Hintergrund

Microsoft Viva: Lang lebe die Privatsphäre – oder doch nicht?

Microsoft Viva soll das Intranet deiner Firma ersetzen. Mit dem Intranet in der Cloud kommen aber neue Bedenken für die Privatsphäre, denn Viva überwacht die Arbeiter systematisch.

Bei Microsoft Viva, dem neuen Kommunikations- und Interaktions-Tool soll das anders sein. Soll. Denn mit Details hält sich der Konzern noch bedeckt, selbst wenn Viva bereits ausgerollt sei.


Das Wichtigste in Kürze


Viva könnte ein Alptraum für deine Privatsphäre als Mitarbeiter sein. Und bisher tut Microsoft recht wenig, solche Befürchtungen zu entkräften.

Die High-Level Übersicht

Microsoft Viva ist ein Portal für Unternehmen. Sowohl für Angestellte wie auch für die Chefs, die «in diesen schwierigen Zeiten», in denen «vieles isch grad echli anders» gilt, auch noch irgendwie den Überblick über die Angestellten haben müssen. Daher mal eine kurze Übersicht, was denn Viva eigentlich ist und tun soll, abseits von Marketing-Blabla.

Viva hat eine Art Newsfeed, der dir wichtige Informationen aus dem Unternehmen anzeigt. Wenn wir das Beispiel von digitec nehmen: In meinem Newsfeed wären dann wohl wichtige Pressekonferenzen und Events wie der Apple Launch vermerkt, oder wenn CEO Florian Teuteberg zum Jahresabschluss informiert. Auch sollen da wichtige Gesprächs-Threads auftauchen, damit du möglichst nichts im Unternehmen verpasst.

Und meditieren soll ich laut Insights auch noch. Liebes Microsoft, ersetz doch bitte «meditieren» mit «Kaffee» und ich kann mich damit anfreunden. Warum muss Bürokultur in Grossunternehmen immer so Etepetete-Bullshit sein? Ich habe im Alltag schon genug Quatsch, der mich stresst. Da brauche ich nicht noch Federkohl dazu.

Insights versus die Privatsphäre

Eines muss dir bewusst sein: Microsoft Viva «Insights» liefert deinem Chef Daten über deine Performance und wie viel du arbeitest. Das klingt bekannt. Der Microsoft Productivity Score, der mittlerweile angepasst ist, damit er dich nicht mehr ganz so gut ausspioniert, wollte bei seiner Einführung deinem Chef Daten aller Art übermitteln, damit er oder sie deine Performance besser analysieren kann.

Viva Insights liefert deinen Vorgesetzten ähnliche Daten. Aber, so verspricht Microsoft, nur unter folgenden Bedingungen:

  • Detaillierte, persönliche Arbeitsstatistiken sieht nur der Mitarbeiter selbst.
  • Anonymisierte und auf das ganze Team gemünzte Daten sieht der Chef.

Damit soll die Privatsphäre der Mitarbeiter geschützt sein. Stimmt so nicht ganz. Denn jeder Manager kennt sein Team. So als Personen. Daher ist die Diskussion hier in den Metadaten zu führen. Sprich: Wenn dein Manager die Daten aus Insights mit anderen Daten kombiniert, wie schlimm kann das werden?

Ein vereinfachtes Beispiel unter der Annahme, dass da ein Wert ist, der die Produktivität in Prozent ausgibt: In einem Team aus fünf Leuten, ist die Produktivität auf erschreckenden 45%. Dann geht ein Teammitglied in die Ferien. Eine Person geht in die Ferien und dann ist die Produktivität auf 50% gestiegen. Was sagt das aus? Da braucht ein Chef keine personalisierte Daten.

Daher: «Insights» ist nicht nur wegen dem Yoga-Vegan-Quark eine schlechte Idee, gegen die du dich stellen solltest. Da hilft auch die automatisierte Erkennung von Burnout-Risiken nicht. Diese soll anhand von «Wie oft arbeiten deine Mitarbeiter nach der regulären Arbeitszeit noch?» erkennen, wann dein Team vor dem mentalen Kollaps steht.

Yoga-Vegan versus Schweizer Recht

Burnout-Risiko-Erkennung klingt gut. Analyse der Performance auf Zahlenbasis weniger. Das sieht auch das Schweizer Recht so, womit Microsoft Viva auf dünnem Eis steht. Oder dickem. Kommt auf die Argumentation im rechtlichen Kontext an, denn das Schweizer Recht ist recht vage, wenn es darum geht, was erlaubt ist und aus welchen Gründen.

Das Schweizerische Obligationenrecht (OR) schreibt in Artikel 328 vor:

Der Arbeitgeber hat im Arbeitsverhältnis die Persönlichkeit des Arbeitnehmers zu achten und zu schützen, auf dessen Gesundheit gebüh­rend Rücksicht zu nehmen und für die Wahrung der Sittlichkeit zu sorgen.
OR Art 328 Abs 1, 9. Februar 2021

OR 328b widerspricht dem Schutz der Persönlichkeit, je nach Argumentation teilweise:

Der Arbeitgeber darf Daten über den Arbeitnehmer nur bearbeiten, soweit sie dessen Eignung für das Arbeitsverhältnis betreffen oder zur Durchführung des Arbeitsvertrages erforderlich sind.
OR 328b, 9. Februar 2021

Im Falle Microsoft Viva kann argumentiert werden, dass der Arbeitgeber keine Daten seines Mitarbeiters bearbeitet. Microsoft Viva tut das. Wenn du also Mitarbeiter bei Digitec Galaxus AG bist, dann analysiert die juristische Person Digitec Galaxus AG deine Daten nicht. Sie sammelt sie zwar, aber die Bearbeitung macht Microsoft.

Das Datenschutzgesetz (DSG) gibt in DSG 4.3 einen klaren Rahmen vor, in dem Personendaten bearbeitet werden dürfen:

Personendaten dürfen nur zu dem Zweck bearbeitet werden, der bei der Beschaf­fung angegeben wurde, aus den Umständen ersichtlich oder gesetzlich vorgesehen ist.
DSG Art 4 Abs 3, 9. Februar 2021

Der ist easy. Beim Einstellungsgespräch und im Arbeitsvertrag heisst es: «Deine Arbeits- und Nutzerdaten werden zu Qualitäts- und Performance-Zwecken anonymisiert analysiert». Wer sagt da schon «Nein», wenn Ende Monat ein Lohn auf dich wartet?

Aber das Schweizer Recht geht davon aus, dass breite Überwachung für die Mitarbeiter in einem Unternehmen nicht gesund oder förderlich ist. Daher ist grundsätzlich unzulässig:

Genau deshalb dürfte die Analyse in Microsoft Viva rechtlich unzulässig sein. Auch wenn darüber diskutiert werden kann, ob Viva nun Spyware ist oder nicht, so ist die Überwachung definitiv systematisch.

Dazu sagt das Arbeitsgesetz (ArGV):

Überwachungs- und Kontrollsysteme, die das Verhalten der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz überwachen sollen, dürfen nicht eingesetzt werden.
ArGV Art 26 Abs 1, 9. Februar 2021
Sind Überwachungs- oder Kontrollsysteme aus andern Gründen erforderlich, sind sie insbesondere so zu gestalten und anzuordnen, dass die Gesundheit und die Bewegungsfreiheit der Arbeitnehmer dadurch nicht beeinträchtigt werden.
ArGV Art 26 Abs 2, 9. Februar 2021

Aber es gibt dann doch systematische Überwachung, die zulässig ist. Wenn sie zu Qualitätssicherungsgründen genutzt wird oder zur Messung der Anzahl produzierter Teile oder getätigter Anrufe in einem Callcenter.

Ein findiger Chef kann also argumentieren, dass die systematische Überwachung in Viva zur Qualitätssicherung notwendig ist und das eigene Unternehmen analysiert nichts. Microsoft analysiert.

Etwas zynischer: Ein Unternehmen wird sich die Fragen nach der Rechtmässigkeit der Datensammlung kaum stellen. Microsoft macht ein gutes Angebot, Viva sieht schick aus und «Schau mal, wie schön das animiert ist», und das ganze Wellness-Gefasel imponiert dann auch noch. Voilà, die Überwachung wird gutgeheissen.

Bildung auch im Home Office und noch ein Wiki

Einer der besten Aspekte der modernen Arbeitskultur ist der Fokus auf Aus- und Weiterbildung. Microsoft Viva will auch dieses Bedürfnis abdecken. In Viva «Learning» kann dir dein Unternehmen Kurse und dergleichen anbieten, mit denen du deine Karriere voranbringen kannst.

Dann ist da noch Viva «Topics», eine «Art Wikipedia für dein Unternehmen». Okay. Noch ein Wiki. Für all die, die Microsoft Teams immer noch als violettes Skype verwenden: Jedes Team in Teams hat ein eigenes Wiki. Ist oben am Team ein Tab.

Damit hat ein Unternehmen jetzt, wenn die Wiki-Kultur früh in die Firma eingeführt wurde:

  1. Das Wiki vor der Ära Teams, sei das eine Media-Wiki-Instanz im Intranet oder Confluence oder dergleichen
  2. Das Wiki in «Teams»
  3. Das Wiki in Viva «Topics»

Übersichtlichkeit sieht anders aus. Microsoft täte gut daran, eine zentralisierte Lösung für Wiki-Inhalte zu schaffen. Diese Inhalte werden dann auf die Apps ausgespielt. Also Microsoft Wiki würde Inhalte speichern und sie würden in Teams und Viva ausgespielt werden. Denn mit all den Locations ergibt das so, wie Microsoft das präsentiert, wenig Sinn.

Viva vage

Aber: Aktuell ist Microsoft Viva noch recht vage. Microsoft hat noch keine technologischen Details und genaue Funktionsweisen bekannt gegeben, sondern auf recht oberflächlichem Niveau eine Produktvorstellung gemacht.

Es ist an den Chefetagen, diesem «neuen Normal» Rechnung zu tragen. Home Office ist hier, und es wird bleiben. Schon alleine deshalb, weil sich viele Menschen gar nicht mehr vorstellen können oder auch wollen, jeden Tag ins Büro zu gehen.

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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.


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