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Googles Game-Streaming-Dienst heisst Stadia und könnte die Branche revolutionieren
von Philipp Rüegg
Googles kommender Game-Streaming-Dienst hat für hitzige Diskussionen gesorgt. Die einen feiern Stadia als die Zukunft der Games, während andere den Anfang vom Ende befürchten. Für beide Seiten gibt es starke Argumente.
Mit Google Stadia werden Konsolen und Gamer-PCs obsolet. Spiele werden direkt übers Internet auf den Fernseher, das Notebook oder das Smartphone gestreamt. Und das in einer Qualität von bis zu 4K. So lautet zumindest das Versprechen von Googles neuem Streaming-Service. Auch wenn viele konkrete Infos wie Preis, Spieleauswahl und Verfügbarkeit fehlen, hat die Ankündigung für Furore gesorgt. Kein Wunder: Das Projekt könnte massive Auswirkungen auf die Art und Weise haben, wie Games konsumiert und entwickelt werden. Hier ist eine Übersicht über die Chancen, aber auch Gefahren von Stadia.
Da ihr euch im folgenden Artikel fleissig zu dem Thema geäussert hab, habe ich einige eurer Kommentare in den Text einfliessen lassen.
Zum Preismodell ist zwar noch nichts bekannt, die meisten gehen jedoch von einem Netflix-ähnlichen Angebot aus. Wenn du nicht für einzelne Spiele bezahlen musst, sondern jedes «gratis» ausprobieren kannst, hat das massive Auswirkungen darauf, wie Spiele programmiert werden müssen. Das betrifft insbesondere den Einstieg, im Fachjargon Onboard-Funneling genannt. Ist der Anfang zu schwer, zu langweilig, zu kompliziert, springen viele Spieler ab. Bei einem Game, für das du 60 Franken hingeblättert hast, wirst du mehr Geduld aufbringen, als bei einem All-You-Can-Eat-Modell.
Wie beim Smartphone gibt es zudem auf einen Schlag Millionen neuer Spieler, die davor weder Konsole noch PC besessen haben. Es ist zu befürchten, dass Entwickler sich dieser neuen Kundschaft zuwenden und den Markt mit «billigen» Games fluten werden. Ich bin allerdings der Meinung, solange die Nachfrage nach komplexen Singleplayer-Games etc. da ist, wird es auch ein Angebot geben.
Collectors Edition mit schicker Drachenstatue? Damit ist es mit Stadia womöglich vorbei. Gewichtiger ist aber der Fakt, dass du womöglich keine Spiele mehr kaufen und somit auch nicht besitzen wirst. Wie bei Netflix könnte das heissen, dass gewisse Spiele plötzlich aus dem Store verschwinden. Zwar ist es schon heute so, dass du bei Steam und Co. lediglich eine Lizenz erwirbst und kein Spiel wirklich dir gehört. Die Grenze zum Besitz wird mit Stadia aber noch weiter verwässert.
Einer der grössten Vorbehalte gegenüber Stadia betrifft den Lag. Viele zweifeln daran, dass ein flüssiges Spielerlebnis wie auf der Konsole oder dem PC möglich sein soll. Auch wenn wir in der Schweiz zu den Privilegierten gehören mit Zugang zu extrem schnellem Internet, ist es fraglich, ob die Latenz jemals auf einem Level sein wird, die Spieler mit 144-Hertz-Monitoren zufrieden stellen wird. Entwickler-Legende John Carmack, Schöpfer von «Doom», fügte allerdings zu Recht an, dass heutige Fernseher alles andere als lagfrei seien und das stört offenbar auch die wenigsten.
Die Liste von Produkten und Diensten, die Google nach kurzer Zeit wieder eingestampft hat, ist lang. Es gibt sogar eine eigene Webseite, die sich ihnen widmet. Willst du also Zeit und Geld in einen Dienst investieren, der nach zwei Jahren wieder verschwindet? Sind deine Spiele und Speicherstände dann verloren? Verständlich, dass viele Spieler mit Zurückhaltung reagieren. Dagegenzuhalten ist, dass Stadia nicht nach einem Schnellschuss aussieht. Von den hochkarätigen involvierten Personen über die umfassende Präsentation deutet alles darauf hin, dass Google Nägel mit Köpfen machen will.
Was mit Stadia garantiert nicht möglich sein wird, ist Gamen ohne Internetverbindung. Selbst im Zug mit instabilem mobilem Internet dürfte es schwierig werden. Und wie sieht es bei Serverpannen aus? Ein grösserer Serverausfall ist bei Google zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber auch nicht auszuschliessen. Dann schaust du in die Röhre.
Google sammelt jetzt schon über diverse Dienste Daten über uns. Mit Stadia erhält das Unternehmen noch mehr Möglichkeiten dazu. Da die Spiele über Googles Server laufen, wird jede deiner Eingaben erfasst und kann potentiell ausgewertet werden. Daten sind Macht. Wollen wir wirklich noch mehr Infos über uns preisgeben?
Am PC ist es Gang und Gäbe, dass Spiele modifiziert werden. Das beginnt mit einfachen Anpassungen von ini-Dateien, um die Framerate zu erhöhen oder Ultra-Wide-Screen zu erzwingen. Und geht über aufwendigen Mods, die Spiele komplett umkrempeln. Ob das auch mit Stadia möglich ist, bleibt abzuwarten. Und selbst wenn, müsstest du die Daten Google abliefern, damit Google sie auf seinen Servern speichern und weiterverbreiten kann.
PC-Gamer lieben es, mit den Einstellungen herumzuspielen. Mit Stadia könnte diese Option verschwinden und einer handvoll Optionen weichen oder gar komplett fremdgesteuert werden. Wenn du nicht mal mehr zwischen mehr Leistung oder besserer Grafik entscheiden kannst, wird das viele Spieler verärgern.
Wenn Spiele nicht mehr auf physischen Medien erscheinen, wird das Archivieren schwieriger. Schon heute stellen Online-Titel wie «World of Warcraft» oder «Destiny» Archivare vor grosse Herausforderungen. Wenn Spiele nun nur noch auf einem Server bei Google liegen, fällt auch der Download weg. Google hält allerdings dagegen: Spiele sollen niemals gelöscht werden. Stattdessen werden sie skaliert. Ist ein Spiel nicht mehr populär, wird es irgendwann nur noch auf einem Server installiert sein statt auf tausenden. Möglicherweise werden Spiele somit sogar besser für die Nachwelt erhalten.
Bereits jetzt gibt es viele Spiele, die nur auf der Switch, der PS4, dem Epic Games Store oder der Xbox One verfügbar sind. Google hat für Stadia ein eigenes Entwicklungsstudio vorgestellt, das an exklusiven Spielen arbeiten wird. Die Fragmentierung nimmt also noch mehr zu. Immerhin musst du dir kein zusätzliches Gerät anschaffen.
Was Veränderungen anbelangt, sind Gamer konservativ. Als Steam gestartet und zum Zwang wurde, stiegen Spieler auf die Barrikaden. Später wurde geflucht, als andere Hersteller eigene Stores vorstellten – aktuelles Beispiel: der Epic Game Store. Kopierschutz in Games? Wie könnt ihr es wagen. Raytracing? Bringt doch nix. DLCs wurden als Abzockerei verteufelt. Heute sind sie in jedem Spiel. Online-Zwang? Ohne mich. Gerade letzteres dürfte für Stadia ein besonders heisses Pflaster werden.
Stadia bietet theoretisch unbegrenzte Rechenpower. Server Racks können einfach zusammengeschlossen werden und somit deutlich mehr Leistung als jeder PC oder jede Konsole liefern. Entwickler müssen sich nicht mehr durch Leistungsgrenzen einschränken lassen. Auch das Datenlimit von Bluray-Discs wird hinfällig. Die Mehrleistung muss nicht nur in hübschere Texturen fliessen, sondern könnte endlich dafür sorgen, dass die künstliche Intelligenz ihrem Namen gerecht wird.
Genau wie bei Konsolen fällt bei Stadia das Kompatibilitätsproblem von PCs weg. Entwickler müssen nur für einen Hardware-Typ entwickeln. Das vereinfacht die Arbeit und senkt die Kosten. Da die meisten Hersteller aber weiterhin für PC, PS4 und Co. entwickeln werden, erhöht sich anfangs der Aufwand.
Egal, wo du bist und welches Gerät du besitzt, Stadia bietet (abgesehen vom Offline-Modus) mehr Flexibilität als jedes bisherige Gamesystem. Sekundenschnell kannst du ein Spiel starten und fliessend zwischen verschiedenen Geräten wechseln. Du musst dir keine Gedanken mehr machen, wo deine Konsole steht oder ob du dein Notebook mitschleppen willst. Stadia lässt sich sowohl vom Hotelfernseher wie auch vom Tablet starten .
90 Millionen verkaufte PS4s klingt nach viel. Milliarden von Menschen auf der Welt besitzen aber weder Konsole noch Gamer-PC. Die meisten von ihnen haben allerdings ein Smartphone oder ein schwaches Notebook. Vorausgesetzt, das Internet ist schnell genug, wächst mit Stadia die Nutzerschaft ins unermessliche. Mehr Spieler, bedeutet mehr Einnahmen, das bedeutet es gibt mehr (potentiell gute) Spiele. Spiele mehr Menschen zugänglich zu machen, ist für sich alleine schon etwas schönes.
Egal, ob du ein iPhone, einen Windows-PC oder einen Samsung Smart TV besitzt, alle können miteinander zocken. Überall, wo der Chrome Browser läuft (später auch andere chromium-basierte Browser) oder Chromecast verfügbar ist, ist auch Stadia nutzbar. Google hat zudem bekannt gegeben, dass sie auf Crossplay setzen. Wenn Hersteller möchten, können Spieler von PS4, PC und Stadia miteinander spielen.
Vorbei ist die Zeit von teurer Hardware. Du brauchst nicht mehr den PC aufzurüsten, wenn du von den neusten technischen Erungenschaften wie Raytracing profitieren möchtest. Und deine Konsole muss auch nicht mehr versuchen, mit Ach und Krach 4K-Auflösung zu erzwingen. Das erledigt Stadia für dich.
Für Entwickler dürfte die Möglichkeit spannend sein, direkt auf Stadia zu programmieren. Studios müssen für ihre Belegschaft keine leistungsfähigen PCs mehr kaufen, sondern holen sich die Prozessorleistung bei Stadia.
Spiele sind auf Stadia stets auf dem neuesten Stand. Du musst keine 90-GB-Patches mehr runterladen, bevor du loslegen kannst. Auch die Ladezeiten sowohl beim Start eines Spiels als während des Spiels dürften drastisch verkürzt werden. Google spricht von fünf Sekunden bis ein Spiel gestartet ist. Aktuell siehst du in dieser Zeit noch nicht mal das erste Hersteller-Logo.
Lassen wir mal die Performance, die wir erst einschätzen können, wenn wir selber Hand anlegen können, aussen vor. Glaubt ihr, Stadia gehört zur hellen oder zur dunklen Seite der Macht?
Als Kind durfte ich keine Konsolen haben. Erst mit dem 486er-Familien-PC eröffnete sich mir die magische Welt der Games. Entsprechend stark überkompensiere ich heute. Nur der Mangel an Zeit und Geld hält mich davon ab, jedes Spiel auszuprobieren, das es gibt und mein Regal mit seltenen Retro-Konsolen zu schmücken.