aus der Schusslinie hechten und gezielt Kopfschüsse verteilen. Mit dem Scharfschützengewehr folgt die Kamera automatisch der Kugel auf ihrem Todesflug. Das war unglaublich abgefahren und wurde nie langweilig. Wird Max doch mal angeschossen, haut er sich ein Döschen Painkiller rein. Das lindert den Max Payne.
Eine weitere Besonderheit sind die TV-Shows. Im Spiel tauchen regelmässig eingeschaltete Fernseher auf. Wenn sich die wilden Feuergefechte gelegt haben, sind sie das Einzige, das die Ruhe nach dem Sturm durchdringt. Die Geräusche stammen von den eigens für das Spiel produzierten Miniserien. Es gibt vier Stück: Address Unknown, das ein bisschen an «Twilight Zone» erinnert. Lords and Ladies ist ein Art «Pride and Prejudice»-Verschnitt. The Adventures of Captain BaseBallBat-Boy ist ein Trickfilm über einen Baseballschläger schwingenden Jungen. Dick Justice schliesslich wiederspiegelt Max Paynes’ eigene Leiden. Es waren wie kleine Easter Eggs, auf die ich mich immer gefreut habe.
«Max Payne» lässt sich in etwa sechs Stunden durchspielen. Dank der verhältnismässig kurzen Spielzeit verliert die Geschichte nie an Tempo oder wird repetitiv. Es fühlt sich an wie ein epischer Actionstreifen mit viel Tiefgang. Dafür sorgen auch ikonische Charaktere wie der Waffendealer Vladimir Lem, mit dem sich Max kurzzeitig zusammenschliesst, oder der vorlaute Mafioso Vincent Gognitti. Allen voran steht aber Mona Sax. Eine Auftragsmörderin, die Max den Kopf verdreht und ebenfalls eine poetische Ader besitzt.
Der Zuckerguss, der diesen fulminanten Actionkuchen umhüllt, sind Max’ zynische Monologe. Egal ob während des Spiels oder in den comicartigen Zwischensequenzen. Max kommentiert das Geschehen mit poetischen Metaphern und Wortspielen wie «He was trying to buy more sand for his hourglass. I wasn’t selling any» oder «I might have laughed, if I had remembered how». Das sorgt zusammen mit dem Film-Noir-Setting und dem stimmigen Soundtrack für eine einzigartige Atmosphäre.
Max Payne ist keine seelenlose Killermachine. Unter seinem Ledermantel pocht eine poetische Seele, die auch mit tonnenweise Painkiller nicht unterdrückt werden kann.
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.