Hintergrund

Kennst du noch? Das schönste PS1-Spiel «Vagrant Story»

Kevin Hofer
18.5.2025

«Vagrant Story» erschien vor 25 Jahren zu einem Zeitpunkt, als die PS1 langsam von der Playstation 2 abgelöst wurde. Das JRPG bot innovatives Gameplay und die schönste Grafik der Konsolen-Generation. In Erinnerung geblieben ist mir aber vor allem die super erzählte Geschichte.

Zu Zeiten der PS1 steht Squaresoft – heute Square Enix – für mutige, innovative Spiele. Ihre Spielebibliothek weist neben dem bekannten «Final Fantasy» auch Geheimtipps wie «Xenogears» oder «Parasite Eve» auf. Spät im Lebenszyklus von Sonys erster Konsole erscheint ein weiteres, erstklassiges Spiel, das im Hype um die Playstation 2 beinahe untergeht.

«Vagrant Story» ist dunkel. Das gilt sowohl für die Story als auch das Setting. Dadurch unterscheidet sich das Spiel deutlich von den farbenfrohen JRPGs der PS1-Ära. Das ist anno 2000 für mich als 17-Jähriger, der gerade eine Gothic-Phase durchmacht, perfekt.

Vom ersten Moment an bin ich von der Optik begeistert. Statt vorgerenderter Hintergründe kommt Echtzeit-Rendering zum Zug. Dadurch stösst die PS1 zwar an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit, erlaubt aber eine cineastische Inszenierung. Hier zeigt sich denn auch das Genie des Directors Yasumi Matsuno, der bereits mit «Final Fantasy Tactics» sein Talent fürs Storytelling bewiesen hat.

Die emotionale Geschichte fesselt mich von Beginn an.
Die emotionale Geschichte fesselt mich von Beginn an.
Quelle: Square Enix

Einzigartige Inszenierung eines PS1-Spiels

Die Entwicklung des Spiels beginnt 1998. Von Beginn an will Matsuno ein RPG schaffen, das sich vom Mainstream jener Zeit unterscheidet. So sei «Final Fantasy» vergleichbar mit einer grossen Hollywood-Produktion, «Vagrant Story» hingegen solle wie ein Independent-Film werden. Was für ihn auch bedeutet, dass sich das Spiel nicht an Casual- sondern an Hardcore-Gamer richtet. Als ich das Spiel zocke, weiss ich nichts von Matsunos Gedanken. Aber es passt auf mein Jahr-2000-Ich wie die Faust aufs Auge: Ich bin Hardcore-Gamer und alles, was dem Mainstream entspringt, ist mir ein Graus – ausser «Final Fantasy».

Obwohl Matsuno vieles anders machen will, beinhaltet die Geschichte Ideen und Konzepte, die er auch in «Final Fantasy Tactics» behandelt hat: Klassenunterschied, Korruption der geistlichen Führung, politische Intrigen und Bürgerkrieg stehen im Zentrum. Ich habe das 1997 bei «Tactics» geliebt und liebe es auch 2000 bei «Vagrant Story». Und auch die Welt, in der das Spiel spielt, ist dieselbe: Ivalice. Später wird sie auch in «Final Fantasy XII» als Standort dienen.

Ashley Riot ist der Hauptcharakter. Ich steuere nur ihn während des Spiels.
Ashley Riot ist der Hauptcharakter. Ich steuere nur ihn während des Spiels.
Quelle: Square Enix

Die Geschichte beginnt in einem schummrigen Hinterzimmer des Hauptquartiers der Valendia Knights of Peace (VKP). Hier wird über den Führer der religiösen Terroristengruppe Müllenkamp Sydney Losstarot diskutiert. Dieser hat im Anwesen des Herzogs Bardorba Geiseln genommen.

Die VKP beschliessen, das Anwesen unter einem Vorwand zu stürmen, Losstarot zu töten und damit Müllenkamp ein Ende zu setzen. Übernehmen soll das der Elitesoldat Ashley Riot. Dieser ist zunächst skeptisch, denn eigentlich hätte Herzog Bardorba die Templer unter sich, die für seine Sicherheit zuständig sind. Wie sich aber herausstellt, finanziert der Herzog Müllenkamp.

In der Folge wird Ashley in die Stadt Leá Monde entsandt, um weitere Nachforschungen zu tätigen. Hier treffen mehrere Parteien aufeinander. Sie alle suchen einen Schlüssel, der ihnen die Kontrolle über die Dunkelheit verschaffen soll. Was dieser Schlüssel genau ist und wozu ihn die verschiedenen Fraktionen nutzen wollen, entwirrt sich im Verlauf des Spiels.

Geschrieben ist die Geschichte schlicht genial. Sie entwickelt sich clever, subtil und mit gutem Erzähltempo. Mit Ashleys innerer Zerrissenheit, was nun richtig oder falsch ist, kann ich mich als Heranwachsender identifizieren. Dass ich mich dann wie in einem Spionagefilm im mittelalterlichen RPG-Setting fühle, setzt dem das i-Tüpfelchen auf. Während Ashley die Stadt erforscht, werde ich als Spieler in eine Geschichte religiöser Intrigen und Klassenkampf in einer Welt aus Drachen, Dämonen und Geistern eingeführt.

Kinoähnliche Cutscenes wie «Vagrant Story» hatte kein anderes PS1-Spiel.
Kinoähnliche Cutscenes wie «Vagrant Story» hatte kein anderes PS1-Spiel.
Quelle: Square Enix

Die Geschichte ist aber nicht nur genial geschrieben, sondern auch optisch super inszeniert. Das zeigt sich grundsätzlich in jeder Cutscene des Spiels. Mutige Kameraperspektiven und -fahrten lassen mich tief in die Story eintauchen. Würden die Zwischensequenzen eins zu eins in echt nachgestellt, wäre es auch heute noch ein Lehrstück der Kinematografie. Auf der PS1 kommt dem nur «Metal Gear Solid» im Ansatz nahe.

Die Entscheidung, das Spiel komplett in 3D zu rendern, hat aber auch massive Auswirkungen auf die Story. So muss Matsuno die Geschichte enorm kürzen. Davon weiss ich im Jahr 2000 nichts. Mir fällt das damals wie auch heute nicht auf. Es spricht für das Genie Matsuno, dass er die Story dennoch rund erzählen kann.

Eines der schönsten PS1-Spiele

Trotz dieser Einschränkungen ist «Vagrant Story» eines der schönsten, wenn nicht gar das grafisch beeindruckendste Spiel der PS1. Wenn ich mir anschaue, was die Entwickler aus der schwachen Hardware herausgeholt haben, bin ich auch heute noch beeindruckt. Die Umgebungen sind enorm detailliert und die Charaktere toll animiert – inklusive kleinster Veränderungen bei Gestik und Mimik.

Charaktere mit Mimik sind auf der PS1 selten.
Charaktere mit Mimik sind auf der PS1 selten.
Quelle: Square Enix

Hervor sticht für mich auch heute noch das Design der Stadt Leá Monde. Dieses wurde durch die französische Stadt Saint-Émilion inspiriert. Matsuno und sein Team haben die Vorbild-Stadt gar besucht, um ihr virtuelles Pendant möglichst authentisch wiederzugeben – was sich definitiv gelohnt hat. Leá Monde sieht nicht nur gut aus, sondern wirkt auch wie eine echte Stadt.

«Vagrant Story» erinnert auch an einen Comic. Ich mag die Verwendung von Licht und Schatten zum Erschaffen der eindrücklichen Atmosphäre des Spiels. So heben sich die Charaktere immer mit einem leichten Schimmer von den Hintergründen ab. Hinzu kommen die Textblasen, die den Comic-Look komplementieren.

Der Comic-Look zieht mich voll in die Geschichte hinein.
Der Comic-Look zieht mich voll in die Geschichte hinein.
Quelle: Square Enix

Untermalt wird das alles von einem düsteren Soundtrack, der den Ton des Spiels perfekt trifft. Für mich sticht jedoch kein Stück besonders hervor. Ich höre mir die Musik auch nicht abseits des Spiels an.

Interessantes Gameplay-Konzept, vermurkste Umsetzung

Die Erkundung von Leá Monde macht Spass – auch weil ich immer wieder durch neue Gegenstände belohnt werde. Die Stadt ist ein weitläufiges Labyrinth aus feuchten Kellern, unterirdischen Höhlen, vegetationsreichen Bezirken, nebligen Wäldern und verfallenen Gräbern. Sie fühlt sich an wie eine eigene Welt, ein wunderschönes, aber furchteinflössendes Netzwerk aus verschlungenen Gassen und dichten Schatzkammern. Als ich zum ersten Mal in eine Katakombe absteige, habe ich Gänsehaut, so toll ist die Atmosphäre.

Bei der Erkundung muss ich auch Kistenschieberätsel lösen.
Bei der Erkundung muss ich auch Kistenschieberätsel lösen.
Quelle: Square Enix

Das Kämpfen ist ein interessanter Mix aus Action und Strategie. Wenn sich mir ein Gegner nähert, kann ich auf Knopfdruck meine Waffe ziehen. Dadurch wird das Spiel pausiert und eine mit Linien angedeutete Kugel erscheint um Ashley. Sie zeigt seinen Aktionsradius. Ich kann ihm nun befehlen, unterschiedliche Körperteile des Gegners anzugreifen. Die Idee dahinter: Gewisse Teile sind schwächer und das kann ich ausnutzen.

Ashley kann verschiedene Körperteile der Gegner angreifen. Die einzelnen Teile können unterschiedliche Stärke und Schwächen aufweisen.
Ashley kann verschiedene Körperteile der Gegner angreifen. Die einzelnen Teile können unterschiedliche Stärke und Schwächen aufweisen.
Quelle: Square Enix

Ergänzt wird das System durch das Aneinanderreihen von Fähigkeiten, welche Ashley mit der Zeit lernt. Diese weise ich bestimmten Tasten zu. Wenn ich sie während einer Attacke zum richtigen Zeitpunkt drücke, kann ich der ursprünglichen Attacke eine weitere hinzufügen.

Drücke ich beim Erscheinen des Ausrufezeichens die Angriffstaste winkt mir eine Combo.
Drücke ich beim Erscheinen des Ausrufezeichens die Angriffstaste winkt mir eine Combo.
Quelle: Square Enix.

Durch dieses Aneinanderreihen erhöht sich gleichzeitig das sogenannte Risk-Meter. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass ein Angriff fehlschlägt oder Ashley mehr Schaden nimmt.

Waffen baue ich aus Teilen zusammen, die ich finde. Es gibt die Typen Scharf, Stumpf und Spitz. Ich kann sie auch mit Elementarbuffs versehen. Je nach Gegner verschaffe ich mir so einen Vorteil, weil sie schwach gegen bestimmte Waffentypen oder Elemente sind.

Die unintuitive Menüführung treibt mich beinahe in den Wahnsinn.
Die unintuitive Menüführung treibt mich beinahe in den Wahnsinn.
Quelle: Square Enix

Das System an sich ist toll, wird aber leider durch mehrere ärgerliche Punkte zurückgebunden. Grösster Kritikpunkt sind die enorm langen Ladezeiten der PS1. Wenn ich etwa meine Gegenstände in einer Kiste ablege, dauert es ewig, bis das gespeichert ist. Nur beim Laden schlafe ich beinahe ein, sondern auch bei den Kämpfen. Denn die Kampfanimationen sind teilweise so lange, dass ich mir zwischendurch eine Packung Chips aus der Küche holen könnte. Das Ganze wird garniert durch unintuitive Menüs, in die ich viel zu häufig wechseln muss, um mich auf Kämpfe vorzubereiten. So wird der Spielfluss enorm gebremst und ich verbringe viel mehr Zeit mit Vorbereiten als mit Kämpfen. Das hat mich bei meinem ersten Durchspielen beinahe dazu verleitet, das Spiel wegzulegen.

Beinahe vergessen

Ging das Spiel bereits beim Release beinahe unter, sieht es heute nicht besser aus. Offiziell ist es nur auf der PS1 oder über das PlayStation Network für PS3, PSP oder Vita verfügbar. Damit ich für diesen Artikel nochmal hereinschauen konnte, musste ich es auf dem PC emulieren. Fans wünschen sich deshalb schon seit langem eine moderne Version oder einen Nachfolger. Bislang wurden die Rufe aber nicht erhört. Schade, ich würde gerne erneut in die Welt von Ivalice eintauchen.

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Technologie und Gesellschaft faszinieren mich. Die beiden zu kombinieren und aus unterschiedlichen Blickwinkeln zu betrachten, ist meine Leidenschaft.


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