LS 22 / Debora Pape
Hintergrund

Zu wenig komplex: Studie kritisiert den «Landwirtschafts-Simulator»

Debora Pape
17.7.2025
Bilder: Debora Pape

Eine neue Studie stellt dem beliebten «Landwirtschafts-Simulator» ein fragwürdiges Zeugnis aus: Das Spiel fördere problematische Ideale und könne das Verhalten der Gamer im echten Leben beeinflussen.

Das Bestellen virtueller Felder und das Züchten digitaler Rinder steht hoch im Kurs. Der «Landwirtschafts-Simulator» (LS) des Schweizer Studios Giants Software gehört zu den erfolgreichsten Wirtschaftssimulationen weltweit. Mehr als 40 Millionen mal haben sich die Spiele der Reihe verkauft, seit der erste Teil 2008 das Licht der Welt erblickte. Grund genug für die beiden Forscher Simon Foureaux und Thomas Daum der Universität Göteborg, den Einfluss des Games auf die Realität wissenschaftlich unter die Lupe zu nehmen.

In ihrer Studie untersuchen die beiden, wie der «LS 22» – der Vorgänger des aktuellen Titels «LS 25» – die Vorstellungen von «guter Landwirtschaft» (im englischen Original: good Farming) prägt.

Sie analysieren dazu das Eröffnungsvideo, das Gameplay und die visuellen Elemente des Spiels. Ihr Resultat: Der «LS 22» verstärke ein von wirtschaftlichen Interessen angetriebenes «good Farming»-Ideal, das auf hohem Einkommen und dem Erwerb moderner Maschinen basiert, während ökologische Aspekte vernachlässigt werden. Hier siehst du das Introvideo von «LS 22», das alle Werte von «good Farming» bedient.

Bevor du es selbst sagst: Ja, der «LS» ist nur ein Spiel und soll Spaß machen. Man kann die Kirche also auch im Dorf lassen. Bei einem Simulationsschwergewicht wie dem «LS» ist aber auch ein genauerer Blick legitim. Die Autoren führen an, dass der «Landwirtschafts-Simulator» durch seine Popularität und den Anschein, die Realität wiederzugeben, eine gewisse Verantwortung trägt. Mehr dazu liest du weiter unten.

«Good Farming» ist nicht zukunftsfähig

Das traditionelle Bild von der Landwirtschaft – sowohl in der Gesellschaft als auch im Selbstbewusstsein des Landwirts – lässt sich nach den Autoren der Studie nicht mit langfristig zukunftsfähigem Wirtschaften unter ökologischen Aspekten vereinbaren.

Großflächig angelegte, saubere Felder mit möglichst großen, gleichförmigen Kulturen, die unter Einsatz von Pestiziden und großen Düngermengen erzeugt werden, zerstören demnach Lebensräume und tragen zur Reduzierung von Artenvielfalt bei. Die Nutzung von großen Landmaschinen und das Bild vom «harten Bauern» verstärken laut der Studie die Effekte dieser Wirtschaftsform. Diese wirke sich jedoch negativ auf zukünftige Erträge und die Ökologie im Gesamtkontext aus und werde auch nicht den Anforderungen des Klimawandels gerecht.

Unter den landwirtschaftlichen Ansätzen, die diesen schädlichen Aspekten entgegentreten, nennen die beiden Forscher etwa Polykulturen und Stilllegungsmaßnahmen, wie das Anlegen von Hecken, Blühstreifen und Teichen. Das führt zu verkleinerten und «unordentlich» wirkenden Anbauflächen sowie Ertragsverlusten – was dem traditionellen Bild der Landwirtschaft widerspricht. Landwirte, die solche Maßnahmen umsetzen, können innerhalb ihrer Gemeinschaft sogar Ansehen verlieren.

Daher ist es problematisch, weiterhin die traditionelle «gute Landwirtschaft» zu vermitteln, schreiben die Forscher.

Im «LS» muss alles größer werden – und das ist unrealistisch

Im Spiel arbeitest du dich vom Kleinbauern zum Agrar-Großgrundbesitzer hoch. Durch den Kauf größerer und besserer Maschinen bearbeitest du deine Felder effizienter, sodass du dir mehr Maschinen und größere Felder kaufen kannst, um noch mehr Geld zu verdienen. Für den größtmöglichen Ertrag ist nur zu beachten, die richtigen Arbeitsschritte zur richtigen Zeit vorzunehmen – etwa pflügen, säen, düngen und Pestizide sprühen. Mehr musst du nicht beachten. Ein typischer Simulator eben.

Großes Arbeitsgerät verringert den Arbeitsaufwand auch im LS 22.
Großes Arbeitsgerät verringert den Arbeitsaufwand auch im LS 22.

Auch die Tierhaltung ist stark vereinfacht. Du brauchst dir keine Gedanken über Krankheiten, Tierwohl und unschöne Aspekte wie die Schlachtung machen. Im Spiel geht es deinen Tieren immer gut.

Das Problem dabei: Der «LS» spielt damit, einen realistischen Ansatz vertreten zu wollen. Die Forscher kritisieren daher schon die Eröffnungssequenz, die alle Aspekte der traditionellen «guten Landwirtschaft» zeigt. «Halte das [die Arbeit als Landwirt] nicht für ein Spiel», sagt der Sprecher darin unter anderem.

LS: Die Kühe sind immer glücklich. Sie können gar nicht anders.
LS: Die Kühe sind immer glücklich. Sie können gar nicht anders.

Fahrzeuge im Spiel müssen betankt und repariert werden. Auf den Feldern sammeln sich Steine an, die du für den besseren Ertrag und zum Vermeiden von Beschädigungen am Arbeitsgerät entfernen musst. Auch die mehr als 100 lizenzierten realen Marken im Spiel – von Landmaschinen über Arbeitsgeräte bis hin zur Kleidung – vermitteln laut den beiden Forschern den Eindruck eines hohen Realismusgrades.

Der «Landwirtschafts-Simulator» ist ein Bildungswerkzeug

Zwar handelt es sich beim «LS»um ein Spiel, doch die Simulation hat auch einen Bildungseffekt. Er wird durch die detailgetreue Gestaltung von Arbeitsgeräten und Maschinen verstärkt.

Ich habe selbst einige Stunden «LS 22» auf dem Buckel und hatte zuvor überhaupt keine Ahnung von Landwirtschaft. Durch «LS» erkenne ich jetzt eine Sämaschine oder einen Futtermischwagen, wenn ich einen sehe. Und ich kann sagen, was der oder die Fahrerin auf dem Acker gerade ungefähr macht. Gerade durch die Altersfreigabe von 0 Jahren eignet sich «LS» auch für sehr junge Spieler. Mein neunjähriger Neffe liebt das Game – nur deswegen kennt er sich bereits sehr gut mit (zu vereinfacht dargestellter) Landwirtschaft aus.

  • Kritik

    Der «LS25» beschert mir Dreckbollen im Profil und ich find’s geil

    von Debora Pape

Die Autoren der Studie gehen auf genau diesen Aspekt ein: «Serious games» wie der LS haben demnach ein großes Bildungspotenzial. Nutzerinnen und Nutzer verinnerlichen das im Spiel gelernte Wissen und werden davon geprägt. Ungenaue Inhalte können dadurch ein falsches Bild vermitteln, das Menschen bei Entscheidungen im Alltag – etwa im Supermarkt oder sogar an der Wahlurne – beeinflussen könnte.

Laut der Studie schätzt Giants Software, dass rund 25 Prozent der Gamer einen realen Bezug zur Landwirtschaft haben und zehn Prozent selbst Landwirte sind. Das bedeutet: Die Verstärkung des potenziell schädlichen Idealbilds von der Landwirtschaft kann sich auf die Realität auswirken und im Zweifel verhindern, dass Landwirte nachhaltigere Methoden einsetzen.

Im Spiel funktioniert es: Diese Tomaten sind gut auf der Ladefläche gesichert.
Im Spiel funktioniert es: Diese Tomaten sind gut auf der Ladefläche gesichert.

Mods erhöhen den Realismus

Obwohl die Autoren dem «LS» starke Defizite bescheinigen, heben sie das Potenzial des Games hervor. Durch Mods lässt sich der Realismusgrad des Spiels immerhin deutlich erhöhen.

Besonders heben sie die kostenlose Mod «Precision Farming» hervor. Diese Mod wird von verschiedenen europäischen Unis entwickelt und von der EU gefördert. Sie bringt nachhaltige Aspekte ins Spiel – mit dem Ziel, das Bewusstsein dafür in der Bevölkerung zu steigern. So belohnt sie dich etwa dafür, deine Felder nicht zu überdüngen. Ich habe sie immer gern genutzt, weil sie das Spiel komplexer – und eben auch realistischer macht. «Precision Farming» gibt es seit 2020 und erschien erstmals für «LS 19». Für den aktuellen «LS 25» ist sie seit Mai ebenfalls verfügbar.

Durch Ansätze wie bei dieser Mod könnte der «Farming Simulator» das alte Bild von der «guten Landwirtschaft» mittelfristig zu mehr Nachhaltigkeit verändern, schließen die Forscher ab.

Titelbild: LS 22 / Debora Pape

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Fühlt sich vor dem Gaming-PC genauso zu Hause wie in der Hängematte im Garten. Mag unter anderem das römische Kaiserreich, Containerschiffe und Science-Fiction-Bücher. Spürt vor allem News aus dem IT-Bereich und Smart Things auf.


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