Hintergrund

ReSound Vivia: Das kleinste KI-Hörgerät der Welt

Klein, smart, fast unsichtbar: Auf der IFA zeigt ReSound das weltweit kleinste KI-Hörgerät. Ich habe es ausprobiert – und war überrascht, wie klar Stimmen plötzlich aus dem Lärm hervortreten.

Ich erinnere mich noch gut an jene Nacht in Lloret de Mar. Ich war 18 Jahre alt, viel zu lange in der Disco und es war viel zu laut. Am Morgen danach hatte ich nicht nur Kopfschmerzen, sondern auch ein ständiges Pfeifen im Ohr. Der Tinnitus war da. Und er blieb.

Mit ihm kam die Hyperakusis. Das klingt, als hätte ich plötzlich ein Supergehör entwickelt. Aber das Gegenteil ist der Fall: Geräusche, besonders laute, sind für mich nicht klarer, sondern schmerzhafter. Restaurantgespräche, Actionkracher im Kinosaal, Baustellenlärm – selbst das Rauschen von Autos auf nasser Strasse überfordert mich an schlechten Tagen.

Seit damals gehören speziell angepasste Ohrstöpsel zu meiner Grundausrüstung. Ohne gehe ich nicht aus dem Haus. Aber selbst damit sitze ich oft im Restaurant und kämpfe: Die Stimmen meiner Tischnachbarn gehen im diffusen Grundlärm unter, der Tinnitus drängt sich nach vorne. Hörgeräte? Damit hatte ich bisher nichts am Hut. Ich höre ja nicht zu wenig – ich höre zu viel.

ReSound Vivia: KI im Ohr

Auf der IFA in Berlin bin ich dann über ReSound GN gestolpert. Die Dänen behaupten, das kleinste KI-Hörgerät der Welt entwickelt zu haben: den Vivia. Klingt nach Marketing-Bingo. Aber ich war neugierig.

Die kleinen KI-Hörgeräte von ReSound gibt’s in allen möglichen Farben.
Die kleinen KI-Hörgeräte von ReSound gibt’s in allen möglichen Farben.

Die Erklärung: Ein zusätzlicher Chip im Hörgerät soll Stimmen von Hintergrundgeräuschen unterscheiden. Im Prinzip wie Noise-Cancelling bei Kopfhörern, nur feiner. Denn statt dass alles gleichmässig weggedrückt wird, soll die Stimme im Gespräch klar bleiben, während Störgeräusche herausgefiltert werden.

Genau das durfte ich ausprobieren. Nicht am eigenen Ohr, sondern über ein Demo-Setup: Ein Mannequin trug die winzigen, kaum sichtbaren Hörgeräte, ich setzte mir Kopfhörer auf und hörte exakt das, was der Mannequin «hörte».

Die ReSound Vivia sind wirklich kaum zu sehen.
Die ReSound Vivia sind wirklich kaum zu sehen.

Die Frau am Stand sprach mit mir. Ohne KI hörte ich sie zwar okay-gut, aber eben auch das Rauschen im Hintergrund. Dann aktivierte sie die Rauschfilter-Funktion in der App. Und plötzlich: Ruhe. Kein diffuses Geklapper mehr, keine Störgeräusche. Nur noch ihre Stimme, klar, direkt und fast intim. Fantastisch. Genau das, was mir zum Beispiel im Restaurant fehlt, wenn ich mich wegen meines eigenen Gehörschutzes oft von der Welt abgeschnitten fühle.

Mehr als nur Marketing?

Natürlich: Messe-Demos sind immer Best-Case-Szenarien. Aber der technische Ansatz ist spannend. ReSound will seine Chips mit Millionen von Sprachsätzen trainiert haben, und das Ergebnis fühlte sich für mich nicht nach Buzzword, sondern nach echter Hilfe an.

Mit Ladecase soll das Hörgerät einerseits geschützt, andererseits schnell wieder aufgeladen werden.
Mit Ladecase soll das Hörgerät einerseits geschützt, andererseits schnell wieder aufgeladen werden.

Dass Hörgeräte längst keine klobigen Medizinapparate mehr sind, sondern Hightech im Miniaturformat, zeigt ReSound ebenfalls: Bluetooth LE Audio, Auracast (zum Beispiel, um sich Musik direkt aufs Hörgerät zu streamen statt Kopfhörer übers Hörgerät tragen zu müssen) und ganztägige Akkulaufzeit. ReSound spricht von 28 Stunden Nutzungsdauer. 20, wenn die Hälfte der Zeit gestreamt wird. Dazu noch eine Schnellladefunktion. Alles in einem Gehäuse, das fast unsichtbar im Ohr verschwindet.

Wo kriegt man so ein Teil?

Leider läuft das nicht einfach so über einen Online-Shop wie unseren. Hörgeräte gibt’s ausschliesslich über Hörakustikerinnen und -akustiker, die sie individuell an das Gehör anpassen.

Das heisst: Wer neugierig geworden ist, macht am besten zuerst den Online-Hörtest auf der Schweizer ReSound-Website und vereinbart anschliessend einen Termin bei einem lokalen Akustiker, der mit ReSound zusammenarbeitet. Dort können die Geräte probegehört und eine Offerte eingeholt werden.

So sieht das Hörsystem ohne Aufsatz aus.
So sieht das Hörsystem ohne Aufsatz aus.

Einen fixen Preis nennt ReSound nicht. Premium-Hörgeräte liegen in der Regel bei mehreren tausend Franken pro Ohr – je nach Ausstattung, Krankenkassenbeteiligung und Servicepaket. Wer möchte, kann die Geräte zusätzlich individuell anpassen lassen, etwa mit einem massgefertigten Ohrstück für mehr Komfort. Das treibt den Preis im Vergleich zu Standardaufsätzen noch einmal deutlich nach oben.

Trotzdem. Vielleicht werde ich irgendwann tatsächlich zu so einem Hörgerät greifen. Eben: Nicht, weil ich zu wenig höre – sondern weil ich zu viel höre. Und wenn mir Technik dann endlich Ruhe im Lärm verschafft, wäre das wohl das schönste Geräusch überhaupt.

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Abenteuer in der Natur zu erleben und mit Sport an meine Grenzen zu gehen, bis der eigene Puls zum Beat wird — das ist meine Komfortzone. Zum Ausgleich geniesse ich auch die ruhigen Momente mit einem guten Buch über gefährliche Intrigen und finstere Königsmörder. Manchmal schwärme ich für Filmmusik, minutenlang. Hängt wohl mit meiner ausgeprägten Leidenschaft fürs Kino zusammen. Was ich immer schon sagen wollte: «Ich bin Groot.» 


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