Produkttest

TCL X10 TV-Review: Super Bild, schwacher Prozessor

Luca Fontana
15.7.2020

China will die TV-Landschaft aufmischen. Der Tech-Gigant TCL geht voran und bringt den ersten Mini-LED-Fernseher auf den Markt. Das Bild rockt, der Prozessor nicht.

Ich bin gespannt

Das Design: Lautsprechersystem oder Soundbar?

Sie haben Style, diese TCL-Fernseher. Keine Frage. Das ist mir schon bei vergangenen Messebesuchen aufgefallen.

Ein eigener Stil entwickelt sich. Cool.

Und ja, ich nenne das Lautsprechersystem mit hübschem Stoffbezug ganz bewusst «Lautsprechersystem». Auch wenn es mit seinen Massen von 109.5×6.5×8.5 Zentimetern (B×H×T) an eine Soundbar erinnert. Aber wenn du tatsächlich Soundbar-Qualität erwartest – Sound-Puristen werden mich lynchen, weil ich Soundbar und Qualität im selben Satz verwende –, dann wirst du enttäuscht.

Was lässt sich sonst noch zur Ausstattung sagen?

Immerhin verfügt einer der drei HDMI-Steckplätze über einen Audio Return Channel (ARC). Damit lässt sich TV-Sound an einen Receiver oder eine Soundbar via HDMI-Kabel weiterleiten. Dank vorhandener Pass-Through-Funktion geht auch Dolby Atmos.

Doof: Die vorinstallierte Netflix-App in TCLs Smart-TV-System darf wegen Lizenzproblemen mit Dolby kein Dolby Atmos wiedergeben. In TCL-Kreisen wird allerdings gemunkelt, dass ab Dezember ein Update folgen könnte, welches das Problem behebt. Hast du ein anderes Gerät, das eine Netflix-App hat und Dolby Atmos wiedergibt – zum Beispiel einen UHD-Blu-ray-Player –, dann nutzt du halt die Pass-Through-Funktion des Fernsehers.

So. Hab’ ich alles abgedeckt? Ansonsten schreibst du deine Frage in die Kommentare und ich sorge dafür, dass du innert nützlicher Frist eine Antwort darauf bekommst.

Das Mini-LED-Bild: So muss Local Dimming!

Zur Sache. Mini LED. LCD-Pixel können nicht von selbst leuchten. Sie benötigen LEDs, die für das Hintergrundlicht sorgen und die Pixel zum Leuchten bringen. Anschliessend schotten Leuchtkristalle im Zusammenspiel mit Polarisationsfilter das Hintergrundlicht dort ab, wo Schwarz sein soll.

Trotz Filter: Auch bei «schwarzen» Pixeln dringt immer ein wenig Licht durch. Physikalisch bedingt. Darum ist bei LCD-Fernsehern da, wo Schwarz sein müsste, eher Dunkelgrau. Also haben TV-Hersteller Full Array Local Dimming (FALD) ausgetüftelt. Das heisst: LEDs hinter dunklen Bildbereichen dimmen oder schalten sich ganz ab – zu Deutsch: lokales Dimmen. So sollen die LEDs nur hinter hellen Bildbereichen leuchten.

Die Diskrepanz zwischen Anzahl Dimmzonen und Anzahl Pixel fällt dann auf, wenn ein helles Objekt vor einem dunklen Hintergrund dargestellt wird. Weil die hellen Pixelkanten nicht punktgenau angestrahlt werden können, strahlen LEDs auch dort, wo eigentlich Schwarz wäre. So entsteht der Heiligenschein – Blooming.

So. Das alles, damit ich dir folgendes sagen kann: Mini LED ist im Prinzip dasselbe wie FALD. Der einzige wesentliche Unterschied ist, dass die LEDs kleiner gebaut sind. Darum das «Mini» in «Mini LED». Und mehr LEDs bedeuten in diesem Kontext mehr Dimmzonen.

Konkret: Die über 15 000 LEDs des X10 fassen sich zu insgesamt 768 Dimmzonen zusammen. Zumindest im von mir getesteten 65-Zoll-Modell. Das ist eine Information, mit der TCL ganz offen umgeht. Ungewöhnlich, da sich Hersteller üblicherweise in Schweigen hüllen, wenn es um die Anzahl Dimmzonen in ihren Fernsehern geht. Aber der chinesische Fernseh-Bauer weiss, was für eine mächtige Hintergrundlichttechnologie er da in Händen hält – und versteckt es nicht.

Ich meine, schau dir diesen Vergleich an:

Welten, nicht wahr? Gerade in Punkto Blooming. Da ist bei TCLs X10 so gut wie gar nichts am schimmern. Da ist nur dunkles, sattes Schwarz, das es beinahe mit OLED-True-Black aufnehmen kann. Dabei mache ich es dem Fernseher aus China alles andere als leicht. Mein bewusst ausgewählten Bildmaterial bringt nämlich Local Dimming ans Limit.

Noch ein Beispiel. Quelle: «Westworld»-UHD-Blu-ray, HDR-10-Qualität.

Achte auf das Hemd. Oder auf die dunkle Fläche links neben dem Gesicht der Frau. Diese Flächen bei LGs SM9900, als ob jemand mit schlechtem Photoshop-Skill punktuell aufgehellt hätte. Das ist Blooming. Bei TCL hast du nichts dergleichen.

An dieser Stelle mein übliches Full Disclosure: Nimm es mit den Vergleichsbildern nicht zu genau. Zwischen den entsprechenden TV-Aufnahmen liegen Monate und unterschiedliches Umgebungslicht. Das kann sich auf die Kamera auswirken. Ich sorge zwar für zumindest ähnliche Lichtverhältnisse – aber Laborbedingungen sind anders.

Dennoch: Es gibt gutes und schlechtes lokales Dimmen. Unabhängig von Preis und Positionierung. Immerhin soll der SM9900 LGs 8K-Flaggschiff sein. Sowas darf den Vergleich nicht scheuen. Und der X10 gewinnt den haushoch, dank Mini LED, das lokales Dimmen auf ein mir bisher noch nicht untergekommenes Niveau hebt.

Wunderschönes UHD-Material mit HDR

Soll der TCL-TV gefälligst dazu stehen.

Das Bild gefällt mir ausgesprochen gut. Die Kino-Balken am oberen und unteren Bildrand sind schön schwarz und nicht wie bei LCD-Fernseher üblich dunkelgrau. Aber vor allem das knallige Grün des Dschungels, das nicht zu kalt wirkt, hat’s mir angetan. Was die Schwarzwerte betrifft, namentlich True Black, ist Mini LED allerdings nicht ganz dort, wo OLED-TVs ihre Muskeln spielen lassen. Das siehst du oben vor allem beim Nachthimmel gut.

TCL, da hast du den Mund etwas gar voll genommen.

Dafür wirkt das Bild bei Panasonic um einiges kälter. Da gefällt mir der eher warme Ton von LGs E9 am besten – dicht gefolgt von TCLs X10. Zum Vergleich:

Überhaupt: Von «Black Crush» – also dem Verschlucken von Details in dunklen Bildbereichen – ist keine Spur. Black Crush kann nämlich passieren, wenn Hersteller beim lokalen Dimmen in dunklen Szenen nicht für übertriebene Kontraste sorgen und gleichzeitig Blooming vermeiden wollen. Ich erklär’s dir.

Andere Szene. Gleicher Film.

Das gefällt mir. Die Szene habe ich schon Dutzende Male auf zig verschiedenen TVs geschaut. So natürlich, warm und ausgewogen wirkten die knallig orangen Farbtöne selten. Um die Sonne herum sind die Farbverläufe weich und zeugen von einer guten Helligkeitsabstufung. Anfang Jahr wurde dem X10 immer wieder mal einen leichten Hang zu Grünstichen nachgesagt. Davon ist hier nichts zu erkennen.

Im Gegenteil. Schau dir mal die beiden OLEDs an.

Der GZC 2004 macht hier meiner Meinung nach den besten Job. Vor allem was die Kontrastwerte betrifft, die vom echten OLED-Schwarz bestimmt werden. Das gibt dem Bild den gewissen «Punch». Ich mag das. Beim E9 hingegen ist definitiv ein Grünstich zu erkennen. Da gefällt mir die Farbtreue beim X10 viel besser.

Wenn da also je tatsächlich Probleme mit einem etwas zu dominanten Grün waren, dann waren das Kinderkrankheiten, die TCL mittlerweile ausgemerzt hat.

Abseits von UHD-HDR: Was kann der Prozessor?

TV-Prozessoren nehmen eine wichtige Rolle ein. Sie sind quasi das Gehirn des Fernsehers und da, um Videosignale aus HDMI oder LAN zu berechnen und wenn nötig zu verbessern. Zum Beispiel dann, wenn du eine Fernsehsendung in Full HD schaust und sie auf Ultra-HD-Auflösung hochskaliert wird.

Ein schönes Beispiel: «The Walking Dead». Die Serie ist bewusst auf 16mm-Film aufgenommen worden, damit sie mit einer altmodischen Körnung samt Bildrauschen das Gefühl einer kaputten, postapokalyptischen Welt erzeugt.

Üblicherweise würde da der TV-Prozessor eingreifen. Er müsste die Zombie-Serie als Quelle mit schlechter Qualität erkennen und sie aufwerten, das Rauschen entfernen, die Kanten glätten und die Farben verstärken. Ich kenne keinen Prozessor, der das besser hinkriegt als LGs Alpha-9-Prozessor der zweiten Generation – der Prozessor, den LG vergangenes Jahr in seinen TVs verbaut hat.

Achte dich auf den dunklen Hintergrund links neben Negans Gesicht. Da siehst du, was LGs Prozessor aus der absichtlich miesen Quelle rausholt.

Dennoch: TCL werkelt sichtbar weniger als Panasonic. Da rauscht das Bild, als ob du einem wütenden Schneesturm durchs Fenster zuschauen würdest. Bei Panasonic interpretierte ich noch eine gewisse Nähe zum Hollywood der alten Schule, wo Filmkorn zum Charme des Filmemachens dazugehört. Immerhin hat sich Panasonic immer wieder mit seiner Nähe zu bekannten Regisseuren wie Martin Scorsese oder Christopher Nolan profiliert.

Strebt TCL Ähnliches an?

Gefühlt nicht. TCL wirbt mit Exzellenz in sämtlichen Belangen: Design, Bild, Ton und Funktionalität. Darum glaube ich nicht, dass sich TCL mit Bildkorrekturen bewusst zurückhalten würde. Es gibt ja auch keine Zusammenarbeit mit Koloristen oder Regisseuren aus Hollywood, in deren Vision nicht eingegriffen werden soll.

Ein anderes Indiz für den eher schwachen Prozessor ist die Smart-TV-UI: Android TV. Das ist dasselbe Smart-TV-System, das Sony nutzt. Nur, dass TCL offenbar direkter mit Google zusammenarbeitet und darum eine leicht andere (bessere) Version hätte, so TCL-Vertreter mir gegenüber. Am Ende sehe ich aber kaum optische Unterschiede. Wenn es um die Bedienung geht, dann schon.

TCLs Android TV bedient sich nämlich deutlich weniger flüssig als Sonys. Und Apps brauchen vergleichsweise ewig, um zu öffnen. Schau mal. Android 8.0 auf Sonys AG9 im August 2019:

Da geht alles ruck-zuck. Ohne sichtbare Unterbrechung. Im damaligen AG9-Test – so Sonys 2019er-OLED-TV – habe ich Sonys Prozessor entsprechend gelobt.

Und hier TCLs Android TV im Juli 2020:

Gerade beim Öffnen der Youtube-App ab 0:14 oder beim Öffnen der Netflix-App ab 0:54 siehst du, wie das für heutige Verhältnisse ewig dauert.

Immerhin: Android TV lässt sich sowohl mit Google Assistant als auch mit Alexa sprachsteuern – wenn du das überhaupt willst.

Geniales Bild, aber zäher Prozessor

«Impressive. Most impressive», sagt Darth Vader in «Star Wars: The Empire Strikes Back» zu Luke Skywalker. Im Bezug auf TCLs X10 gelange ich zu einem ähnlichen Testurteil.

Tatsächlich «höchst beeindruckend» ist der X10 dann, wenn es um das Abspielen von UHD-Inhalten mit HDR-Qualität geht. Sattes, OLED-würdiges Schwarz? Check. Und das bei einem LCD-Fernseher mit Hintergrundbeleuchtung. Wow. Möglich macht es TCLs Mini-LED-Technologie, an welcher auch andere Hersteller forschen. Einen entsprechend marktfähigen Fernseher hat bislang aber nur TCL zustande gebracht.

Schwächen zeigt hingegen der Prozessor. Das Bild in HD-Qualität siehst zwar okay aus, aber haut mich nicht aus den Latschen. Da sehe ich Aufholbedarf. Vor allem in der Bedienung der Smart-TV-Benutzeroberfläche. Das ist aber nichts, was sich nicht innerhalb eines oder zwei Jahren deutlich verbessern liesse. Aktuell sehe ich darum die Konkurrenz noch etwas vor TCL.

Aber das Jahr 2021 – das dürfte verdammt spannend werden.

55 Personen gefällt dieser Artikel


User Avatar
User Avatar

Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


Audio
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Filme und Serien
Folge Themen und erhalte Updates zu deinen Interessen

Produkttest

Unsere Expertinnen und Experten testen Produkte und deren Anwendungen. Unabhängig und neutral.

Alle anzeigen

Diese Beiträge könnten dich auch interessieren

  • Produkttest

    S95F im Review: Samsungs OLED-Flaggschiff überstrahlt die Konkurrenz

    von Luca Fontana

  • Produkttest

    Bravia 8 Mark II: Sonys OLED-Comeback ist fast ein Volltreffer

    von Luca Fontana

  • Produkttest

    Review: Panasonics GZC2004 – ein teurer, aber vergnüglicher OLED-Spass

    von Luca Fontana