
Lo und Leduc – 079 nachgerechnet: Wer nimmt das Phone ab, wenn du die verhängnisvolle Nummer wählst? // Update 14.06.2018 / 12:15 Uhr
Im Sommerhit «079» erzählen Lo und Leduc die Geschichte eines Verliebten, der per Handy die Nummer seiner Angebeteten sucht. Ich bin dem mal nachgegangen und versuche den Mann mit Mathematik vor seinem tragischen Schicksal zu bewahren. Zudem: Ich rufe bei der Nummer an, die er beim Tramunfall gewählt hat.
Lo und Leduc haben es geschafft. Ihr Song «079» ist der grösste Schweizer Hit der Schweizer Musikgeschichte. Die Geschichte im Song ist banal, aber macht etwas Interessantes: Sie vereint so die klassische Telefonrecherche mit den Wirren und Tücken des digitalen Zeitalters.
Die so mehr oder weniger romantische, mehr oder weniger lustige Geschichte erzählt von einem unglücklich Verliebten, der verzweifelt seine Angebetete sucht. Oder besser: ihre Handynummer. Am Ende dann, gerade als er es geschafft hat, macht ihm das Schicksal einen Strich durch die Rechnung.
Schauen wir doch mal, ob ich es hinkriege, dass der Verliebte sein Tram verpasst. Und überlebt. Im Zuge dieses Artikels wende ich Open Source Intelligence an. Das heisst, dass alle Informationen, die ich im Artikel verwende, öffentlich sind. Mit Ausnahme der Telefonnummer, die ich am Ende wähle, um herauszufinden, wer denn wirklich am Telefon ist zum Zeitpunkt an dem der Verliebte im Song vor das Tram tritt.
Die Story im Song
Der von Autotune dominierte Sommer-Song erzählt die Geschichte eines Verliebten, der ums Verrecken die Handynummer seiner Angebeteten haben will. Doch diese will ihm die Nummer partout nicht geben. Da der Verliebte jetzt aber so verliebt ist, gibt er nicht auf und wird zum Stalker. Er ruft bei der Auskunft an und siehe da: Die Angebetete arbeitet da.
Si gäb mir jedi Nummere, Nummere. Nume ihri git si mir nid
Doch unser heldenhafter Stalker fleht sie an: Gib mir doch bitte die Vorwahl.
Die Angebetete gibt nach: 079.
Der Verliebte macht sich also an die Arbeit und telefoniert alle Nummern durch. Das sind laut dem Song zehn Millionen Kombinationen. Am Ende findet er ihre Nummer und ist ob ihrer Stimme so baff, dass er ein herannahendes Tram nicht bemerkt und überfahren wird.
U woni die ytipp mit zittrige Finger und i mir sicher bi das die doch muess stimme, ghöri plötzlech das öbber drann isch, u wäge däm ghöri das Tram nid, wo no het wöue brämsen aber es längt lang nid. Es renne Lüüt hären u aus verlangsamt sich.
Mit diesen Angaben ist das Mission Statement klar: Irgendwo muss der Verliebte Zeit sparen, damit er so plusminus 30 Sekunden am gleichen Ort ist, an dem er beim Timing im Song überfahren wird. Das Ziel ist nämlich, dass er sein Tram verpasst. Wenn er also 30 Sekunden vor der Unfallzeit auf den Gleisen steht, ist er sicher. Das selbe gilt für 30 Sekunden später.
Was der Verliebte so macht
Der Verliebte im Song gibt zum Glück einen Zeitrahmen an. Damit können wir ausrechnen, wie lange irgendetwas bei ihm dauert.
U weni nächär pro Minute drü vo de Nummere usprobier, de chönns maximau nume sächsehaub Jahr lang ga bisi ihri fing.
Der Verliebte gibt im Lied zudem an, dass er mit zehn Millionen Nummern rechnet, also von 079 000 00 00 bis zu 079 999 99 99. Ein Anruf dauert 20 Sekunden, bis er herausgefunden hat, dass er falsch verbunden ist.
Hier fällt zum ersten Mal ein Fehler auf, der das ganze Lied in seiner aktuellen Form kaputt macht. Sprich: Der Verliebte verpasst das Tram. Hurra. Denn wenn er pro Anruf 20 Sekunden braucht, dann dauert es tatsächlich 200 Millionen Sekunden, alle Nummern durchzuprobieren. Das entspricht aber nicht den sechseinhalb Jahren im Song, sondern nur sechs Jahren und vier Monaten, also 6.3 Jahren. Das heisst, dass der Verliebte gut zwei Monate vor seinen eigenen Angaben vom Tram überfahren würde.
Der Schlaflose am Telefon
Zudem: Der Verliebte schläft nicht. Die 6.3 Jahre sind eine Zahl, die herauskommt, wenn du keine Pausen machst, wenn du die 10 Millionen Nummern wählst. Kein Schlaf, keine Arbeit, keine WC-Pause. Wer will schon seine Angebetete am Telefon haben, wenn du auf dem Thron sitzt? Dazu geht ihm der Akku nie aus und auch sonst wird er von nichts gestört.

Quelle: Dominik Bärlocher
Angenommen aber, dass er tatsächlich die 6.5 Jahre braucht, dann sind da zwei Monate für WC, Schlaf und so. Wenn du pro Nacht während sechseinhalb Jahren acht Stunden schläfst, dann schläfst du 18 982 Stunden. Bei sechs Stunden pro Nacht sind das noch 14 236 Stunden.
Die ganze Übung, inklusive sechs Stunden Schlaf, würde in der Realität also aufgerundet acht Jahre dauern. Der Verliebte verpasst sein Tram.
Noch heftiger wird es, wenn der Verliebte eine 42.5-Stunden-Woche auf der Arbeit hat. Dann geht die ganze Operation 10.27 Jahre, also 10 Jahre, 3 Monate, 4 Tage, 10 Stunden, 51 Minuten und 59 Sekunden. Das unter der Annahme, dass er keine Überstunden macht und jede Sekunde Freizeit für sein Stalking-Projekt aufwendet.
Nehmen wir ein Handy in die Hand
Probieren wir das mit dem Telefon. Während ich den Verliebten mache, mimt Redaktorin Livia Gamper die Inhaberin jeder Telefonnummer. Ich rufe Livia an, sie nimmt nach dem dritten Piepton ab.
- Bei einem Mann sage ich «Sorry, ich hab mich verwählt». Wir verabschieden uns. Das dauert 19.22 Sekunden
- Bei einer Frau frage ich, ob sie die Frau von der Auskunft sei. Sie verneint. Ich entschuldige mich und hänge ab. Das dauert 21.69 Sekunden
Haben Lo und Leduc das während dem Songwriting ausprobiert?

Quelle: Dominik Bärlocher
«Nein, ausprobiert haben wir das nicht», heisst es aus dem Lager Lo und Leducs. Trotzdem: Die Zahl mit den 20 Sekunden pro Anruf ist recht gut. Im Schnitt dauert ein Anruf nämlich 20.44 Sekunden.
Um genau herauszufinden, wie lange wir mit diesen Zeiten telefonieren, werfen wir etwas Demografie in den Mix. Alle Zahlen sind im Jahre 2016 erhoben worden.
- In der Schweiz leben 8 419 550 Menschen
- Davon sind 4 173 437 männlich
- Davon sind 4 246 113 weiblich
Wenn der Verliebte jede Person in der Schweiz anruft, dann sieht das so aus:
- Er telefoniert 2 Jahre, 6 Monate, 1 Woche, 6 Tage, 21 Stunden, 43 Minuten und 59 Sekunden mit Männern
- Er telefoniert 2 Jahre, 11 Monate, 9 Stunden, 45 Minuten und 19 Sekunden mit Frauen
- Total verbringt er 5 Jahre, 5 Monate und 2 Wochen und ein paar Zerquetschte damit, zu telefonieren.
Das bringt eine neue Erkenntnis: Er kann gar keine 10 Millionen Nummern durchprobieren, denn so viele Leute gibt es in der Schweiz gar nicht.
079 analysiert
Da aber die Demografiedaten nicht viel mehr hergeben, drehe ich den Spiess um. Anstelle von vom Menschen auf die Telefonnummer zu schliessen, schliesse ich von der Nummer auf den Menschen. Daher, auf zum Telefonbuch. Da der Verliebte eine Privatnummer sucht, kann er schon mal 85 863 eliminieren, denn die sind auf Geschäfte registriert. 180 098 sind auf Privatpersonen registriert, davon 3623 in Bern, wo sich die Geschichte dem Dialekt nach zugetragen hat. Da der Verliebte aber nicht weiter nach Geschlecht filtern kann, lassen wir das mal.
Die Vorwahl 079 ist historisch die Vorwahl der Swisscom. Doch seit einigen Jahren kannst du mit 079 auch bei anderen Anbietern deine Nummer registrieren lassen. Das macht die Sache nicht ganz einfach. Eine erste Anfrage bei Swisscom bringt Folgendes zu Tage.
Für diese Frage verweisen wir Sie gerne ans BAKOM. Das BAKOM hat den Auftrag vom Bund, genügend Nummern bereitzustellen und teilt die Nummernblöcke den jeweiligen Mobilfunkanbietern zu.
Gut, dann halt zum Bundesamt für Kommunikation BAKOM.
Das BAKOM teilt den Anbieterinnen auf Gesuch hin Telefonnummern in Blöcken à 10 000 Nummern zu. Für jede Vorwahl stehen demzufolge maximal 1000 Nummernblöcke für die Zuteilung zur Verfügung.
Damit erübrigt sich die Recherche bei anderen Anbietern, denn Francis Meier gibt mir einen Link zu einem Register, in dem die vergebenen Nummernblöcke aufgelistet sind. In der Parametersuche suche ich nach Nummernblöcken zwischen 079000 und 079999.
Es stellt sich heraus, dass nur 843 Blöcke zwischen 079 000 00 00 und 079 999 99 99 vergeben sind. Das heisst, dass unser Verliebter keine 10 Millionen Nummern abtelefonieren muss, sondern nur 8.43 Millionen, also rund ein Fünftel weniger.
Die Gründe weshalb Nummernblöcke nicht vergeben sind, liefert Sabrina Hubacher, Mediensprecherin der Swisscom: «Gewisse Nummern, zum Beispiel die mit 079 117 oder 079 112 beginnen, werden vom BAKOM nicht vergeben. Sie können mit den Nummern von Rettungsdiensten verwechselt werden.»
Die Rechnung mit echten Zahlen
Mit etwas Recherche hätte unser Verliebter sich einige Zeit ersparen können. Und genau das rettet ihm das Leben. Daher stellen wir die Rechnung nochmal an. Mit Demografie, 8.43 Millionen Nummern und allem drum und dran.

Quelle: Dominik Bärlocher
Laut Bundesamt für Statistik ist die Bevölkerung der Schweiz zu 50.4 Prozent weiblich. Das mappen wir auf die 8.43 Millionen Nummern.
- 4 248 720 Nummern gehören Frauen. Unser Verliebter telefoniert total 92 069 762.4 Sekunden mit Frauen
- 4 181 280 Nummern gehören Männern. Unser Verliebter telefoniert total 80 364 201.6 Sekunden mit Männern
- Das ergibt eine Telefonzeit von 172 433 964 Sekunden
Wenn wir das Beispiel aus dem Lied ohne Schlaf, Arbeit und Leben nehmen, dann ist der Verliebte im Song 205 006 464 Sekunden am Telefon. Mit der Swisscom'schen Eliminationsmethode aber nur 172 433 964 Sekunden. Das heisst, er kommt seinem tödlichen Tram 1 Jahr, 11 Tage, 23 Stunden, 54 Minuten und 59 Sekunden zuvor.
Happy End!
Mit Arbeit und Schlaf sieht die Sache anders aus. Denn dann kommt er 118 851 608 Sekunden – oder 3 Jahre, 9 Monate, 5 Tage, 19 Stunden, 20 Minuten und 7 Sekunden – zu spät.
Happy End again!
Eine letzte Rechnung: Wie lautet die Nummer der Angebeteten wirklich?
Wenn der Verliebte im Song alle Nummern schlaflos durchprobiert, dann ist er nach sechseinhalb Jahren am Ziel. Das würde bedeuten, dass ihre Nummer 079 999 99 99 lautet.
Was aber, wenn der Mann schläft und arbeitet? Bei einer 42.5-Stunden-Woche, arbeitet er im Schnitt 6.07 Stunden pro Tag, wenn wir die Zeit auf sieben Tage mappen. Sein ganzes Projekt würde 303 101 167.5 Sekunden dauern, wenn er alle Nummern durchtelefonieren würde. Aber er gibt im Song an, nach 205 006 464 Sekunden am Ziel zu sein. Davon sind aber 103 101 167.52 Sekunden Schlaf und Arbeit. Er verbringt also total 101 905 296.48 Sekunden am Telefon bis ihn das Tram erwischt.
- Davon hat er 49.6 Prozent mit Männern telefoniert, also 50545027.05 Sekunden
- Davon hat er 50.4 Prozent mit Frauen telefoniert, also 51360269.43 Sekunden
Daraus können wir ableiten:
- Er hat mit 2 629 814.103, also 2 629 815, Männern telefoniert
- Er hat mit 2 370 109.341, also 2 370 110, Frauen telefoniert
- Das ergibt total 4999925 Telefonate
Wenn er bei 079 000 00 00 angefangen hätte, wäre er bei 079 499 99 25 unter die Räder gekommen. Aber, viele der Nummernblöcke vor allem am Anfang der Range sind nicht vergeben.
Wir suchen also den 499. Nummernblock mit der Endung 9925. Das ergibt die Nummer 079 638 99 25.
Wer nimmt da ab?
Ich wähle also die Nummer. Ein Mann nimmt ab.
«Ich glaube, du hast dich verwählt», sagt er mit Verwirrung in der Stimme
«Nein, ich bin schon richtig, aber ich weiss einfach nicht, wen ich anrufe», antworte ich.

Quelle: phills.ch
Der Mann am anderen Ende ist wohl nicht die Angebetete des Verliebten im Song. Es handelt sich um einen Belgier namens Philippe Buschen. Er wohnt im Kanton Zug und ist Betreiber eines Food Trucks. Phill's BBQ serviert unter anderem Spareribs, Beef Brisket und Pulled Pork wie es in den amerikanischen Südstaaten serviert wird.
Was haben wir aus all dem gelernt? Eigentlich nichts. Nur vielleicht, dass sich der Verliebte nicht in eine Frau von der Auskunft sondern in Südstaaten-Barbecue verliebt hat. Ist auch okay.
So. Fertig. Und apropos: Wenn der Verliebte heute um 17 Uhr beginnt zu telefonieren, dann kommt er am Sonntag, 1. Dezember 2024 um 18:14 Uhr und 24 Sekunden unter die Räder.
Update: Medienspiegel
Die Geschichte hat Wellen geworfen. Hätte ich jetzt nicht gedacht.
- Helene Obrist, Reporterin bei watson war die erste, die die Geschichte aufgenommen hat.
- Es ist Radio SRF 3 gefolgt. Einen Audioschnipsel habe ich leider nicht aber Stimmen aus Bern berichten davon, dass der Bericht um etwa 16.30 Uhr am 6. Juni gelaufen ist
- Auf 20 Min bezeichnet mit die Autorin oder der Autor mit dem Kürzel kaf als Nerd. Huere frech, yo!
- Auf Radio24 rede ich ab Donnerstag, 7. Juni 2018, um 16:00 Uhr mit Moderator Maximilian Baumann über Food Trucks und das BAKOM.
- Krisztina Scherrer vom Ostschweizer Onlineportal FM1Today hat mich gefragt, ob ich nichts Besseres zu tun habe. Nein, habe ich nicht.
- Das St. Galler Tagblatt, mein Lehrbetrieb, hat die Geschichte in der Ausgabe vom 11. Juni 2018 aus Seite 33 übernommen. Ein Gruss an Roman Hertler und an die Fürstenlandstrasse.
- Nochmal das St. Galler Tagblatt: In der Ausgabe vom 14. Juni werde ich mit einer Brodworscht geehrt. Den Preis verleiht das Tagblatt für besondere Leistungen, die irgendwie ausgefallen, seltsam oder einfach nur merkwürdig sind. Wer mich noch mit etwa 45 Kilo mehr auf den Rippen vor meiner Gewichtheberkarriere sehen will, der kaufe das heutige Tagblatt mit meinem Bildli von etwa 2011.
Und das ist noch nicht alles. Ich ergänze hier nach und nach, wo die Geschichte noch so auftaucht.
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Journalist. Autor. Hacker. Ich bin Geschichtenerzähler und suche Grenzen, Geheimnisse und Tabus. Ich dokumentiere die Welt, schwarz auf weiss. Nicht, weil ich kann, sondern weil ich nicht anders kann.