
Kritik
«Superman»: Der Start ins neue DCU bleibt zahm
von Luca Fontana
Sie waren das Herz von Marvel, bevor es ein Universum gab. Eine Familie aus Forschern, Freaks und Träumerinnen. Jetzt sind die Fantastic Four wieder da – und bringen das Staunen zurück ins Marvel Cinematic Universe.
Keine Sorge: Die folgende Filmkritik enthält keine Spoiler. Ich verrate dir nicht mehr, als ohnehin schon bekannt und in den Trailern zu sehen ist. «Fantastic Four: First Steps» läuft ab dem 24. Juli im Kino.
Es gab eine Zeit, da waren die Fantastic Four Marvel. Punkt. Als Stan Lee und Jack Kirby sie 1961 erschufen, war das nämlich nicht einfach der Start eines neuen Superhelden-Teams. Es war der Urknall. Der Anfang von allem. Ohne die Four kein Spider-Man, kein Iron Man, kein gar nichts. Sie waren das Gesicht von Marvel. Sein Fundament. Und das über ein ganzes Jahrzehnt hinweg.
Im Gegensatz zu DCs Superman oder Batman folgten die Fantastic Four keinem steifen Heldenkodex, keinem überhöhten Ideal. Sie waren keine Ikonen, zu denen man ehrfürchtig aufsah – so wie die Menschen im neuen «Superman»-Film. Sie waren «nur» eine Familie. Dysfunktional, streitlustig, aber zutiefst liebenswert. Sie rauften sich zusammen, scheiterten gemeinsam und fingen sich wieder auf. Genau das machte sie so besonders: Sie fühlten sich menschlich an. Nahbar.
Greifbar.
Und jetzt? Jetzt sind sie endlich angekommen. Im MCU. In einer retrofuturistischen 1960er-Jahre-Welt, die so verspielt und lebendig ist wie ihre besten Comic-Abenteuer – und gleichzeitig so gross, so kosmisch und existenziell wie das Marvel-Universum selbst. «Fantastic Four: First Steps» ist die erste Kinoadaption, die wirklich verstanden hat, worum es bei dieser fantastischen Familie geht. Und locker der beste Marvel-Film seit Jahren.
Es dauert keine fünf Sekunden, dann ist klar: «Fantastic Four: First Steps» spielt (noch) nicht in unserem Marvel-Kino-Universum. Jedenfalls nicht in dem, das seit der Infinity-Saga in sich zusammenzubröckeln scheint. Dieser Film entführt uns auf Erde 828, in eine alternative Realität, in der die 1960er-Jahre nicht Vergangenheit, sondern Zukunft sind. Eine Welt irgendwo zwischen Jules Vernes und «Tomorrowland». Retro, ja – aber auch visionär. Nicht altmodisch, sondern kühn gedacht.
Und genau da lebt sie: diese fantastische Familie. Seit vier Jahren schon sind Reed, Sue, Johnny und Ben als gefeierte Wissenschaftler, Medienlieblinge und Superhelden im Einsatz. Wie sie dazu gekommen sind? Das wird gleich zu Beginn in einer knackigen, eleganten Montage skizziert. Keine Wiederholung alter Fehler. Kein zäher Aufbau. Stattdessen ein klarer Fokus: Die Four sind längst ein Team. Und der Film verschwendet keine Zeit, uns zu zeigen, warum das so wichtig ist.
Denn was dann kommt, ist grösser als alles, was sie je erlebt haben: Eine silberne Heroldin, die das Ende allen Seins verkündet. Und ein Gott im Marvel-Kosmos, älter als das Universum selbst – Galactus.
Klingt nach ganz schön viel. Ist es auch. Aber die Fantastic Four waren auch in den Comics nie bloss Superhelden. Sie waren Forscherinnen. Wissenschaftler. Grenzgängerinnen und Entdecker, angetrieben von Neugier, nicht nur von Pflicht. Ihre Abenteuer führten sie sowohl gegen Schurken als auch durch Dimensionen, Zeitlöcher und Galaxien – und genau das brachte ihnen den Ruf ein, das «Star Trek» des Marvel-Universums zu sein.
Ein Vergleich, der viele überraschen dürfte, die ihre Geschichte nur aus den bisherigen Filmen kennen. Denn die zeigten von alldem herzlich wenig.
«First Steps» hingegen ist eine Rückbesinnung auf genau diese Wurzeln. Mehr noch: eine Liebeserklärung an sie. Der Film spielt nicht zufällig in den 1960er-Jahren. Er spielt in genau jener Zeit, in der sich Stan Lee und Jack Kirby die fantastische Familie einst erdachten. Das wirkt wie eine Hommage – ist aber noch viel mehr: eine kreative Befreiungstat.
Auf Erde 828 blüht diese retrofuturistische Zeit nämlich nicht nur, sie explodiert geradezu. Sie ist laut, bunt, verspielt und quirlig. Eine Welt voller «Jetsons»-Technologie, bonbonfarbener Fluggeräte und wissenschaftlicher Neugier, die man am liebsten anfassen möchte. Eine Welt, die auf der IMAX-Leinwand lebt.
Und ganz wie in den Comics verschlägt es die Familie schon bald dorthin, wo sie hingehört: ins All. Sie sind ja nicht nur Genies in Laborkitteln, sondern auch Astronautinnen. Pioniere des Unbekannten. Klar, das haben frühere Filme auch behauptet – selbst die verhunzte 2015er-Version. So halb. Aber dort war der Weltraum bloss ein Story-Katalysator, um ihre Kräfte zu erklären. Hier ist er ein Versprechen. Und er wird auch eingelöst.
Denn schon bald reisen die Four durch fremde Welten, entdecken neue Formen des Seins – und begegnen mit Galactus einem Comic-Mythos, der nicht nur ihre, sondern auch unsere kühnsten Fantasien übersteigt. Eingeführt wird er aber nicht etwa durch plumpe Exposition, sondern durch Staunen. Durch Bilder, die mal an «Interstellar», mal ans «Alien»-Franchise erinnern: verzerrte Zeiträume, fremde Physik, kosmische Einsamkeit. Kamerafahrten, die sich trauen, mal innezuhalten, um dann wieder alles in krachenden Bildern aufzubrechen.
Das Faszinierende dabei: «First Steps» macht keinen Hehl aus seinen Ursprüngen. Wenn in einer Szene etwa noch der ulkige Mole Man mit seinem Maulwurf-Bot Manhattan attackiert und in der nächsten der Silver Surfer das Ende allen Lebens ankündigt, dann ist das nicht inkonsequent – das ist Lee und Kirby in Reinkultur. Das ist «Fantastic Four».
Das ist kosmisches Comic-Kino in Reinform.
Aber so gross das Spektakel auch ist – «Fantastic Four: First Steps» bleibt zuallererst ein Film über vier Menschen, die nicht einfach gemeinsam kämpfen, sondern gemeinsam leben. Die sich lieben, streiten, necken, einander auf die Nerven gehen – und sich trotzdem blind vertrauen. Genau das war schon immer der Kern der Comics. Und endlich fängt ein Film genau das ein.
Allen voran: Pedro Pascal und Vanessa Kirby als Reed Richards und Sue Storm. Was für ein Power Couple. Die beiden tragen diesen Film mit so viel Charme, Wucht und gegenseitiger Wärme, dass es fast unverschämt leicht aussieht. Ich habe ihnen vom ersten Moment an abgenommen, dass sie verheiratet sind. Dass sie gemeinsam durchs Leben gehen – und durch das Universum. Dass sie sich streiten, weil sie sich verstehen. Und sich verstehen, weil sie sich kennen.
Kirbys Sue ist dabei nicht nur das Herz des Teams, sondern auch das moralische Rückgrat, während «Internet-Daddy» Pascal nie den Nerd in Reed Richards verliert, ihn aber gleichzeitig mit einer Würde und einem Witz spielt, die selbst in den schrillsten Momenten aufrichtig wirken. Gemeinsam sind sie nicht einfach die Eltern dieser Superheldenfamilie – sie sind das emotionale Zentrum des Films. Und vielleicht das stärkste Paar, welches das MCU je gesehen hat.
Was diesen Film aber wirklich herausstechen lässt – vor allem im Vergleich zum neuen «Superman» – ist seine Erzählökonomie. «First Steps» schafft es, in knapp zwei Stunden eine ganze Welt aufzubauen, Figuren zu etablieren, Konflikte zu zeichnen und ein kosmisches Abenteuer zu erzählen, ohne je gehetzt zu wirken. Alles greift ineinander. Alles wächst mit. Der Film hat keine Angst vor Tempo, aber auch keinen Stress. Das ist Storytelling mit Übersicht. Mit Vertrauen in die eigene Vision.
Und in das Publikum.
Superman hingegen wirkte wie ein Best-of-Mixtape eines Universums, das wir nie kennengelernt haben. Ein ständiger Wechsel zwischen Action, Meta-Gags, Pathos, Pseudopolitik und Monsterblobs. Kaum tauchte ein Gedanke auf, kam schon der nächste Schwenk. Es war, als hätte James Gunn Angst gehabt, dass ihm das Publikum abspringt, wenn’s mal still wird. Also wurde es nie still. Und wenn’s ausnahmsweise doch mal wurde, konterte Gunn gleich wieder mit einem dummen Spruch.
«First Steps» traut sich mehr. Traut sich, Gefühle stehenzulassen. Traut sich, seine Figuren wirken zu lassen. Und auch, die Gag-Dichte zu drosseln. Es gibt Humor, ja – charmanten, verspielten Humor. Aber er kommt nicht aus dem Drehbuch, sondern aus den Figuren. Aus Blicken. Aus Momenten. Aus der Chemie. Marvel hat endlich wieder Darstellerinnen und Darsteller, denen man zutraut, den Raum zu tragen, ohne dass man ihnen einen Gag nach dem anderen ins Skript schreibt.
Und dann ist da noch die Musik. Michael Giacchino. Der Mann, der schon für Pixar, «Star Wars», «Planet of the Apes» und «Batman» komponiert hat – und trotzdem immer wieder überrascht. Auch hier. «Fantastic Four: First Steps» ist nicht nur ein triumphales Comeback für die Figuren, sondern auch ein musikalisches. Denn was Giacchino hier schreibt, ist kein nettes Thema mit ein paar Variationen. Es ist ein Klebstoff. Eine Struktur. Eine emotionale Landkarte. Farbig. Facettenreich. Komplex. Und …
… einfach nur euphorisierend.
Nein, ehrlich. Der Score trägt diesen Film – in seinen charmanten, quirlig-leichten Momenten genauso wie in den existenziellen. Er tänzelt, wenn Reed und Sue sich kabbeln. Er lodert, wenn Johnny durch die Lüfte jagt. Er dröhnt, wenn Galactus sich nähert. Und er tröstet, wenn die Familie an sich selbst zu zerbrechen droht.
Dabei wirkt nichts aufdringlich. Keine Note will mehr sein, als sie ist. Und doch hallt alles nach. Es ist lange her, dass ein Marvel-Film so musikalisch gedacht war. Keine generische Soundtapete, kein austauschbares Action-Gewummer. Sondern echte, erkennbare Motive. Eine Handschrift.
Selbst jetzt, beim Schreiben dieses Reviews, hallt es mir noch im Kopf nach: «Bap bap bap bap – Faaaantastic Fouuuuur!»
«Fantastic Four: First Steps» ist mehr als nur ein gelungener Neuanfang. Es ist ein Liebesbrief an die Wurzeln des Marvel-Universums – und ein Beweis, dass ausgerechnet diese oft belächelte Familie das Zeug hat, das MCU neu zu entfachen. Ohne Multiversums-Gimmicks. Ohne Dauergekicher. Ohne Cameo-Korsett.
Stattdessen: Figuren mit Herz. Bilder mit Wucht. Musik mit Seele.
Schon die ersten Einstellungen atmen diesen herrlichen 1960er-Jahre-Optimismus, irgendwo zwischen Jules-Verne-Romantik und «Fallout»-Retrofuturismus. Das liebe ich. Auch, weil der Film auf Atmosphäre setzt, auf ein erwachsenes Ensemble und auf echte Emotionen. Er denkt gross, bleibt aber nahbar. Erzählt effizient, aber nicht gehetzt. Und er berührt, ohne sich dafür zu entschuldigen.
Das Ergebnis ist ein kosmisches Abenteuer, das in seinen besten Momenten genau das einfängt, was das MCU einst ausmachte: Neugier, Staunen und Menschlichkeit. Ob das reicht, um Marvel wieder auf Kurs zu bringen? Wer weiss. Aber es ist der beste First Step für die fantastische Familie, den man sich wünschen konnte. Und vielleicht – ganz vielleicht – ist es sogar der wichtigste.
Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.»