Hintergrund

Disney+ kommt – und wiederholt denselben Fehler wie Netflix

Luca Fontana
24.3.2020

Disney+ wird international ausgerollt. Die bisherigen Abo-Zahlen zeigen: Der Dienst ist ein voller Erfolg. Ob der auch langfristig hält, hängt allerdings davon ab, ob Disney nicht denselben Fehler wiederholt wie Netflix.

Ginge es nach Disney, dann wäre die zweite Mandalorian-Staffel wohl eher heute als morgen zum Streamen parat. Schliesslich ist «The Mandalorian» ein riesengrosser Erfolg, der Kritiker und Fans gleichermassen begeistert und massgeblich zum Abo-Boom bei Disney+ beiträgt.

Die genannten Abo-Zahlen sind gut, weil Ex-Disney-CEO Bob Iger eigentlich mit einem viel tieferen Wachstum gerechnet hatte: 18 Millionen Abonnenten – pro Jahr. Der erste Schritt, anfangs einen möglichst grossen Kundenstamm aufzubauen, ist damit bereits getan.

Der nächste Schritt: Diesen Kundenstamm auch langfristig zu halten. Ob das gelingt, hängt davon ab, ob Disney den Fehler von Netflix vermeidet.

Momentan sieht’s nicht danach aus.

Netflix: Vom Video- und DVD-Verleih zum Streaming-Giganten

Welchen Fehler? Da muss ich etwas ausholen. Vor allem aber müssen wir uns anschauen, wie der einstige DVD- und Video-Verleiher zum Streaming-Giganten geworden ist.

Ende 2007 sieht Netflix-CEO Reed Hastings vor allen anderen das Ende der physischen Speichermedien kommen. Darum setzt er alles auf eine Karte: Streaming. Für das Unternehmen heisst es, das eigene Video- und DVD-Verleih-Geschäft aufzugeben. Stattdessen werden Lizenzgebühren an Vertriebs- und Produktionsfirmen fällig, um ihre Filme und Serien in die eigene Streaming-Bibliothek aufzunehmen – zum Beispiel an Disney.

Ein Wagnis. Denn Ende 2007 ist die Streaming-Qualität mies. Mieser als DVD-Qualität. Darauf hat niemand gewartet.

Aber die Rechnung geht auf.

Netflix verbessert die Streaming-Qualität und vergrössert seine Bibliothek. Zwischen 2007 und 2010 schliesst der Nobody Partnerschaften mit Microsoft, Sony und Apple ab und macht so seine App auf zahlreichen Plattformen verfügbar. Ende 2011 zählt Netflix über 20 Millionen Mitglieder.

Skepsis weicht Zuversicht. Vertriebs- und Produktionsfirmen sehen in Netflix eine neue, attraktive Einnahmequelle. Gerade, weil die DVD-Verkäufe gleichzeitig einbrechen und prominente Opfer fordern. Eines davon ist der einstige Verleih-Gigant Blockbuster.

Netflix etabliert sich. Zeigt durch seinen kometenhaften Aufstieg aber auch, wie viel Geld im Streaming-Geschäft und seinem Abomodell steckt – Geld, an das auch die Verleiher und Produzenten kommen wollen.

Verhandlungen über Lizenzverlängerungen werden kompliziert; die Rechteinhaber verlangen immer höhere Gebühren. Noch zieht Netflix mit. Aber der sich radikal verändernde Streaming-Markt verlangt nach einer neuen Strategie: Eigenproduktionen.

Was hat das alles mit Disney+ zu tun?

Mittlerweile zählt Netflix 167 Millionen Abonnenten. Letzten Sommer waren es noch 150 Millionen. Die Zahl steigt also.

In anderen Worten: Netflix in Abonnenten ausgedrückt wächst nicht schnell genug, um die konstant steigenden Betriebskosten nachhaltig abzudecken.

Disney+ steuert auf das gleiche Problem wie Netflix zu.

Schauen wir uns Disney+ etwas genauer an

Disneys Ausgangslage unterscheidet sich von Netflix’: Disney kann sich nämlich teure Lizenzgebühren sparen, weil der berüchtigte Disney-Bunker bereits den grössten Teil der Klassiker beinhaltet. Dazu gibt’s ja noch die eingekauften Marken.

Da sind etwa die Disney- und Pixar-Animationsfilme, die sich perfekt für Familien und Kinder eignen. Da sind die Marvel- und Star-Wars-Filme, von denen einige zu den finanziell erfolgreichsten und gefeiertsten Filme aller Zeiten zählen. Und National Geographic bietet, als Tüpfelchen auf dem i, oscarprämierte Dokus für Wissensbegierige an. Alles an einem Ort: Disney+.

Damit weiss Disney seinen Backkatalog – der Bibliothek exklusive Eigenproduktionen – auch langfristig gesichert; anders als bei Netflix schrumpft sie wegen auslaufenden Lizenzen nicht. Zudem ist sie die womöglich attraktivste auf dem Markt. Zumindest aus Hollywood-Perspektive: Pixar, Marvel oder Star Wars – das sind starke Marken. Es gibt also deutlich weniger Zugzwang für Disney, exklusive Eigenproduktionen am Laufmeter zu produzieren.

Anders gesagt: Disney hat kein Backkatalog-Problem à la Netflix.

Das alleine ist allerdings keine Garantie, dass die aktuell über 28,6 Millionen Abonnenten bei Disney bleiben. In einer von Forbes veröffentlichten, aber nicht selbst durchgeführten Studie sind die beiden Hauptgründe, die in den USA zur Beendigung eines Abos führen:

  1. Ein schlechtes Preis-/Leistungsverhältnis
  2. Nicht genügend neue und spannende Inhalte

Und genau die haben ein Problem.

Das Problem: Disney Originale sind… auch nur okay

Das sind lange Wartezeiten.

Was muss Disney also besser machen – abgesehen vom Offensichtlichen, nämlich bessere Originale zu produzieren?

Weg von der Mittelprächtigkeit eines Netflix-Originals!

Denn Netflix muss aufgrund seines Backkatalog-Problems in kurzer Zeit viele neue Inhalte produzieren. Manchmal zu Lasten der Qualität. Sowas wie «Stargirl» zum Beispiel. Aber diese «Hauptsache, es hat was für jeden»-Taktik kann nur für Netflix funktionieren. Das ist schliesslich seine Stärke: Jede und jeder kann irgendetwas auf Netflix finden, das gefällt.

Aber wofür steht Disney+?

Solche Spielchen helfen auf dem Weg zum klaren Profil nicht. Denn Disney muss lernen, sich auch über seinen eigenen geschichtsträchtigen Namen und den seiner Marken hinaus zu definieren. Und zwar bald. Was helfen würde, ist, Qualitätsinhalte zu produzieren. Besser: Nur noch Qualitätsinhalte. So wie Netflix anno dazumals mit «House of Cards» und «Orange is the New Black». So, wie Disney es eigentlich mit «The Mandalorian» vor vier Monaten getan hatte.

Stattdessen gibt es «Stargirl» oder «Timmy Failure».

Dabei würde der Fokus auf Qualität den Leuten echte Gründe liefern, ihr Disney+-Abo zu behalten, nachdem sie sich «The Mandalorian» angeguckt hätten. Selbst dann, wenn das Haus der Maus nicht die gleiche Quantität und Diversität bieten kann wie Netflix.

Dabei könnte die Ausgangslage für Disney nicht besser sein. Das Unternehmen kann es sich sogar leisten, es geduldig anzugehen. Es hat ja kein drängendes Backkatalog-Problem. Nur tut’s Disney nicht. Schlimmer: Disney, im Versuch, Netflix Konkurrenz zu machen, wiederholt die von Forbes zumindest als fragwürdig eingestufte Entscheidung Netflix', Quantität der Qualität vorzuziehen.

Wir sehen weiter, wenn es August 2020 ist und «Falcon and the Winter Soldier» kommt.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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