Cosplay-Interview: «Sinn gibt das, was einen Menschen ausfüllt»
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Cosplay-Interview: «Sinn gibt das, was einen Menschen ausfüllt»

Martin Jud
8.5.2018
Bilder: Thomas Kunz

Cosplayerin Tiffie gibt Einblick in ihre Leidenschaft. Im Interview spricht sie über Materialschlachten, wachsendes Selbstbewusstsein und Fussfetischismus.

Ich war alles andere als Feuer und Flamme, als mich Kollege Kevin fragte, ob ich ihn beim Thema «Fantasy Basel» unterstützen möchte. Meine Begeisterung für Cosplay hielt sich bis dato in Grenzen. Kevin meinte, dass er am 10. Mai «The Swiss Comic Con» besuche und darüber berichten werde. Da würde sich doch ein Interview mit einem Cosplayer im Vorfeld gut machen. Als ein weiterer Kollege von einer Digitec-Mitarbeiterin schwärmte, welche Cosplay betreibt, wurde ich dann doch neugierig.

Das Fotoshooting nach dem Interview dauert über zwei Stunden.
Das Fotoshooting nach dem Interview dauert über zwei Stunden.

Glücklicherweise findet Cosplayerin Tiffie zwei Tage später Zeit für mich. Sie wirkt auf den ersten Blick ruhig und unscheinbar. Doch sagt mir etwas, dass die zierliche Brünette mit Bambi-Augen einen lebhaften Geist besitzt. Und genau diesen legt sie dann auch an den Tag – sie scheut sich nicht, herzhaft zu lachen oder mit ruhiger, bestimmter Stimme den Ernst einer Sache zu unterstreichen. Tiffies lebendige Mimik und der wache Blick untermalen ihre Gefühle so, dass ich stets denke zu wissen, woran ich bei ihr bin.

Tiffie, wie bist du zu Cosplay gekommen?

«Es war der Anfang meiner Teenie-Zeit. Wir waren drei Freundinnen, welche sich regelmässig in einem Hobby-Keller trafen. Wir hatten ein Sofa, Computer, TV und gefühlt sämtliche existierenden Konsolen sowie Games.

Eines Tages hatten wir genug vom Anime-Schauen und Gamen und kamen auf die Idee, unsere Lieblingscharaktere in Google zu suchen. Als erstes googelten wir 'Gaara' aus der Serie 'Naruto'. Als uns Google dann ein Bild eines echten Menschen im Gaara-Outfit zeigte, kreischten wir aufgeregt. Am liebsten hätten wir diesen Cosplayer sofort als Freund gehabt. Ich suchte darauf sogleich nach meinem liebsten Charakter – nach 'Naruto' selbst. Ich war hin und weg – wir waren alle baff und schauten uns stundenlang Cosplay-Fotos an.

Naruto: Eine extrem erfolgreiche Mangareihe des japanischen Mangaka Masashi Kishimoto.
Naruto: Eine extrem erfolgreiche Mangareihe des japanischen Mangaka Masashi Kishimoto.

Irgendwann stiessen wir auf die Homepage cosplay.com. Einem Forum, in welchem sich User über die Herstellung von Kostümen und Requisiten unterhielten. Ganz im Sinne von: 'Wer weiss, wie ich folgendes herstellen kann…?' oder 'Wo bekomme ich jenes Material zum Rüstung bauen?'
Damit eröffnete sich mir eine vollkommen neue Welt.»

Was geschah danach?

«Damals hatten die Boutiquen Claires und Metro frisch extravagante Modestücke und Accessoires im Sortiment. Wir kauften uns Netze, Strümpfe, Handschuhe und erste Perücken. Lokal eingedeckt, versuchten wir als erstes den zu Naruto passenden Ninja-Stile nachzumachen. Wir bastelten wie die Wilden und halfen uns unter anderem auch mit Alufolie aus, um passende Stirnbänder herzustellen.»

Damals hast du die Materialien lokal besorgt – wie sieht es heute aus?

«Glücklicherweise gibt es mittlerweile Shops, die direkt auf Cosplay ausgerichtet sind. Doch eine wahre Fundgrube ist der Baumarkt. Von den Materialien her arbeiten Cosplayer mit Fugensilikon, Moosgummy, mit thermoplastischen Materialien, Worblas, Cosplayflex, Holz, Kork oder für Rüstungen auch mit EVA-Platten. Die Platten sind leicht und lassen sich daher gut tragen. Doch passt man nicht auf, kann das Material auch schnell Falten und Striemen bekommen. Daher sollte man die Materialien auch gut lagern und nicht einfach in eine Ikea-Tasche schmeissen, wie ich es manchmal mache.»

Machst du alles von Hand, wenn du ein Kostüm herstellst?

«Meistens mache ich das komplette Kostüm selber. Doch wenn man die Materialpreise im Internet vergleicht, gibt es auch oft den Fall, dass ein gekauftes Kostüm viel günstiger kommt. Je nachdem bist du bereits mit 80 Dollar dabei. Allerdings sind die gekauften Kostüme meist nicht wirklich detailreich, weshalb auch da noch Hand angelegt werden muss. Rüstungen sind zwar sehr aufwändig, mache ich aber stets selber, da damit sichergestellt wird, dass alles passt – alles richtig sitzt.»

Rüstungsbau: Wo gehobelt wird, fallen Späne.
Rüstungsbau: Wo gehobelt wird, fallen Späne.

Was kostet bei dir ein Outfit im Durchschnitt?

«Das ist sehr unterschiedlich – schaut man beispielsweise den Charakter Jessica Rabbit mit ihrem roten Kleid an und möchte dies selber mit einem schönen Stoff, Pailletten, Hut und Perücke herstellen, so wird man für die Materialkosten in der Schweiz um die 150 Franken ausgeben. Je nachdem, wo man seine Materialien besorgt, kann dies aber auch stark variieren. Einige Cosplayer kaufen auch alles im Ausland. Der Aufwand für die Herstellung ist aber dann sehr gross, bedenkt man, dass man nebst dem Nähen des Kleides auch jede Paillette einzeln von Hand annäht. Schwierig ist auch, in der Schweiz ein passendes Paar High-Heels zu finden, welches vom Preis her in Ordnung geht.

Möchte man ein Outfit mit viel Rüstung herstellen – beispielsweise jenes von Iron Man – kann dies mit EVA-Platten gelöst werden. Diese kosten allerdings relativ viel. Eine 50 x 50 cm Platte kostet schnell mal 20 Dollar, womit allerdings erst eine Armschiene hergestellt werden kann. Für eine Komplett-Rüstung gibst du schätzungsweise um die 800 Franken aus.»

Wie lange bastelst du, wenn du ein Outfit von Grund auf herstellst?

«Je nachdem habe ich wenige Tage bis hin zu mehreren Monaten. Kommt auch darauf an, wie viel Zeit ich täglich investiere. Möchte man sich ein aufwändiges Kostüm in einer Ferienwoche selber machen, müsste man schon täglich acht Stunden investieren, um nach einer Woche ein Resultat vor Augen zu haben.»

Von wachsendem Selbstvertrauen

Tiffie legt sich ganz schön ins Zeug, wenn es ans Eingemachte geht.
Tiffie legt sich ganz schön ins Zeug, wenn es ans Eingemachte geht.

Tiffie, was gibt dir eigentlich Cosplay – warum tust du das?

«Äääähm… Naja, das hat verschiedene Gründe. Bevor ich damit begann, hatte ich sehr viele Selbstzweifel. Meine eigene Person stellte ich oft in den Hintergrund, ich verzichtete aus Unsicherheit auf Aufmerksamkeit. Stress, enttäuschende Jugendliebe und einschneidende Ereignisse nagten am Selbstbewusstsein.

Als ich dann mit Cosplay anfing, konnte ich jemand anderes sein. Jemand, der stark ist. Ich konnte meiner Realität entfliehen. Endlich hatte ich nebst dem Gamen eine Beschäftigung, die mir half, vom ganzen Stress herunterzukommen. Cosplay war für mich damals sowas wie Eigentherapie, ich merkte auf einmal, dass nicht alles schlecht ist, was passiert. Allmählich gewann ich an Selbstbewusstsein.

Der erste Charakter, welchen ich bei Cosplay verkörperte war 'Lightning' von 'Final Fantasy'. Sie stellt eine starke Frau dar, welche sich im Militär einen höheren Rang erkämpfte und dann loszieht, um ihre Schwester und allenfalls auch die Welt zu retten. Als ich das erste Mal in diesen Charakter schlüpfte, fühlte ich viel Inspiration. Ich war damit auch an einer Convention und bekam plötzlich viel positive Aufmerksamkeit. Ein richtiger Gegensatz zu dem, was bisher in der Schule geschah. Die Menschen kamen voller Freude auf mich zu und wollten Fotos mit mir machen. Sie lobten mich für das coole Outfit und waren begeistert, Lightning in echt zu sehen. Wir tauschten uns übers Gamen aus...
Endlich begriff ich, dass ich auch einen Platz in dieser Welt habe und das Leben viel Wunderbares mit sich bringt.»

Haben sich die Gründe für Cosplay im Laufe der Zeit geändert?

«Also Selbstbewusstsein habe ich nun, doch es ist noch immer ausbaufähig. Dennoch ist es für mich heute lediglich ein normales Hobby, wie für einen anderen das Fischen. Basteln, Verkleiden und Spielen machen mir weiterhin viel Spass und ich liebe es, anderen mit meinem Hobby eine Freude zu bereiten. Über die ganzen Jahre habe ich viel gelernt und konnte mich zu einem grossen Teil auch selber finden. Ich fühle heute, wo mein Platz auf der Welt ist und wo ich hingehöre.»

Gibt es eigentlich Menschen, welche Cosplay hauptberuflich betreiben – die davon leben können?

«Ja, es gibt wenige, welche das geschafft haben. Diese werden oft als Aushängeschild an Conventions eingeladen. Sie verkaufen dann Prints von sich, geben Unterschriften und nehmen allenfalls auch Aufträge an, um für andere Cosplayer Kostüme zu bauen. Sie geben Workshops, machen Promotion für Auftraggeber oder sitzen in der Jury eines Cosplay-Wettbewerbs.»

Wenn es nun den Zufall möchte, dass du künftig das Glück hättest, von Cosplay leben zu können. Würdest du das wollen?

«Einerseits wäre es bestimmt schön, seine Leidenschaft zum Beruf zu machen. Auf der anderen Seite aber müsste ich dann ein neues Hobby finden, das mich auch wieder so ausfüllt. Gamen, die Outfits der Game-Charaktere basteln und diese schlussendlich zu spielen – alle Hobbys hängen zusammen und füllen mich gemeinsam aus. Es ist fraglich, ob ich das alles im Beruf noch gleich geniessen könnte. Der Aufwand für die konstante Content-Generierung ist hoch und der Erwartungsdruck von Seiten Werbetreibenden und Fans sehr gross. Ich bin hin und hergerissen.»

Fingierte Namen und schlüpfrige Angebote

Praktisch jeder Cosplayer hat einen Künstlernamen.
Praktisch jeder Cosplayer hat einen Künstlernamen.

Lass uns mal über deinen Künstlernamen sprechen. Sobald du dich verkleidest, nennst du dich Tiffie…?

«Beinahe alle, welche öfters Cosplay betreiben, haben einen Künstlernamen. Dieser dient nebst der Wiedererkennung auch als Schutz. Man hat nicht immer Lust darauf, auf dem privaten Facebook-Account von Unbekannten angeschrieben zu werden. Daher macht es sich gut, hier eine Trennung zu haben und Tiffie abgesondert auftreten zu lassen.»

Der Künstlername ist also auch ein Stalker-Schutz?

«Ja, absolut. Man hört oft von kuriosen Anfragen, welche Cosplayer erhalten. Und früher oder später trifft es auch dich selbst. So kam es schon vor, dass ein Fussfetischist Geld für Fotos und ein Video in gewünschtem Outfit und entsprechenden Socken anbot. 100 Franken für Fotos und 1000 für das Video wären mein Lohn gewesen.

Solche Anfragen würde ich als beängstigend empfinden, kämen diese bei einem privaten Social Media-Account herein. In diesem Fall blockierte ich die Person und machte mir nicht weiter Gedanken. Übrigens ist es aus solchen Gründen auch notwendig, sich mit Privatsphären-Einstellungen auseinanderzusetzen und diese richtig anzuwenden.»

Mal Abgesehen von eigenartigen Angeboten; je nach verkörpertem Charakter hat Cosplay durchwegs auch eine erotische Komponente. Wie weit gehst du, wenn du einen solchen Charakter spielst?

«Meiner Meinung nach sollte das Können im Vordergrund stehen. Es ist halt die einfache Art, mit viel nackter Haut zu Aufmerksamkeit und Erfolg zu kommen. Sex sells, das ist einfach so. Ich merke das auch selber. Wenn ich beispielsweise ein Foto der Charaktere 'Widowmaker' oder 'Racing Miku' poste – mit grossem Ausschnitt oder kürzerem Kleid – dann spricht dies viel mehr Leute an und wird öfters geteilt, als wenn ich ein Selfie als 'Sombra' mit geschlossenem Outfit hochlade.

Natürlich gibt es auch einen Markt für sexy Cosplay-Outfits. So findet man beispielsweise auf patreon.com auch Umsetzungen, in welchen Game-Charaktere plötzlich nur im Bikini oder gar oben ohne, die Brüste mit den Händen abgedeckt, daherkommen. Einerseits ist das Fan-Service, anderseits ist es fraglich, ob das wirklich sein muss.

Persönlich halte ich nicht viel davon, selber nur in Perücke nackt vor der Kamera zu stehen. Ich möchte möglichst genau am Original des Charakters bleiben. Doch hat dieser schon in seiner natürlichen Form sexy Elemente, setze ich diese durchaus auch um. 'Boa Hancock' beispielsweise aus 'One Piece' hat einen riesen Ausschnitt und präsentiert sich auch gerne – dementsprechend habe ich auch ihren Charakter so dargestellt. Es soll passen.
Dennoch; schaue ich mir Aufnahmen der bekannten Cosplayerin Jessica Nigri an, welche ihren Busen stets extrem präsentiert, gefällt mir das auch. Sie geht den Cosplay weg, alles sexy zu machen. Und sie macht das gut und wirkt trotz allem authentisch.»

Von Erfolg und der Fantasy Basel

Tiffie hat an der Fantasy Basel einen eigenen Stand.
Tiffie hat an der Fantasy Basel einen eigenen Stand.

Was ist, persönlich gefühlt, dein bisher grösster Cosplay-Erfolg?

«Das Erfolgsgefühl habe ich in erster Linie, wenn ich ein neues Outfit fertig habe und mich darüber freue. Das Schöne an Cosplay ist, sich unter Gleichgesinnten zu bewegen und sich mit diesen auszutauschen. Ich posiere gerne für ein Bild, werde ich an einer Convention aufgefordert – doch Träume ich nicht davon, auf einem sich selbst drehenden Podest stundenlang auf der Bühne zu stehen und bestaunt zu werden.»

Am Donnerstag beginnt die dreitägige Fantasy Basel – was hast du dafür geplant? Ich habe gehört, dass du nicht als normale Besucherin gehst?

«Normalerweise gehe ich auch gerne mal im Casual-Outfit an eine Convention. Doch für Basel habe ich mit einer Kollegin einen Stand gebucht. Daher wird man mich jeden Tag in einem anderen Outfit antreffen. Wir teilen uns die Kosten und den rund zwei Meter breiten Stand – daher bezahle ich lediglich 150 Franken. In den Standkosten ist auch ein Dreitagespass enthalten.»

Wie lange wirst du haben, um dich am Morgen in ein Outfit zu werfen? Machst du das in Basel oder zuhause?

«Bisher habe ich mich immer zuhause bereit gemacht. Was vor allem bei einem Charakter wie Tyrande von Vorteil ist. Denn da benötige ich auch ein Bodypainting und muss Ohren ankleben, was auf der Toilette der Convention nicht ganz einfach sein dürfte. Ich werde wohl 30 bis 60 Minuten für eine Verkleidung benötigen.»

Auf was freust du dich am meisten, wenn du an Basel denkst?

«Auf die Atmosphäre und die Menschen. Einfach mal wieder mit der Community Spass zu haben und Kontakte zu knüpfen. Merchandising ist natürlich auch angesagt – ich kaufe gerne neue Figuren. Allerdings sollte ich mich wegen meinem Portemonnaie etwas zurückhalten, denn dieses freut sich nicht immer über meine Einkäufe.»

Wo können dich allfällige künftige Fans erreichen – wie pflegst du den Kontakt?

«Ich habe eine Facebook-Seite und bin bei Instagram dabei. Allerdings bin ich nicht immer proaktiv daran, meine Social Media-Accounts wie ein Profi stets mit Content zu befüllen. Dennoch sind die Seiten natürlich dafür gedacht, dass man mehr von mir sehen kann, wenn man denn möchte.»

Abschlussfrage: Was ist für dich der Sinn des Lebens?

«Boah… Haha… Ich glaube das ist der Spass. Ich möchte einfach leben können, nach vorne schauen, meine persönlichen Ziele umsetzen, Freude empfinden und mir selbst treu bleiben. Sinn gibt das, was einen Menschen ausfüllt. Und ein grosser Teil davon macht in meinem Leben Cosplay aus.»

Vielen Dank, Tiffie!
Besten Dank auch dem Fotografen!
Besten Dank auch dem Fotografen!

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Der tägliche Kuss der Muse lässt meine Kreativität spriessen. Werde ich mal nicht geküsst, so versuche ich mich mittels Träumen neu zu inspirieren. Denn wer träumt, verschläft nie sein Leben.


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