Florian Bodoky
Hintergrund

VÜPF-Revision: Bundesrat will Überwachung per Verordnung durchmogeln

Der Bundesrat möchte das VÜPF revisionieren und auch kleine Kommunikationsdienste zur Mitarbeit und Datenherausgabe verpflichten. Mittels Verordnung will er das entsprechende Gesetz revidieren und in Kraft setzen. Dieses Vorhaben sorgt für Empörung.

Am 6. Mai endete die Vernehmlassungsfrist zur Teilrevision der Verordnungen über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (VÜPF und VD-ÜPF). Damit tritt ein kontroverses Reformvorhaben des Bundesrates in die nächste Phase. Ziel ist, die Überwachungspflichten für Anbieter digitaler Kommunikationsdienste – von klassischen Telekomfirmen bis hin zu Messengerdiensten oder Mail-Anbietern, zu überarbeiten.

Was will der Bundesrat – und warum?

Konkret will der Bundesrat durch die Revision drei zentrale Punkte erreichen, wie er selber verlauten lässt: erstens eine klarere Einteilung, welche Anbieter welche Pflichten haben, zweitens die Einführung neuer Überwachungs- und Auskunftsarten, drittens die Möglichkeit, gewisse Arten von Verschlüsselung aufzuheben – allerdings ohne die End-zu-End-Verschlüsselung zu tangieren. «Lediglich» die Transportverschlüsselung könnte daran glauben müssen.

Neu soll auch die Schwelle für Anbieter gesenkt werden, die zur Mitarbeit verpflichtet werden können: Schon ab 5000 Nutzerinnen und Nutzern gelten bestimmte Identifikations- und Speicherpflichten, ab einer Million Nutzern treten die umfassendsten Vorgaben in Kraft. Damit geraten neu auch Anbieter wie Threema oder Proton ins Visier.

Aus Sicht des Bundesrates ist die Revision überfällig. Die digitalen Kommunikationsformen hätten sich in den letzten Jahren massiv verändert – nun gelte es, die bestehenden Vorschriften den neuen Realitäten anzupassen. Die Differenzierung zwischen Anbietern mit minimalen, reduzierten und vollen Pflichten soll laut dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) für mehr Fairness und Transparenz sorgen. Auch sei die Revision kein Eingriff ins Gesetz, sondern eine «sachgerechte Anpassung» von Ausführungsbestimmungen im Rahmen des bestehenden Bundesgesetzes über die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (BÜPF).

Wie argumentieren die Gegner?

Das sehen Kritiker und Kritikerinnen anders. Organisationen wie die Digitale Gesellschaft (Digiges) werfen dem Bundesrat vor, zentrale Grundrechte wie etwa das Recht auf Privatsphäre noch mehr auszuhöhlen. Erschwerend kommt hinzu, dass dies auf dem Verordnungsweg geschehen soll.

Erik Schöneberger, Geschäftsleiter der Digiges, kritisiert das Vorhaben vehement.
Erik Schöneberger, Geschäftsleiter der Digiges, kritisiert das Vorhaben vehement.
Quelle: Presserat.ch

Der Vorwurf: Mit der Revision solle der Überwachungsstaat stillschweigend ausgebaut werden – ohne demokratische Legitimation. Die tief angesetzte Schwelle von 5000 Nutzerinnen sei «absurd niedrig». Andere Stimmen sagen, dass diese Verordnung auch als Versuch gesehen werden kann, Bundesgerichtsentscheide zu umgehen: Im April 2021 entschied dieses nämlich, dass sogenannte Anbieter abgeleiteter Kommunikationsdienste (AAKD) keine Daten an den Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (ÜPF) liefern müssen, da sie «keine Leitungs- und Funkinfrastruktur bieten, sondern lediglich Informationen in bestehende einspeisen».

Proton-Chef Andy Yen kündigte in einem Interview mit Watson an, sich den neuen Vorschriften zu widersetzen – notfalls durch einen Wegzug ins Ausland. Auch Threema ist nicht begeistert und zieht gar eine Volksinitiative in Betracht.

Andy Yen, Proton-CEO, droht mit Wegzug.
Andy Yen, Proton-CEO, droht mit Wegzug.
Quelle: Wikimedia

Juristisch und wirtschaftlich ein Problem

Für diese Unternehmen bedeutet die Revision mehr als zusätzlichen administrativen Aufwand. Die technischen und personellen Anforderungen zur Erfüllung der neuen Überwachungspflichten sind hoch – etwa ein 24/7-Bereitschaftsdienst. Dadurch entstünden mutmasslich Kosten in Millionenhöhe. Dies sei für kleinere Anbieter nicht zu stemmen. So überliesse man den Markt Big Playern aus dem Ausland, deren Datenschutzstandards unter Umständen nicht so hoch sind wie etwa bei Proton oder Threema.

Doch die Kritik geht über wirtschaftliche Aspekte hinaus. Für Digiges stellt sich die Frage, ob solche Revisionen ohne parlamentarischen Entscheid überhaupt zulässig sind. Zudem stünden einige Punkte der Revision im Widerspruch zum geltenden Datenschutzgesetz, etwa die geforderte Vorratsdatenspeicherung – die in der EU seit Jahren illegal ist.

Alternative «Quickfreeze»

Als Alternative zu den geforderten Massnahmen wird das sogenannte «Quickfreeze»-Verfahren vorgeschlagen. Dabei dürfen die entsprechenden Stellen auf bereits gespeicherte Daten tatverdächtiger Personen zugreifen, wenn ein konkreter Anlass besteht, also z.B. ein Verdacht, dass eine schwere Straftat geschehen ist oder berechtigte Hinweise bestehen, dass eine solche unmittelbar bevorstehen könnte.

Nun wird das EJPD die Stellungnahmen prüfen und den überarbeiteten Entwurf dem Bundesrat vorlegen. Dieser entscheidet letztlich, ob und in welcher Form die Verordnung in Kraft tritt – frühestens 2026. Ob es tatsächlich so weit kommt, ist ungewiss. Sollte die Revision in ihrer jetzigen Form beschlossen werden, ist mit politischen und juristischen Gegenmassnahmen zu rechnen.

Titelbild: Florian Bodoky

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Seit ich herausgefunden habe, wie man bei der ISDN-Card beide Telefonkanäle für eine grössere Bandbreite aktivieren kann, bastle ich an digitalen Netzwerken herum. Seit ich sprechen kann, an analogen. Wahl-Winterthurer mit rotblauem Herzen.


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