
Meinung
Das Märchen vom selbstverschuldeten Untergang – Kodak Edition
von David Lee
Das Bundesgericht hat einem Berufsfotografen recht gegeben, der sich gegen die illegale Verwendung eines Fotos gewehrt hat. Die Entschädigung ist aber so gering, dass es ihm nichts nützt. Meiner Meinung nach wird damit sogar die Hemmschwelle für Bilderklau gesenkt.
Das Bundesgericht hat einen Entscheid zu einem geklauten Foto gefällt, wie der «Tages-Anzeiger» heute berichtet. Ein Entscheid, den ich überhaupt nicht nachvollziehen kann.
Worum geht es? Zufällig entdeckte der Fotograf Alain D. Boillat, dass eine seiner Luftaufnahmen für Werbezwecke einer Immobilienfirma verwendet wurde. Er stellte darauf hin eine Rechnung, welche die Firma nicht bezahlen wollte. So gelangte der Fall ans Bundesgericht. Dieses hat am 21. April bestätigt, dass es sich um eine Urheberrechtsverletzung handelt.
Trotzdem ist das Urteil für den Fotografen und für die gesamte Branche eine Niederlage. Denn: Boillat forderte 3920 Franken – bekommen hat er 55.
Wie kommt das Gericht auf einen so läppischen Betrag? Der Beitrag im Tages-Anzeiger erklärt es so: «Das Bundesgericht folgte bei der Berechnung der Lizenzgebühr weitgehend der Argumentation der beklagten Firma. Diese legte mehrere Fotos von Luftaufnahmen vor, die zu vergleichsweise tiefen Preisen im Internet erhältlich waren.»
Ich bin kein Jurist. Aber ich bin sicher, dass kein professioneller Fotograf einen Auftrag annehmen würde, der mit 55 Franken «entschädigt» wird. Wenn ein Bild zu einem derart tiefen Preis erhältlich ist, handelt es sich in der Regel um ein Stock-Foto. Bei Stock-Fotos macht der Fotograf das Geld mit der Masse: Ein Foto wird dutzende bis hunderte Male verkauft. Erst damit kommt genügend Geld zusammen, sodass sich der Aufwand lohnt.
Diese Vorgehensweise funktioniert aber nur bei sehr allgemeinen Motiven. Sobald ein Interessent eine spezifische Vorstellung von einem Bild hat, findet er diese in den Stock-Bilddatenbanken höchstwahrscheinlich nicht mehr. Das bedeutet: Ein solches Bild muss als Einzelanfertigung in Auftrag gegeben werden. Und dann muss der Aufwand des Fotografen vollumfänglich bezahlt werden.
Das Bundesgericht hat hier ein Foto, das kein Stock-Foto war, wie ein Stock-Foto behandelt. Kaum ein Fotograf wird nach diesem Urteil noch den Gang vor Gericht wagen. Damit wird der sowieso schon prekären Existenz vieler Berufsfotografen und -fotografinnen die Grundlage entzogen.
Titelbild: Shutterstock/MaridavDurch Interesse an IT und Schreiben bin ich schon früh (2000) im Tech-Journalismus gelandet. Mich interessiert, wie man Technik benutzen kann, ohne selbst benutzt zu werden. Meine Freizeit ver(sch)wende ich am liebsten fürs Musikmachen, wo ich mässiges Talent mit übermässiger Begeisterung kompensiere.