Hintergrund

Alexa wird Schweizerin: Startet jetzt der grosse Lauschangriff?

Amazon Alexa ist da. Der Voice Assistant ist offiziell in der Schweiz lanciert. Aber: Hört sie dir immer und überall zu? Oder anders: Wie sehr überwacht dich Alexa?

Amazon lanciert Alexa in der Schweiz. Der smarte Sprachassistent wohnt in deinen Lautsprechern, deinem Smartphone und hört zu, wenn du etwas sagst. Datenschutzbesorgten läuft es eiskalt den Rücken runter: Jeff Bezos hört uns zu. Er wird wissen, was du zu deiner Katze sagst und was beim Znacht diskutiert wird. Und beim Sex hört er auch zu. Katastrophe!

Die Ammenmärchen und modernen Mythen werden nicht aufhören, und jedes Smart Device wird wieder neue Diskussionen entfachen.

Gut so.

Denn der Datenschutz und die Privatsphäre sind Dinge, die praktisch jede Woche mal wieder von etwas Neuem bedroht werden. Hier will eine App mehr Daten, dort musst du wieder etwas über dich verraten. Vor allem bei Gratisdiensten wie Amazons Alexa bist du in der Falle, denn eine Faustregel des Internets besagt: Wenn es gratis ist, dann bist du nicht der Kunde, sondern das Produkt, das verkauft wird.

Hört Alexa immer zu?

Auf technologischer Ebene hört Alexa nur dann zu, wenn sie den Namen «Alexa» nach einer kurzen Zeit des Schweigens hört. Wenn du also ihren Namen im Gespräch erwähnst, dann reagiert sie nicht.

Dies liegt daran, dass in jedem Gerät mit Sprachassistent zwei separate «Hearing Circuits» verbaut sind, also zwei Systeme, die dir zuhören. Sie werden wie folgt genannt.

  1. Passiv
  2. Aktiv

Das passive System ist nur dazu da, zu reagieren, wenn «Schweigen, Alexa» passiert. Es werden keine Daten übertragen. Das passive System ist lokal und auf Sonos One, soweit ich feststellen kann, nur Read Only. Auf den Echo-Geräten kannst du laut mehreren Quellen das Trigger Word ändern. Also, wenn du eine Katze namens Alexa hast, dann musst du entweder die Katze oder Amazons Assistant umbenennen. Das geht auf Sonos One nicht.

Wenn das passive System reagiert, dann löst es das aktive System aus. Das ist der Part, der deine Stimme aufnimmt und in der Cloud analysiert. Du erkennst das visuell an den Geräten selbst. Bei den Echo Devices leuchtet der blaue Ring auf, der bedeutet «Achtung: Aufnahme läuft». Da Alexa aber auf alle Stimmen reagiert, die «Schweigen Alexa $kommando» sagen, kann das recht einfach ausgehebelt werden.

Wenn ich also eine Aufzeichnung meiner Stimme mit dem Kommando «Alexa, kauf eine Breguet» aufnehme und bei dir zu Hause laufen lasse, dann reagiert Alexa, vorausgesetzt, du hast alle Kauf- und Lieferdaten korrekt bei Amazon hinterlegt.

Alexa hört nicht immer zu.

Aber sie hört auf ihren Namen. Wenn du also eine Katze hast, die Alexa heisst, dann hast du ein Problem. Oder, wenn du selbst Alexandra heisst und dein Spitzname Alexa ist.

Die Datenmenge des Überwachungssystems

Weltweit sind laut Marketingland 100 Millionen, also 100 000 000, Geräte mit Alexa in freier Wildbahn anzutreffen. Wenn jetzt diese Geräte 24 Stunden am Tag zuhören würden, dann würde das eine enorme Datenmenge produzieren.

  • Eine Minute MP3 Audio in 128kb entspricht genau 1MB
  • Ein Tag hat 24 Stunden x 60 Minuten, ergibt also 1440 Minuten
  • Ein User würde 1440 MB Daten produzieren – täglich

Alle Alexa-Geräte würden demnach 144 000 000 000 MB Daten produzieren. Jeden Tag. Das wären 144000 Terabyte oder 144 Petabyte. Zum Vergleich: Dein Laptop hat statistisch gesehen wahrscheinlich etwa ein halbes Terabyte Speicher.

Diese unwahrscheinlich grosse Datenmenge müsste Amazon dann, so geht der Mythos, dann auch noch durchhören. In einigen Horrorvorstellungen machen das sogar Menschen. Das dystopische Bild eines riesigen Büros mit Menschen darin, alle mit Headset, die nur zuhören, was User sagen, und das Gehörte dann sogar mitschreiben. Nur für den Fall, dass da irgendetwas Spannendes gesagt werden könnte.

Mehr würden sie schaffen, wenn Amazon per künstlicher Intelligenz Stille herausfiltert.

Ein Mensch hört dir zu… vielleicht

Wenn ein Amazon-Angestellter zuhört, dann geht das laut den Quellen des Time Magazines so: In Schichten à neun Stunden transkribieren Angestellte auf der ganzen Welt Aufnahmen und füttern sie zurück an Alexa. Dazu bekommt die Software Annotationen der Transkribierer, damit sie besser versteht, was genau passiert ist.

Das Heer der Zuhörenden ist nicht nur bei Amazon direkt angestellt, sondern kann von Vertragspartnern gestellt werden. Diese Angestellten und Vertragspartner arbeiten in den USA, Costa Rica, Indien und Rumänien. Pro Schicht hört ein Mensch etwa 1000 Aufnahmen, die alle nach dem Kommando «Alexa» aufgenommen wurden.

Ein Angestellter berichtet davon, dass er sich stundenlang mit den Wörtern «Taylor» und «Swift» auseinandergesetzt hat. Er hat Alexas Software beigebracht, wann der User «Taylor» – ein Name oder ein Homonym für «tailor», «Schneider» – oder «Swift» – übersetzt «schnell» oder «hurtig» – in einem anderen Kontext verwendet hat, oder ob der User tatsächlich die Sängerin Taylor Swift gemeint hat.

Könnte Amazon mit einem Notrufüberwachungsapparat nicht viel Gutes bewirken? Freilich. Aber es darf nicht die Aufgabe eines Grosskonzerns sein, ausserhalb expliziter Befehle mit deinem Leben zu interagieren.

Amazon selbst hat dem Time Magazine 2019 gegenüber Stellung bezogen. Zwar hören Menschen zu, aber der Konzern habe keine Informationen darüber, wer die Menschen in den Aufnahmen sind. Die Daten werden anonymisiert.

Warum du trotzdem Werbung zu Geräuschen bekommst

Das grosse Aber: Es kommt immer wieder vor, dass du Werbung zu Dingen bekommst, die du im Gespräch mit deiner Mutter erwähnt hast. Oder zum neuen Spielzeug für deine Katze, über das du mit dem Büsi beim Znacht geredet hast. Die Antwort der Katze war «Miau», die Antwort des Internets ist «Kauf das günstig». Das liegt aber nicht an deinem Smart Speaker, sei das Alexa, HomePod oder Google Mini, sondern an einem ganz anderen Mechanismus.

Denn Alexa ist nicht das einzige Ding, das dich ausspioniert. Das Internet als Ganzes spioniert dir seit Jahren nach. Third Party Cookies und deren Nachfolger analysieren dein Surf-Verhalten. Apple will dem seit neuestem einen Riegel vorschieben, Google auch.

Das Titelbild oben stammt übrigens von srlabs.de.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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